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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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I. Land- und Forstwirthschaft.
der unproductiven Bevölkerungsklasse, der Samurai im weitesten Sinne,
und damit auch das Maass der Abgaben bei den Bauern mehr und
mehr und erreichte namentlich in Kriegszeiten durch willkürliche
Maassregeln oft eine erdrückende Höhe. An Stelle des ursprünglichen
Lehnsverhältnisses zum Mikado trat das zu den Feudalherrn. Die
Bauern blieben bei allen Wechseln derselben an ihre Scholle gebun-
den und sind bis zur Stunde in jeder Beziehung die conservativste
Bevölkerungsklasse Japans. Die Hauptstütze und Kraft des Landes
ruht in den Händen dieses fleissigen, nüchternen und genügsamen
Bauernstandes, der noch immer unverdrossen den Boden bebaut, wie
er es seit Jahrhunderten unter den verschiedensten Machthabern ge-
wohnt war.

Um das Jahr 1595 n. Chr. ordnete Taiko-sama (Hideyoshi)
ihre Besteuerungsverhältnisse und bestimmte, dass die Naturalleistung
hinfort der dritte Theil des eingeschätzten Ertrags der Felder sein
und in Reis bestehen solle. Iyeyasu änderte bezüglich seiner grossen
Besitzungen nichts an dieser Ordnung, sondern bestimmte nur in dem
36. seiner Hundert-Gesetze, dass auch die Erträge der Wälder, Hai-
den, Berge und Flüsse mit in Anrechnung zu bringen seien*). Hier-
bei blieb es bis zum Jahre 1716, wo für die Ländereien des Shogun
eine Erhöhung der Abgaben auf die Hälfte der eingeschätzten Erträge
stattfand. In den Herrschaften der Daimio's waren die Abgaben
keineswegs überall gleich. Während die Bauern unter dem einen
dieser Feudalherrn durch die hohe Landtaxe fast erdrückt wurden
und in äusserster Armuth lebten, zeigte der grössere Wohlstand, die
Anlage von Wegen, Brücken und Stegen und manches Andere die
milde, fürsorgliche Herrschaft eines Nachbars an. Aber ungeachtet
dieser grossen Verschiedenheit der Belastung des Grundeigenthums
in den einzelnen Herrschaften verrichtete der Bauer in altgewohnter
Weise seine Arbeiten und lebte ruhig und gefügig selbst dann, wenn
die Ernte schlecht war und er fast den ganzen Ertrag abliefern musste,
so dass er für sich und seine Familie nachher auf das Wohlwollen
seines Herrn und dessen Magazine angewiesen war.

Das Ackerland war in vier Klassen getheilt, deren erste und
steuerfähigste die Reisfelder umfasste. Alle Erträge und Abgaben
wurden nach koku Reis**) abgeschätzt und die der andern Feld-
früchte auf das Aequivalent in Reis reduciert. Ein Daimio von 10000

*) Kempermann: "Die Gesetze des Iyeyasu" in Mitth. d. d. Gesellschaft etc.
I pag. 12.
**) Ein koku umfasst 180,4 Liter. Der Werth eines koku Reis wechselte
zwischen 21/2 und 5 Dollars.

I. Land- und Forstwirthschaft.
der unproductiven Bevölkerungsklasse, der Samurai im weitesten Sinne,
und damit auch das Maass der Abgaben bei den Bauern mehr und
mehr und erreichte namentlich in Kriegszeiten durch willkürliche
Maassregeln oft eine erdrückende Höhe. An Stelle des ursprünglichen
Lehnsverhältnisses zum Mikado trat das zu den Feudalherrn. Die
Bauern blieben bei allen Wechseln derselben an ihre Scholle gebun-
den und sind bis zur Stunde in jeder Beziehung die conservativste
Bevölkerungsklasse Japans. Die Hauptstütze und Kraft des Landes
ruht in den Händen dieses fleissigen, nüchternen und genügsamen
Bauernstandes, der noch immer unverdrossen den Boden bebaut, wie
er es seit Jahrhunderten unter den verschiedensten Machthabern ge-
wohnt war.

