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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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III. Topographie.
Tomioka und Hiwasa längs der Küste sind ebenfalls unbedeutende
Orte. Awa gehört jetzt zu Kochi-ken.

4. Die Provinz Sanuki liegt im Nordwesten von Ashiu am Seto-
uchi, woselbst auch alle grösseren Städte derselben zu finden sind. Ihre
Producte stimmen mit denen von Awa überein. Früher theilten sich
drei Daimio in die Provinz, welche jetzt mit Iyo den Ehime- (Yehime)
ken bildet mit der Hauptstadt Matsuyama. Takamatsu, Hafen-
stadt am Binnenmeere, früher Sitz des Daimio Matsudaira Sanuki-no-
kami (120000 koku), hat 33000 Bewohner. Marugame mit 14000
Einwohnern ist die reizend am Binnenmeer gelegene frühere Residenz
des Daimio Kiogoku (51500 koku), dessen Schloss man schon aus
weiter Ferne auf einem Hügel erblickt. Hinter der Stadt erhebt sich
der vulkanische Kegel Shiranemine oder Sanuki-Fuji mitten aus der
fruchtbaren Ebene. Tadotsu, kaum eine Meile südwestlich von
Marugame, ebenfalls schön gelegene Hafen- und alte Schlossstadt,
wo eine Seitenlinie des Hauses Kiogoku wohnte, mit 10000 koku.
Das Städtchen hat 4000 Bewohner und dient gleich Marugame als
Ausgangspunkt für die Wallfahrten zu dem berühmten Tempel Kom-
pila bei Kinrio. Dieser Ort ist etwa zwei geographische Meilen
südöstlich, beziehungsweise südlich von den genannten Häfen entfernt
und noch in derselben fruchtbaren Ebene. Die Wege zu ihm sind
gut, von Pilgern und Bettlern frequentiert *). Kinrio mag 5600 Be-
wohner zählen. Es ist voll geräumiger Herbergen. In einer der-
selben speisen täglich gegen 500 Pilger. Ihr Ziel ist der berühmte
Tempel des Gottes Kompila oder, wie ihn der officielle Shintodienst
jetzt zu nennen pflegt, Kotohira. Hat man den Weg längs der langen
Reihe grosser Verkaufsbuden von Rosenkränzen, Götzen, Essstäbchen
aus Sakakiholz (Cleyera japonica, der geweihten Shintopflanze) und
hundertelei anderen Dingen glücklich zurückgelegt, so führt eine
breite hohe Granittreppe hinan zum Haupttempel, wo dem lebens-
grossen Reitpferde des Götzen aus Bronze Reis geopfert wird und
fromme Pilger herbeirutschen, um die zerstreuten Reiskörner aufzu-
lesen und zu verspeisen, dann geht es weiter an prächtigen Bäumen
vorbei, mehr den Berg hinan von einer Sehenswürdigkeit und einem
Tempel zum andern. Besonders wirksame Kräuter vom Berge werden
da und dort feil geboten und von den Priestern Ofuda (Ablasskarten)
in grosser Auswahl für gutes Geld gegen mancherlei Uebel und Ge-
brechen. An einer anderen Stelle findet man den Plan zu einem neuen

*) Hier sah der Verfasser das einzige Mal während seines Aufenthaltes in
Japan Schubkarren, und zwar in sehr plumper, primitiver Form.

