noch fehlten und sogar nach Europa gehn, um die zu Unterweisung der Christinier nöthigen Per- sonen aufzusuchen.
Alexander fand alle Künste der Nothdurft, so- gar die Buchdruckerkunst, auf der Jnsel sehr wohl bestellt. Er bemerkte ferner, daß Bequemlichkeit und Gleichheit eine ungeheure Bevölkerung hervor- bringen würden, denn ieder Hausvater hatte zehn bis zwölf Kinder. Dies rührte von einer sonder- baren Gewohnheit her, die ich noch nicht erwähnt habe. Die Christinier auf allen Jnseln verheira- teten sich nämlich zweimal in ihrem Leben. Zum erstenmale ehlichte eine Mannsperson von sechszehn Jahren, eine Frau von zwei und dreissig, die er sechszehn Jahr behielt. Dann blieb diese acht und vierzig Jährige Frau im Hause und führte die iunge Gattin an, bis daß diese ihren Mann ver- ließ. Die Alte sorgte für die Kinder, die alle ihr gehörten und befahl als Gebieterin, dem gan- zen Hause, die iunge Gattin ausgenommen, über deren Person sie keine Gewalt hatte. Wenn diese ihr ein und dreissigstes Jahr erreicht hatte, ging sie in ein öffentliches dazu bestimmtes Haus, wo sie ein Jahr lang blieb, niemand als Frauenzim- mer sah und ein arbeitsames Leben führte. Jm zwei und dreissigsten Jahre gab man ihr einen iun- gen Mann, welches ihr letzter war und dessen Hauswesen sie bis ans Ende ihres Lebens mit al- len Gerechtsamen einer Gattin besorgen muste. Doch blieben die Männer von zwei und vierzig Jahren
nicht
noch fehlten und ſogar nach Europa gehn, um die zu Unterweiſung der Chriſtinier noͤthigen Per- ſonen aufzuſuchen.
Alexander fand alle Kuͤnſte der Nothdurft, ſo- gar die Buchdruckerkunſt, auf der Jnſel ſehr wohl beſtellt. Er bemerkte ferner, daß Bequemlichkeit und Gleichheit eine ungeheure Bevoͤlkerung hervor- bringen wuͤrden, denn ieder Hausvater hatte zehn bis zwoͤlf Kinder. Dies ruͤhrte von einer ſonder- baren Gewohnheit her, die ich noch nicht erwaͤhnt habe. Die Chriſtinier auf allen Jnſeln verheira- teten ſich naͤmlich zweimal in ihrem Leben. Zum erſtenmale ehlichte eine Mannsperſon von ſechszehn Jahren, eine Frau von zwei und dreiſſig, die er ſechszehn Jahr behielt. Dann blieb dieſe acht und vierzig Jaͤhrige Frau im Hauſe und fuͤhrte die iunge Gattin an, bis daß dieſe ihren Mann ver- ließ. Die Alte ſorgte fuͤr die Kinder, die alle ihr gehoͤrten und befahl als Gebieterin, dem gan- zen Hauſe, die iunge Gattin ausgenommen, uͤber deren Perſon ſie keine Gewalt hatte. Wenn dieſe ihr ein und dreiſſigſtes Jahr erreicht hatte, ging ſie in ein oͤffentliches dazu beſtimmtes Haus, wo ſie ein Jahr lang blieb, niemand als Frauenzim- mer ſah und ein arbeitſames Leben fuͤhrte. Jm zwei und dreiſſigſten Jahre gab man ihr einen iun- gen Mann, welches ihr letzter war und deſſen Hausweſen ſie bis ans Ende ihres Lebens mit al- len Gerechtſamen einer Gattin beſorgen muſte. Doch blieben die Maͤnner von zwei und vierzig Jahren
nicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0229"n="221"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
noch fehlten und ſogar nach Europa gehn, um<lb/>
die zu Unterweiſung der Chriſtinier noͤthigen Per-<lb/>ſonen aufzuſuchen.</p><lb/><p>Alexander fand alle Kuͤnſte der Nothdurft, ſo-<lb/>
