Als Japan im Jahre 1873 auf der Wiener Ausstellung zum ersten Mal die Mannigfaltigkeit, den Reichthum und die geschmackvolle Aus- stattung seiner Kinu oder Seidengewebe entfaltete, staunte nicht blos der Laie, sondern mehr noch der sachverständige Preisrichter über diese ungeahnten Leistungen. Da waren neben einer reichen Auswahl glatter, einfacher Stoffe und überraschend schöner geköperter Gewebe voll Weichheit und Eleganz, vor allem schwere Brocate und andere gemusterte Stoffe in nicht geahnter Pracht und mit zum Teil ganz neuen Hülfsmitteln und Decorationsweisen zu sehen. Wohl war auch in diesem Zweige des Kunstgewerbes der Chinese des Japaners Lehr- meister und Vorbild gewesen, doch wie in verschiedenen andern Fällen, so auch in diesem von dem Schüler längst überflügelt worden. Es gibt keine grössere Anerkennung der Leistungen japanischer Seiden- weberei, als das Urteil des sachverständigen Preisrichters auf der Wiener Weltausstellung, des Handelskammer-Präsidenten Al. Heimen- dahl zu Crefeld.
"Mag man", so schreibt derselbe in seinem Bericht über Seiden und Seidenwaaren, "noch so sehr geneigt sein, über vieles Burleske und Bizarre im Dessin, über allerlei eigenthümliche Stilrichtungen den Kopf zu schütteln, alle die Unschönheiten werden gleichsam veredelt durch einen gemeinsamen Zug, der überall zu finden ist: die Lust und Ausdauer in der Arbeit. Aber neben diesen erwähnten Excentricitäten macht sich anderseits wiederum ein so feiner Sinn für Form und Farbe geltend, zeigt man uns Stoffe in den zartesten gebrochenen Tönen, in den anmuthigsten Dessins, in Ornamenten mit Gold und Silber gemischt, welche die Natur nicht nachbilden, sondern sie nur zu phantastischen Neubildungen benutzen, so dass sie alles übertreffen, was die euro- päische Kunstweberei zur Ausstellung brachte." --
Während die Seidenzucht Japans seit Eröffnung des neuen Ver- kehrs und der Restauration der Mikado-Herrschaft einen bedeutenden Aufschwung nahm, ist die Seidenindustrie in hohem Grade und auf mancherlei Weise geschädigt worden. Die billigen Woll- und Baum- wollstoffe, welche das Ausland seit mehreren Jahrzehnten auf den Markt wirft, machen den Seidengeweben immer grössere Concurrenz. Die Sammetweberei hat gegenüber dem überaus billigen Baumwollsammet von Manchester ihre Arbeit bereits vor 10 Jahren grösstenteils ein- stellen müssen. Hierzu kommt, dass die mit dem Jahre 1859 beginnende und in den folgenden Jahren sich rasch steigernde Ausfuhr von Roh-
tygerne här äga kunna de icke utföras och af Europeerne nytjas." -- Thunberg: "Resa uti Europa, Africa, Asia". IV. pg. 105. Upsala 1793.
III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
Als Japan im Jahre 1873 auf der Wiener Ausstellung zum ersten Mal die Mannigfaltigkeit, den Reichthum und die geschmackvolle Aus- stattung seiner Kinu oder Seidengewebe entfaltete, staunte nicht blos der Laie, sondern mehr noch der sachverständige Preisrichter über diese ungeahnten Leistungen. Da waren neben einer reichen Auswahl glatter, einfacher Stoffe und überraschend schöner geköperter Gewebe voll Weichheit und Eleganz, vor allem schwere Brocate und andere gemusterte Stoffe in nicht geahnter Pracht und mit zum Teil ganz neuen Hülfsmitteln und Decorationsweisen zu sehen. Wohl war auch in diesem Zweige des Kunstgewerbes der Chinese des Japaners Lehr- meister und Vorbild gewesen, doch wie in verschiedenen andern Fällen, so auch in diesem von dem Schüler längst überflügelt worden. Es gibt keine grössere Anerkennung der Leistungen japanischer Seiden- weberei, als das Urteil des sachverständigen Preisrichters auf der Wiener Weltausstellung, des Handelskammer-Präsidenten Al. Heimen- dahl zu Crefeld.