Um das Jahr 1595 n. Chr. ordnete Taikô-sama (Hideyoshi)
ihre Besteuerungsverhältnisse und bestimmte, dass die Naturalleistung
hinfort der dritte Theil des eingeschätzten Ertrags der Felder sein
und in Reis bestehen solle. Iyeyasu änderte bezüglich seiner grossen
Besitzungen nichts an dieser Ordnung, sondern bestimmte nur in dem
36. seiner Hundert-Gesetze, dass auch die Erträge der Wälder, Hai-
den, Berge und Flüsse mit in Anrechnung zu bringen seien*). Hier-
bei blieb es bis zum Jahre 1716, wo für die Ländereien des Shôgun
eine Erhöhung der Abgaben auf die Hälfte der eingeschätzten Erträge
stattfand. In den Herrschaften der Daimiô’s waren die Abgaben
keineswegs überall gleich. Während die Bauern unter dem einen
dieser Feudalherrn durch die hohe Landtaxe fast erdrückt wurden
und in äusserster Armuth lebten, zeigte der grössere Wohlstand, die
Anlage von Wegen, Brücken und Stegen und manches Andere die
milde, fürsorgliche Herrschaft eines Nachbars an. Aber ungeachtet
dieser grossen Verschiedenheit der Belastung des Grundeigenthums
in den einzelnen Herrschaften verrichtete der Bauer in altgewohnter
Weise seine Arbeiten und lebte ruhig und gefügig selbst dann, wenn
die Ernte schlecht war und er fast den ganzen Ertrag abliefern musste,
so dass er für sich und seine Familie nachher auf das Wohlwollen
seines Herrn und dessen Magazine angewiesen war.

Das Ackerland war in vier Klassen getheilt, deren erste und
steuerfähigste die Reisfelder umfasste. Alle Erträge und Abgaben
wurden nach koku Reis**) abgeschätzt und die der andern Feld-
früchte auf das Aequivalent in Reis reduciert. Ein Daimiô von 10000

*) Kempermann: »Die Gesetze des Iyeyasu« in Mitth. d. d. Gesellschaft etc.
I pag. 12.
**) Ein koku umfasst 180,4 Liter. Der Werth eines koku Reis wechselte
zwischen 2½ und 5 Dollars.
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[8/0028] I. Land- und Forstwirthschaft. der unproductiven Bevölkerungsklasse, der Samurai im weitesten Sinne, und damit auch das Maass der Abgaben bei den Bauern mehr und mehr und erreichte namentlich in Kriegszeiten durch willkürliche Maassregeln oft eine erdrückende Höhe. An Stelle des ursprünglichen Lehnsverhältnisses zum Mikado trat das zu den Feudalherrn. Die Bauern blieben bei allen Wechseln derselben an ihre Scholle gebun- den und sind bis zur Stunde in jeder Beziehung die conservativste Bevölkerungsklasse Japans. Die Hauptstütze und Kraft des Landes ruht in den Händen dieses fleissigen, nüchternen und genügsamen Bauernstandes, der noch immer unverdrossen den Boden bebaut, wie er es seit Jahrhunderten unter den verschiedensten Machthabern ge- wohnt war. Um das Jahr 1595 n. Chr. ordnete Taikô-sama (Hideyoshi) ihre Besteuerungsverhältnisse und bestimmte, dass die Naturalleistung hinfort der dritte Theil des eingeschätzten Ertrags der Felder sein und in Reis bestehen solle. Iyeyasu änderte bezüglich seiner grossen Besitzungen nichts an dieser Ordnung, sondern bestimmte nur in dem 36. seiner Hundert-Gesetze, dass auch die Erträge der Wälder, Hai- den, Berge und Flüsse mit in Anrechnung zu bringen seien *). Hier- bei blieb es bis zum Jahre 1716, wo für die Ländereien des Shôgun eine Erhöhung der Abgaben auf die Hälfte der eingeschätzten Erträge stattfand. In den Herrschaften der Daimiô’s waren die Abgaben keineswegs überall gleich. Während die Bauern unter dem einen dieser Feudalherrn durch die hohe Landtaxe fast erdrückt wurden und in äusserster Armuth lebten, zeigte der grössere Wohlstand, die Anlage von Wegen, Brücken und Stegen und manches Andere die milde, fürsorgliche Herrschaft eines Nachbars an. Aber ungeachtet dieser grossen Verschiedenheit der Belastung des Grundeigenthums in den einzelnen Herrschaften verrichtete der Bauer in altgewohnter Weise seine Arbeiten und lebte ruhig und gefügig selbst dann, wenn die Ernte schlecht war und er fast den ganzen Ertrag abliefern musste, so dass er für sich und seine Familie nachher auf das Wohlwollen seines Herrn und dessen Magazine angewiesen war. Das Ackerland war in vier Klassen getheilt, deren erste und steuerfähigste die Reisfelder umfasste. Alle Erträge und Abgaben wurden nach koku Reis **) abgeschätzt und die der andern Feld- früchte auf das Aequivalent in Reis reduciert. Ein Daimiô von 10000 *) Kempermann: »Die Gesetze des Iyeyasu« in Mitth. d. d. Gesellschaft etc. I pag. 12. **) Ein koku umfasst 180,4 Liter. Der Werth eines koku Reis wechselte zwischen 2½ und 5 Dollars.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/28>, abgerufen am 24.11.2024.