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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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barte. Sie wissen, daß ich bey unsrer Handelsrei-
se von den Patagonen sehr gut anfgenommen worden
bin. Das junge Mädchen, welches sie und meinen
Bruder zuerst erblickte, bezeigte mir vorzüglich viel
Neigung, und sobald eins von des andern Sprache
etliche Worte verstehen konnte, versicherte sie mich,
daß wenn ich der ihrige seyn wollte, sie keinen Pata-
gon iemals achten würde. Sie wissen wie artig sie
ist und wie schön sie gewachsen! Mein Herz konnte
ihr nicht widerstehen. Jch sagte ihr, daß ich der
älteste Sohn des Oberhaupts der kleinen Menschen
sey, und sie antwortete mir, daß bey ihnen alle ein-
ander gleich wären; daß aber ihr Vater beym Volke
sehr geachtet sey, und wenn ich mehr als die übrigen
kleinen Menschen wäre, auch dadurch wir einander
gleich kämen. Wir verabredeten einander oft zu
sehn. Bey unsrer Abreise schien sie sehr betrübt; ich
sagt' ihr, daß ich durch Hülfe meiner Flügel, den
einzigen Vorzug unsrer Familie, sie fast alle Tage se-
hen könnte. Jch habs auch nicht unterlassen, mein
Vater: ich kann Jhnen nicht beschreiben, wie sehr
ich sie liebe und geliebt werde: aber ich verkenne die
Schwierigkeiten nicht: werden Sie, wird meine Mut-
ter einwilligen, daß ich eine solche Gemahlin nehme?
Wird die Nation sich nicht an diesen Anblick stossen?
Und wenn auch ihre Güte mir alle diese Schwierig-
keiten überwinden hülfe, würden die Patagonen, die
uns kaum für Menschen halten, es gern sehen, daß
eine von ihren Töchtern einem Zwerg in Vergleichung
ihrer, zu Theil werde? Sehn sie, mein lieber Herr
und Vater, alles was ich mir vorgestellt habe, ohne

je-



barte. Sie wiſſen, daß ich bey unſrer Handelsrei-
ſe von den Patagonen ſehr gut anfgenommen worden
bin. Das junge Maͤdchen, welches ſie und meinen
Bruder zuerſt erblickte, bezeigte mir vorzuͤglich viel
Neigung, und ſobald eins von des andern Sprache
etliche Worte verſtehen konnte, verſicherte ſie mich,
daß wenn ich der ihrige ſeyn wollte, ſie keinen Pata-
gon iemals achten wuͤrde. Sie wiſſen wie artig ſie
iſt und wie ſchoͤn ſie gewachſen! Mein Herz konnte
ihr nicht widerſtehen. Jch ſagte ihr, daß ich der
aͤlteſte Sohn des Oberhaupts der kleinen Menſchen
ſey, und ſie antwortete mir, daß bey ihnen alle ein-
ander gleich waͤren; daß aber ihr Vater beym Volke
ſehr geachtet ſey, und wenn ich mehr als die uͤbrigen
kleinen Menſchen waͤre, auch dadurch wir einander
gleich kaͤmen. Wir verabredeten einander oft zu
ſehn. Bey unſrer Abreiſe ſchien ſie ſehr betruͤbt; ich
ſagt’ ihr, daß ich durch Huͤlfe meiner Fluͤgel, den
einzigen Vorzug unſrer Familie, ſie faſt alle Tage ſe-
hen koͤnnte. Jch habs auch nicht unterlaſſen, mein
Vater: ich kann Jhnen nicht beſchreiben, wie ſehr
ich ſie liebe und geliebt werde: aber ich verkenne die
Schwierigkeiten nicht: werden Sie, wird meine Mut-
ter einwilligen, daß ich eine ſolche Gemahlin nehme?
Wird die Nation ſich nicht an dieſen Anblick ſtoſſen?
Und wenn auch ihre Guͤte mir alle dieſe Schwierig-
keiten uͤberwinden huͤlfe, wuͤrden die Patagonen, die
uns kaum fuͤr Menſchen halten, es gern ſehen, daß
eine von ihren Toͤchtern einem Zwerg in Vergleichung
ihrer, zu Theil werde? Sehn ſie, mein lieber Herr
und Vater, alles was ich mir vorgeſtellt habe, ohne

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[141/0149] barte. Sie wiſſen, daß ich bey unſrer Handelsrei- ſe von den Patagonen ſehr gut anfgenommen worden bin. Das junge Maͤdchen, welches ſie und meinen Bruder zuerſt erblickte, bezeigte mir vorzuͤglich viel Neigung, und ſobald eins von des andern Sprache etliche Worte verſtehen konnte, verſicherte ſie mich, daß wenn ich der ihrige ſeyn wollte, ſie keinen Pata- gon iemals achten wuͤrde. Sie wiſſen wie artig ſie iſt und wie ſchoͤn ſie gewachſen! Mein Herz konnte ihr nicht widerſtehen. Jch ſagte ihr, daß ich der aͤlteſte Sohn des Oberhaupts der kleinen Menſchen ſey, und ſie antwortete mir, daß bey ihnen alle ein- ander gleich waͤren; daß aber ihr Vater beym Volke ſehr geachtet ſey, und wenn ich mehr als die uͤbrigen kleinen Menſchen waͤre, auch dadurch wir einander gleich kaͤmen. Wir verabredeten einander oft zu ſehn. Bey unſrer Abreiſe ſchien ſie ſehr betruͤbt; ich ſagt’ ihr, daß ich durch Huͤlfe meiner Fluͤgel, den einzigen Vorzug unſrer Familie, ſie faſt alle Tage ſe- hen koͤnnte. Jch habs auch nicht unterlaſſen, mein Vater: ich kann Jhnen nicht beſchreiben, wie ſehr ich ſie liebe und geliebt werde: aber ich verkenne die Schwierigkeiten nicht: werden Sie, wird meine Mut- ter einwilligen, daß ich eine ſolche Gemahlin nehme? Wird die Nation ſich nicht an dieſen Anblick ſtoſſen? Und wenn auch ihre Guͤte mir alle dieſe Schwierig- keiten uͤberwinden huͤlfe, wuͤrden die Patagonen, die uns kaum fuͤr Menſchen halten, es gern ſehen, daß eine von ihren Toͤchtern einem Zwerg in Vergleichung ihrer, zu Theil werde? Sehn ſie, mein lieber Herr und Vater, alles was ich mir vorgeſtellt habe, ohne je-

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/149>, abgerufen am 21.11.2024.