»Mag man«, so schreibt derselbe in seinem Bericht über Seiden und Seidenwaaren, »noch so sehr geneigt sein, über vieles Burleske und Bizarre im Dessin, über allerlei eigenthümliche Stilrichtungen den Kopf zu schütteln, alle die Unschönheiten werden gleichsam veredelt durch einen gemeinsamen Zug, der überall zu finden ist: die Lust und Ausdauer in der Arbeit. Aber neben diesen erwähnten Excentricitäten macht sich anderseits wiederum ein so feiner Sinn für Form und Farbe geltend, zeigt man uns Stoffe in den zartesten gebrochenen Tönen, in den anmuthigsten Dessins, in Ornamenten mit Gold und Silber gemischt, welche die Natur nicht nachbilden, sondern sie nur zu phantastischen Neubildungen benutzen, so dass sie alles übertreffen, was die euro- päische Kunstweberei zur Ausstellung brachte.« —
Während die Seidenzucht Japans seit Eröffnung des neuen Ver- kehrs und der Restauration der Mikado-Herrschaft einen bedeutenden Aufschwung nahm, ist die Seidenindustrie in hohem Grade und auf mancherlei Weise geschädigt worden. Die billigen Woll- und Baum- wollstoffe, welche das Ausland seit mehreren Jahrzehnten auf den Markt wirft, machen den Seidengeweben immer grössere Concurrenz. Die Sammetweberei hat gegenüber dem überaus billigen Baumwollsammet von Manchester ihre Arbeit bereits vor 10 Jahren grösstenteils ein- stellen müssen. Hierzu kommt, dass die mit dem Jahre 1859 beginnende und in den folgenden Jahren sich rasch steigernde Ausfuhr von Roh-
tygerne här äga kunna de icke utföras och af Européerne nytjas.« — Thunberg: »Resa uti Europa, Africa, Asia«. IV. pg. 105. Upsala 1793.
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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
Als Japan im Jahre 1873 auf der Wiener Ausstellung zum ersten
Mal die Mannigfaltigkeit, den Reichthum und die geschmackvolle Aus-
stattung seiner Kinu oder Seidengewebe entfaltete, staunte nicht blos
der Laie, sondern mehr noch der sachverständige Preisrichter über
diese ungeahnten Leistungen. Da waren neben einer reichen Auswahl
glatter, einfacher Stoffe und überraschend schöner geköperter Gewebe
voll Weichheit und Eleganz, vor allem schwere Brocate und andere
gemusterte Stoffe in nicht geahnter Pracht und mit zum Teil ganz
neuen Hülfsmitteln und Decorationsweisen zu sehen. Wohl war auch
in diesem Zweige des Kunstgewerbes der Chinese des Japaners Lehr-
meister und Vorbild gewesen, doch wie in verschiedenen andern Fällen,
so auch in diesem von dem Schüler längst überflügelt worden. Es
gibt keine grössere Anerkennung der Leistungen japanischer Seiden-
weberei, als das Urteil des sachverständigen Preisrichters auf der
Wiener Weltausstellung, des Handelskammer-Präsidenten Al. Heimen-
dahl zu Crefeld.
»Mag man«, so schreibt derselbe in seinem Bericht über Seiden
und Seidenwaaren, »noch so sehr geneigt sein, über vieles Burleske
und Bizarre im Dessin, über allerlei eigenthümliche Stilrichtungen den
Kopf zu schütteln, alle die Unschönheiten werden gleichsam veredelt
durch einen gemeinsamen Zug, der überall zu finden ist: die Lust und
Ausdauer in der Arbeit. Aber neben diesen erwähnten Excentricitäten
macht sich anderseits wiederum ein so feiner Sinn für Form und Farbe
geltend, zeigt man uns Stoffe in den zartesten gebrochenen Tönen, in
den anmuthigsten Dessins, in Ornamenten mit Gold und Silber gemischt,
welche die Natur nicht nachbilden, sondern sie nur zu phantastischen
Neubildungen benutzen, so dass sie alles übertreffen, was die euro-
päische Kunstweberei zur Ausstellung brachte.« —
Während die Seidenzucht Japans seit Eröffnung des neuen Ver-
kehrs und der Restauration der Mikado-Herrschaft einen bedeutenden
Aufschwung nahm, ist die Seidenindustrie in hohem Grade und auf
mancherlei Weise geschädigt worden. Die billigen Woll- und Baum-
wollstoffe, welche das Ausland seit mehreren Jahrzehnten auf den Markt
wirft, machen den Seidengeweben immer grössere Concurrenz. Die
Sammetweberei hat gegenüber dem überaus billigen Baumwollsammet
von Manchester ihre Arbeit bereits vor 10 Jahren grösstenteils ein-
stellen müssen. Hierzu kommt, dass die mit dem Jahre 1859 beginnende
und in den folgenden Jahren sich rasch steigernde Ausfuhr von Roh-
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***) tygerne här äga kunna de icke utföras och af Européerne nytjas.« — Thunberg:
»Resa uti Europa, Africa, Asia«. IV. pg. 105. Upsala 1793.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/482>, abgerufen am 22.11.2024.
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