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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
quisque norit artem in hac se exerceat" über dem einen Eingang zum
Kensington-Museum auch auf sie passt.

Mit der Entwickelung des Feudalismus unter den Minamoto und
mehr noch seit der Pacification des Landes durch Iyeyasu am Anfang
des 17. Jahrhunderts gesellte sich der Feudaladel (der Hofadel war
zu arm) als Förderer des Kunstgewerbes zum Cultus. Die Burgen der
Daimios wurden von nun an neben den Tempeln die Sammelplätze
seiner besten Leistungen. Die Herrschaft der Tokugawa-Shogune (oder
Taikune) in Yedo, d. h. die Zeit von der Schlacht bei Sekigahara im
Jahre 1600 bis zur Restauration der Mikadomacht im Jahre 1868, ist
das goldene Zeitalter des japanischen Kunsthandwerks. Der lange
Frieden und die fast ebenso lange Abgeschlossenheit des Landes dien-
ten dazu, die verschiedenen Zweige desselben zu kräftiger und eigen-
artiger Entwickelung zu bringen. Die Keime hierzu waren durch einen
langen Verkehr mit Korea und China, welch letzteres über 1500 Jahre
hindurch als Vorbild gedient hatte, sowie in Folge der Expedition nach
Korea, welche im Jahre 1586 von Hideyoshi organisiert wurde, nach
Japan gelangt und hatten sich dann auf diesem neuen fruchtbaren
Boden während einer langen ungestörten Pflege entwickelt und zur
schönsten Blüthe entfaltet.

Stand und Leistungsfähigkeit des japanischen Kunstgewerbes in
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden am besten durch seine
verschiedenen Producte in Nikko erkannt. Nachdem dieser herrliche
Tempelgrund*) am Fusse des wald- und wasserreichen Gebirges zur
Ruhestätte des grossen Shogun Iyeyasu nach dessen Wunsch herge-
richtet und seine Gebeine 1617 von Ku-no-zan in Suruga in das für
sie bestimmte Grab übergeführt waren, bemühten sich die Grossen
und treuesten Anhänger ihres verstorbenen Herrn und Führers, den-
selben auch im Tode nach Vermögen zu ehren. Die Tempel und
Pagoden, granitenen Säulen und Wasserbecken, Stein- und Bronze-
laternen, sowie die vielen Glocken, ferner die Holzschnitzereien in
Relief und durchbrochener Arbeit, welche sie stifteten, die vielen
Priestergewänder und sonstigen Geräthe, Lackarbeiten und anderes
mehr aus jener Zeit sind uns unzweifelhafte Beweise dafür, dass das
Kunstgewerbe damals schon einen hohen Grad der Vollkommenheit
erlangt hatte. Seine Fortentwickelung erkennt man an manchem herr-
lichen Gegenstande in den Shogungräbern zu Shiba und Uyeno in
Tokio, sowie in verschiedenen berühmten Tempeln der folgenden Zeit.
Einige Kunstkenner betrachten aber die Regierung des 11. Shogun

*) Vgl. die Darstellungen zu S. 350, 529, 536 in Bd. I.
Rein, Japan. II. 25

1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
quisque norit artem in hac se exerceat« über dem einen Eingang zum
Kensington-Museum auch auf sie passt.

Mit der Entwickelung des Feudalismus unter den Minamoto und
mehr noch seit der Pacification des Landes durch Iyeyasu am Anfang
des 17. Jahrhunderts gesellte sich der Feudaladel (der Hofadel war
zu arm) als Förderer des Kunstgewerbes zum Cultus. Die Burgen der
Daimiôs wurden von nun an neben den Tempeln die Sammelplätze
seiner besten Leistungen. Die Herrschaft der Tôkugawa-Shôgune (oder
Taikune) in Yedo, d. h. die Zeit von der Schlacht bei Sekigahara im
Jahre 1600 bis zur Restauration der Mikadomacht im Jahre 1868, ist
das goldene Zeitalter des japanischen Kunsthandwerks. Der lange
Frieden und die fast ebenso lange Abgeschlossenheit des Landes dien-
ten dazu, die verschiedenen Zweige desselben zu kräftiger und eigen-
artiger Entwickelung zu bringen. Die Keime hierzu waren durch einen
langen Verkehr mit Korea und China, welch letzteres über 1500 Jahre
hindurch als Vorbild gedient hatte, sowie in Folge der Expedition nach
Korea, welche im Jahre 1586 von Hideyoshi organisiert wurde, nach
Japan gelangt und hatten sich dann auf diesem neuen fruchtbaren
Boden während einer langen ungestörten Pflege entwickelt und zur
schönsten Blüthe entfaltet.

