Unter allen Menschen, den ich bisher auf meiner sechs monatlichen Wanderung durch die mittägigen Gegenden Frankreichs begegnet habe, sind sie der ein- zige, dem ich mich entdecken zu können glaube, und von dem ich hoffe, daß sie mir in meinen Untersu- chungen behülflich seyn werden. Weder Schätze noch Reichthümer sind die Absicht meiner Reise, son- dern ein weit wichtigerer Gegenstand. Jch suche die Freundschaft eines Weisen vom ersten Range, eines Weltweisen, der über den gemeinen Haufen er- haben ist, wie Rousseau, Voltäre oder Büffon, und der einwilligte, sich mit mir durch diejenigen unserer Prinzen von Geblüt wegführen zu lassen, in deren Gewalt es steht, sich künstlicher Flügel zu bedienen, und damit die ganze Welt zu durchreisen. Noch heut will ich ihnen die Geschichte des weisen Sterblichen erzählen, dem wir den Ursprung der vortrefflichsten aller Regierungen zu verdanken haben. Aber vor- her wünscht' ich von ihnen Belehrung wegen gewisser mir unbekannten Dinge zu erhalten.
"Welche von ihren großen Männern möchten zum Beyspiel wohl Lust haben, sich in die Südländer bringen zu lassen."
"Keine leichte Frage! war meine Antwort. Un- sere größten Männer sind Voltäre, Rousseau und Büffon: Es ist noch ein gewisser Franklin, Gesand- ter der vereinigten Staaten in Amerika hier, der viel- leicht ein Mann für sie wäre; aber es ist nicht wahr- scheinlich, daß er das Jnteresse seines Landes preis ge- ben werde, um das Glück eines andern zu befördern."
Der
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Unter allen Menſchen, den ich bisher auf meiner ſechs monatlichen Wanderung durch die mittaͤgigen Gegenden Frankreichs begegnet habe, ſind ſie der ein- zige, dem ich mich entdecken zu koͤnnen glaube, und von dem ich hoffe, daß ſie mir in meinen Unterſu- chungen behuͤlflich ſeyn werden. Weder Schaͤtze noch Reichthuͤmer ſind die Abſicht meiner Reiſe, ſon- dern ein weit wichtigerer Gegenſtand. Jch ſuche die Freundſchaft eines Weiſen vom erſten Range, eines Weltweiſen, der uͤber den gemeinen Haufen er- haben iſt, wie Rouſſeau, Voltaͤre oder Buͤffon, und der einwilligte, ſich mit mir durch diejenigen unſerer Prinzen von Gebluͤt wegfuͤhren zu laſſen, in deren Gewalt es ſteht, ſich kuͤnſtlicher Fluͤgel zu bedienen, und damit die ganze Welt zu durchreiſen. Noch heut will ich ihnen die Geſchichte des weiſen Sterblichen erzaͤhlen, dem wir den Urſprung der vortrefflichſten aller Regierungen zu verdanken haben. Aber vor- her wuͤnſcht’ ich von ihnen Belehrung wegen gewiſſer mir unbekannten Dinge zu erhalten.
„Welche von ihren großen Maͤnnern moͤchten zum Beyſpiel wohl Luſt haben, ſich in die Suͤdlaͤnder bringen zu laſſen.‟
„Keine leichte Frage! war meine Antwort. Un- ſere groͤßten Maͤnner ſind Voltaͤre, Rouſſeau und Buͤffon: Es iſt noch ein gewiſſer Franklin, Geſand- ter der vereinigten Staaten in Amerika hier, der viel- leicht ein Mann fuͤr ſie waͤre; aber es iſt nicht wahr- ſcheinlich, daß er das Jntereſſe ſeines Landes preis ge- ben werde, um das Gluͤck eines andern zu befoͤrdern.‟
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Unter allen Menſchen, den ich bisher auf meiner
ſechs monatlichen Wanderung durch die mittaͤgigen
Gegenden Frankreichs begegnet habe, ſind ſie der ein-
zige, dem ich mich entdecken zu koͤnnen glaube, und
von dem ich hoffe, daß ſie mir in meinen Unterſu-
chungen behuͤlflich ſeyn werden. Weder Schaͤtze
noch Reichthuͤmer ſind die Abſicht meiner Reiſe, ſon-
dern ein weit wichtigerer Gegenſtand. Jch ſuche
die Freundſchaft eines Weiſen vom erſten Range,
eines Weltweiſen, der uͤber den gemeinen Haufen er-
haben iſt, wie Rouſſeau, Voltaͤre oder Buͤffon, und
der einwilligte, ſich mit mir durch diejenigen unſerer
Prinzen von Gebluͤt wegfuͤhren zu laſſen, in deren
Gewalt es ſteht, ſich kuͤnſtlicher Fluͤgel zu bedienen,
und damit die ganze Welt zu durchreiſen. Noch heut
will ich ihnen die Geſchichte des weiſen Sterblichen
erzaͤhlen, dem wir den Urſprung der vortrefflichſten
aller Regierungen zu verdanken haben. Aber vor-
her wuͤnſcht’ ich von ihnen Belehrung wegen gewiſſer
mir unbekannten Dinge zu erhalten.
„Welche von ihren großen Maͤnnern moͤchten
zum Beyſpiel wohl Luſt haben, ſich in die Suͤdlaͤnder
bringen zu laſſen.‟
„Keine leichte Frage! war meine Antwort. Un-
ſere groͤßten Maͤnner ſind Voltaͤre, Rouſſeau und
Buͤffon: Es iſt noch ein gewiſſer Franklin, Geſand-
ter der vereinigten Staaten in Amerika hier, der viel-
leicht ein Mann fuͤr ſie waͤre; aber es iſt nicht wahr-
ſcheinlich, daß er das Jntereſſe ſeines Landes preis ge-
ben werde, um das Gluͤck eines andern zu befoͤrdern.‟
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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