Rennenkampff, Gustav Reinhold Georg von: Ueber die bevorstehende Freiheit der Ehsten und Letten. Dorpat, 1820.Wann und wie werden die Leibeigenen frei? Wenn alle Bauern zu gleicher Zeit, und plötzlich ohne darauf vorbereitet zu sein, die Freiheit erhielten, würden sie wohl wissen, was sie anfangen sollten? Ich zweifle, daß sie es wüßten. Der kluge Mensch wird freilich immer wissen, was er anfangen soll, um sich seinen Unterhalt zu erwerben; allein wie wenige der wirklich klugen Leute giebt es? Und sollen wir denn nicht mit christlicher Bruderliebe auch für den Unwissenden sorgen, und jeden Schaden zu verhüten suchen, der ihn durch unsere menschlichen Unordnungen und Gesetze treffen kann? Wenn der Unwissende, der von dem Zustande, in welchen er als freier Mensch treten wird, noch nichts weiß, und sich auf denselben also auch noch nicht hat vorbereiten können, plötzlich die gewünschte Freiheit erhielt, und durch Irrthum bethört, seinen Herrn oder Wirthen so schnell als möglich verlassen zu müssen glaubte, um in der Ferne unbekanntes Glück und unbekannten Erwerb zu suchen, und dann ohne Paß, ohne Wann und wie werden die Leibeigenen frei? Wenn alle Bauern zu gleicher Zeit, und plötzlich ohne darauf vorbereitet zu sein, die Freiheit erhielten, würden sie wohl wissen, was sie anfangen sollten? Ich zweifle, daß sie es wüßten. Der kluge Mensch wird freilich immer wissen, was er anfangen soll, um sich seinen Unterhalt zu erwerben; allein wie wenige der wirklich klugen Leute giebt es? Und sollen wir denn nicht mit christlicher Bruderliebe auch für den Unwissenden sorgen, und jeden Schaden zu verhüten suchen, der ihn durch unsere menschlichen Unordnungen und Gesetze treffen kann? Wenn der Unwissende, der von dem Zustande, in welchen er als freier Mensch treten wird, noch nichts weiß, und sich auf denselben also auch noch nicht hat vorbereiten können, plötzlich die gewünschte Freiheit erhielt, und durch Irrthum bethört, seinen Herrn oder Wirthen so schnell als möglich verlassen zu müssen glaubte, um in der Ferne unbekanntes Glück und unbekannten Erwerb zu suchen, und dann ohne Paß, ohne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0021" n="21"/> <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">Wann und wie werden die Leibeigenen frei?</hi> </p> <p>Wenn alle Bauern zu gleicher Zeit, und plötzlich ohne darauf vorbereitet zu sein, die Freiheit erhielten, würden sie wohl wissen, was sie anfangen sollten? Ich zweifle, daß sie es wüßten. Der kluge Mensch wird freilich immer wissen, was er anfangen soll, um sich seinen Unterhalt zu erwerben; allein wie wenige der wirklich klugen Leute giebt es? Und sollen wir denn nicht mit christlicher Bruderliebe auch für den Unwissenden sorgen, und jeden Schaden zu verhüten suchen, der ihn durch unsere menschlichen Unordnungen und Gesetze treffen kann? Wenn der Unwissende, der von dem Zustande, in welchen er als freier Mensch treten wird, noch nichts weiß, und sich auf denselben also auch noch nicht hat vorbereiten können, plötzlich die gewünschte Freiheit erhielt, und durch Irrthum bethört, seinen Herrn oder Wirthen so schnell als möglich verlassen zu müssen glaubte, um in der Ferne unbekanntes Glück und unbekannten Erwerb zu suchen, und dann ohne Paß, ohne </p> </div> </body> </text> </TEI> [21/0021]
Wann und wie werden die Leibeigenen frei?
Wenn alle Bauern zu gleicher Zeit, und plötzlich ohne darauf vorbereitet zu sein, die Freiheit erhielten, würden sie wohl wissen, was sie anfangen sollten? Ich zweifle, daß sie es wüßten. Der kluge Mensch wird freilich immer wissen, was er anfangen soll, um sich seinen Unterhalt zu erwerben; allein wie wenige der wirklich klugen Leute giebt es? Und sollen wir denn nicht mit christlicher Bruderliebe auch für den Unwissenden sorgen, und jeden Schaden zu verhüten suchen, der ihn durch unsere menschlichen Unordnungen und Gesetze treffen kann? Wenn der Unwissende, der von dem Zustande, in welchen er als freier Mensch treten wird, noch nichts weiß, und sich auf denselben also auch noch nicht hat vorbereiten können, plötzlich die gewünschte Freiheit erhielt, und durch Irrthum bethört, seinen Herrn oder Wirthen so schnell als möglich verlassen zu müssen glaubte, um in der Ferne unbekanntes Glück und unbekannten Erwerb zu suchen, und dann ohne Paß, ohne
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