III. Topographie.
Tomioka und Hiwasa längs der Küste sind ebenfalls unbedeutende
Orte. Awa gehört jetzt zu Kochi-ken.

4. Die Provinz Sanuki liegt im Nordwesten von Ashiu am Seto-
uchi, woselbst auch alle grösseren Städte derselben zu finden sind. Ihre
Producte stimmen mit denen von Awa überein. Früher theilten sich
drei Daimio in die Provinz, welche jetzt mit Iyo den Ehime- (Yehime)
ken bildet mit der Hauptstadt Matsuyama. Takamatsu, Hafen-
stadt am Binnenmeere, früher Sitz des Daimio Matsudaira Sanuki-no-
kami (120000 koku), hat 33000 Bewohner. Marugame mit 14000
Einwohnern ist die reizend am Binnenmeer gelegene frühere Residenz
des Daimio Kiogoku (51500 koku), dessen Schloss man schon aus
weiter Ferne auf einem Hügel erblickt. Hinter der Stadt erhebt sich
der vulkanische Kegel Shiranemine oder Sanuki-Fuji mitten aus der
fruchtbaren Ebene. Tadotsu, kaum eine Meile südwestlich von
Marugame, ebenfalls schön gelegene Hafen- und alte Schlossstadt,
wo eine Seitenlinie des Hauses Kiogoku wohnte, mit 10000 koku.
Das Städtchen hat 4000 Bewohner und dient gleich Marugame als
Ausgangspunkt für die Wallfahrten zu dem berühmten Tempel Kom-
pila bei Kinrio. Dieser Ort ist etwa zwei geographische Meilen
südöstlich, beziehungsweise südlich von den genannten Häfen entfernt
und noch in derselben fruchtbaren Ebene. Die Wege zu ihm sind
gut, von Pilgern und Bettlern frequentiert *). Kinrio mag 5600 Be-
wohner zählen. Es ist voll geräumiger Herbergen. In einer der-
selben speisen täglich gegen 500 Pilger. Ihr Ziel ist der berühmte
Tempel des Gottes Kompila oder, wie ihn der officielle Shintôdienst
jetzt zu nennen pflegt, Kotohira. Hat man den Weg längs der langen
Reihe grosser Verkaufsbuden von Rosenkränzen, Götzen, Essstäbchen
aus Sakakiholz (Cleyera japonica, der geweihten Shintôpflanze) und
hundertelei anderen Dingen glücklich zurückgelegt, so führt eine
breite hohe Granittreppe hinan zum Haupttempel, wo dem lebens-
grossen Reitpferde des Götzen aus Bronze Reis geopfert wird und
fromme Pilger herbeirutschen, um die zerstreuten Reiskörner aufzu-
lesen und zu verspeisen, dann geht es weiter an prächtigen Bäumen
vorbei, mehr den Berg hinan von einer Sehenswürdigkeit und einem
Tempel zum andern. Besonders wirksame Kräuter vom Berge werden
da und dort feil geboten und von den Priestern Ofuda (Ablasskarten)
in grosser Auswahl für gutes Geld gegen mancherlei Uebel und Ge-
brechen. An einer anderen Stelle findet man den Plan zu einem neuen

*) Hier sah der Verfasser das einzige Mal während seines Aufenthaltes in
Japan Schubkarren, und zwar in sehr plumper, primitiver Form.
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[594/0640] III. Topographie. Tomioka und Hiwasa längs der Küste sind ebenfalls unbedeutende Orte. Awa gehört jetzt zu Kochi-ken. 4. Die Provinz Sanuki liegt im Nordwesten von Ashiu am Seto- uchi, woselbst auch alle grösseren Städte derselben zu finden sind. Ihre Producte stimmen mit denen von Awa überein. Früher theilten sich drei Daimio in die Provinz, welche jetzt mit Iyo den Ehime- (Yehime) ken bildet mit der Hauptstadt Matsuyama. Takamatsu, Hafen- stadt am Binnenmeere, früher Sitz des Daimio Matsudaira Sanuki-no- kami (120000 koku), hat 33000 Bewohner. Marugame mit 14000 Einwohnern ist die reizend am Binnenmeer gelegene frühere Residenz des Daimio Kiogoku (51500 koku), dessen Schloss man schon aus weiter Ferne auf einem Hügel erblickt. Hinter der Stadt erhebt sich der vulkanische Kegel Shiranemine oder Sanuki-Fuji mitten aus der fruchtbaren Ebene. Tadotsu, kaum eine Meile südwestlich von Marugame, ebenfalls schön gelegene Hafen- und alte Schlossstadt, wo eine Seitenlinie des Hauses Kiogoku wohnte, mit 10000 koku. Das Städtchen hat 4000 Bewohner und dient gleich Marugame als Ausgangspunkt für die Wallfahrten zu dem berühmten Tempel Kom- pila bei Kinrio. Dieser Ort ist etwa zwei geographische Meilen südöstlich, beziehungsweise südlich von den genannten Häfen entfernt und noch in derselben fruchtbaren Ebene. Die Wege zu ihm sind gut, von Pilgern und Bettlern frequentiert *). Kinrio mag 5600 Be- wohner zählen. Es ist voll geräumiger Herbergen. In einer der- selben speisen täglich gegen 500 Pilger. Ihr Ziel ist der berühmte Tempel des Gottes Kompila oder, wie ihn der officielle Shintôdienst jetzt zu nennen pflegt, Kotohira. Hat man den Weg längs der langen Reihe grosser Verkaufsbuden von Rosenkränzen, Götzen, Essstäbchen aus Sakakiholz (Cleyera japonica, der geweihten Shintôpflanze) und hundertelei anderen Dingen glücklich zurückgelegt, so führt eine breite hohe Granittreppe hinan zum Haupttempel, wo dem lebens- grossen Reitpferde des Götzen aus Bronze Reis geopfert wird und fromme Pilger herbeirutschen, um die zerstreuten Reiskörner aufzu- lesen und zu verspeisen, dann geht es weiter an prächtigen Bäumen vorbei, mehr den Berg hinan von einer Sehenswürdigkeit und einem Tempel zum andern. Besonders wirksame Kräuter vom Berge werden da und dort feil geboten und von den Priestern Ofuda (Ablasskarten) in grosser Auswahl für gutes Geld gegen mancherlei Uebel und Ge- brechen. An einer anderen Stelle findet man den Plan zu einem neuen *) Hier sah der Verfasser das einzige Mal während seines Aufenthaltes in Japan Schubkarren, und zwar in sehr plumper, primitiver Form.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/640>, abgerufen am 22.11.2024.