gar die Buchdruckerkunſt, auf der Jnſel ſehr wohl<lb/>
beſtellt. Er bemerkte ferner, daß Bequemlichkeit<lb/>
und Gleichheit eine ungeheure Bevoͤlkerung hervor-<lb/>
bringen wuͤrden, denn ieder Hausvater hatte zehn<lb/>
bis zwoͤlf Kinder. Dies ruͤhrte von einer ſonder-<lb/>
baren Gewohnheit her, die ich noch nicht erwaͤhnt<lb/>
habe. Die Chriſtinier auf allen Jnſeln verheira-<lb/>
teten ſich naͤmlich zweimal in ihrem Leben. Zum<lb/>
erſtenmale ehlichte eine Mannsperſon von ſechszehn<lb/>
Jahren, eine Frau von zwei und dreiſſig, die<lb/>
er ſechszehn Jahr behielt. Dann blieb dieſe acht<lb/>
und vierzig Jaͤhrige Frau im Hauſe und fuͤhrte die<lb/>
iunge Gattin an, bis daß dieſe ihren Mann ver-<lb/>
ließ. Die Alte ſorgte fuͤr die Kinder, die alle<lb/>
ihr gehoͤrten und befahl als Gebieterin, dem gan-<lb/>
zen Hauſe, die iunge Gattin ausgenommen, uͤber<lb/>
deren Perſon ſie keine Gewalt hatte. Wenn dieſe<lb/>
ihr ein und dreiſſigſtes Jahr erreicht hatte, ging<lb/>ſie in ein oͤffentliches dazu beſtimmtes Haus, wo<lb/>ſie ein Jahr lang blieb, niemand als Frauenzim-<lb/>
mer ſah und ein arbeitſames Leben fuͤhrte. Jm<lb/>
zwei und dreiſſigſten Jahre gab man ihr einen iun-<lb/>
gen Mann, welches ihr letzter war und deſſen<lb/>
Hausweſen ſie bis ans Ende ihres Lebens mit al-<lb/>
len Gerechtſamen einer Gattin beſorgen muſte. Doch<lb/>
blieben die Maͤnner von zwei und vierzig Jahren<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nicht</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[221/0229]
noch fehlten und ſogar nach Europa gehn, um
die zu Unterweiſung der Chriſtinier noͤthigen Per-
ſonen aufzuſuchen.
Alexander fand alle Kuͤnſte der Nothdurft, ſo-
gar die Buchdruckerkunſt, auf der Jnſel ſehr wohl
beſtellt. Er bemerkte ferner, daß Bequemlichkeit
und Gleichheit eine ungeheure Bevoͤlkerung hervor-
bringen wuͤrden, denn ieder Hausvater hatte zehn
bis zwoͤlf Kinder. Dies ruͤhrte von einer ſonder-
baren Gewohnheit her, die ich noch nicht erwaͤhnt
habe. Die Chriſtinier auf allen Jnſeln verheira-
teten ſich naͤmlich zweimal in ihrem Leben. Zum
erſtenmale ehlichte eine Mannsperſon von ſechszehn
Jahren, eine Frau von zwei und dreiſſig, die
er ſechszehn Jahr behielt. Dann blieb dieſe acht
und vierzig Jaͤhrige Frau im Hauſe und fuͤhrte die
iunge Gattin an, bis daß dieſe ihren Mann ver-
ließ. Die Alte ſorgte fuͤr die Kinder, die alle
ihr gehoͤrten und befahl als Gebieterin, dem gan-
zen Hauſe, die iunge Gattin ausgenommen, uͤber
deren Perſon ſie keine Gewalt hatte. Wenn dieſe
ihr ein und dreiſſigſtes Jahr erreicht hatte, ging
ſie in ein oͤffentliches dazu beſtimmtes Haus, wo
ſie ein Jahr lang blieb, niemand als Frauenzim-
mer ſah und ein arbeitſames Leben fuͤhrte. Jm
zwei und dreiſſigſten Jahre gab man ihr einen iun-
gen Mann, welches ihr letzter war und deſſen
Hausweſen ſie bis ans Ende ihres Lebens mit al-
len Gerechtſamen einer Gattin beſorgen muſte. Doch
blieben die Maͤnner von zwei und vierzig Jahren
nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/229>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.