Stand und Leistungsfähigkeit des japanischen Kunstgewerbes in
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden am besten durch seine
verschiedenen Producte in Nikkô erkannt. Nachdem dieser herrliche
Tempelgrund*) am Fusse des wald- und wasserreichen Gebirges zur
Ruhestätte des grossen Shôgun Iyeyasu nach dessen Wunsch herge-
richtet und seine Gebeine 1617 von Ku-nô-zan in Suruga in das für
sie bestimmte Grab übergeführt waren, bemühten sich die Grossen
und treuesten Anhänger ihres verstorbenen Herrn und Führers, den-
selben auch im Tode nach Vermögen zu ehren. Die Tempel und
Pagoden, granitenen Säulen und Wasserbecken, Stein- und Bronze-
laternen, sowie die vielen Glocken, ferner die Holzschnitzereien in
Relief und durchbrochener Arbeit, welche sie stifteten, die vielen
Priestergewänder und sonstigen Geräthe, Lackarbeiten und anderes
mehr aus jener Zeit sind uns unzweifelhafte Beweise dafür, dass das
Kunstgewerbe damals schon einen hohen Grad der Vollkommenheit
erlangt hatte. Seine Fortentwickelung erkennt man an manchem herr-
lichen Gegenstande in den Shôgungräbern zu Shiba und Uyeno in
Tôkio, sowie in verschiedenen berühmten Tempeln der folgenden Zeit.
Einige Kunstkenner betrachten aber die Regierung des 11. Shôgun

*) Vgl. die Darstellungen zu S. 350, 529, 536 in Bd. I.
Rein, Japan. II. 25
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[385/0409] 1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen. quisque norit artem in hac se exerceat« über dem einen Eingang zum Kensington-Museum auch auf sie passt. Mit der Entwickelung des Feudalismus unter den Minamoto und mehr noch seit der Pacification des Landes durch Iyeyasu am Anfang des 17. Jahrhunderts gesellte sich der Feudaladel (der Hofadel war zu arm) als Förderer des Kunstgewerbes zum Cultus. Die Burgen der Daimiôs wurden von nun an neben den Tempeln die Sammelplätze seiner besten Leistungen. Die Herrschaft der Tôkugawa-Shôgune (oder Taikune) in Yedo, d. h. die Zeit von der Schlacht bei Sekigahara im Jahre 1600 bis zur Restauration der Mikadomacht im Jahre 1868, ist das goldene Zeitalter des japanischen Kunsthandwerks. Der lange Frieden und die fast ebenso lange Abgeschlossenheit des Landes dien- ten dazu, die verschiedenen Zweige desselben zu kräftiger und eigen- artiger Entwickelung zu bringen. Die Keime hierzu waren durch einen langen Verkehr mit Korea und China, welch letzteres über 1500 Jahre hindurch als Vorbild gedient hatte, sowie in Folge der Expedition nach Korea, welche im Jahre 1586 von Hideyoshi organisiert wurde, nach Japan gelangt und hatten sich dann auf diesem neuen fruchtbaren Boden während einer langen ungestörten Pflege entwickelt und zur schönsten Blüthe entfaltet. Stand und Leistungsfähigkeit des japanischen Kunstgewerbes in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden am besten durch seine verschiedenen Producte in Nikkô erkannt. Nachdem dieser herrliche Tempelgrund *) am Fusse des wald- und wasserreichen Gebirges zur Ruhestätte des grossen Shôgun Iyeyasu nach dessen Wunsch herge- richtet und seine Gebeine 1617 von Ku-nô-zan in Suruga in das für sie bestimmte Grab übergeführt waren, bemühten sich die Grossen und treuesten Anhänger ihres verstorbenen Herrn und Führers, den- selben auch im Tode nach Vermögen zu ehren. Die Tempel und Pagoden, granitenen Säulen und Wasserbecken, Stein- und Bronze- laternen, sowie die vielen Glocken, ferner die Holzschnitzereien in Relief und durchbrochener Arbeit, welche sie stifteten, die vielen Priestergewänder und sonstigen Geräthe, Lackarbeiten und anderes mehr aus jener Zeit sind uns unzweifelhafte Beweise dafür, dass das Kunstgewerbe damals schon einen hohen Grad der Vollkommenheit erlangt hatte. Seine Fortentwickelung erkennt man an manchem herr- lichen Gegenstande in den Shôgungräbern zu Shiba und Uyeno in Tôkio, sowie in verschiedenen berühmten Tempeln der folgenden Zeit. Einige Kunstkenner betrachten aber die Regierung des 11. Shôgun *) Vgl. die Darstellungen zu S. 350, 529, 536 in Bd. I. Rein, Japan. II. 25

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/409>, abgerufen am 23.11.2024.