Er reiste im Frühiahr ab und verfolgte den Weg den sein Vater und sein ältester Bruder ge- nommen hatten. Süd-West von der Schafinsel fand er eine schöne Jnsel, auf welcher grünende Thäler und Hügel untereinander abwechselten, das Land war fett und fruchtbar, und die Weiden schienen auf derselben fürtreflich zu sein. Jn Alex- anders Geselschaft befanden sich Hermantin, sein ältester Sohn und der iunge Dagobert, der älte- ste von seinen Vettern, beide von patagonischen Müttern gebohren, und folglich stärker als andere Europäer. Jch will die verdiente Lobeserhebungen des Hermantin hier nicht vorausschicken; aber er wird bei der Nachkommenschaft unstreitig die Stel- le eines Helden des Südlandes einnehmen, und unter den Nachkommen der gegenwärtigen Genera- tion die nämliche Achtung und den nämlichen Ruhm verdienen, als die Hercules, die Bacchus und die Odin bei den alten Völkern des Nordpols. Die drei Prinzen untersuchten, ihrer Gewohnheit nach, die Jnsel. Sie bemerkten kein fleischfressendes Thier, sondern fanden blos grosse Ameisen, de- nen auf den Antillen und in Cayenne ziemlich ähn- lich. Jhre Haufen waren wie das spitzige Dach an einem Glockenthurme. Wenn sie ein Thier schlafend finden, fallen sie über dasselbe her, töd- ten es, eh sichs frei machen kan, und verzehren es. Besonders fressen sie die Körper von todten Thieren, die sie finden, ganz bewunderswürdig
ab:
Eilfte Jnſel.
Er reiſte im Fruͤhiahr ab und verfolgte den Weg den ſein Vater und ſein aͤlteſter Bruder ge- nommen hatten. Suͤd-Weſt von der Schafinſel fand er eine ſchoͤne Jnſel, auf welcher gruͤnende Thaͤler und Huͤgel untereinander abwechſelten, das Land war fett und fruchtbar, und die Weiden ſchienen auf derſelben fuͤrtreflich zu ſein. Jn Alex- anders Geſelſchaft befanden ſich Hermantin, ſein aͤlteſter Sohn und der iunge Dagobert, der aͤlte- ſte von ſeinen Vettern, beide von patagoniſchen Muͤttern gebohren, und folglich ſtaͤrker als andere Europaͤer. Jch will die verdiente Lobeserhebungen des Hermantin hier nicht vorausſchicken; aber er wird bei der Nachkommenſchaft unſtreitig die Stel- le eines Helden des Suͤdlandes einnehmen, und unter den Nachkommen der gegenwaͤrtigen Genera- tion die naͤmliche Achtung und den naͤmlichen Ruhm verdienen, als die Hercules, die Bacchus und die Odin bei den alten Voͤlkern des Nordpols. Die drei Prinzen unterſuchten, ihrer Gewohnheit nach, die Jnſel. Sie bemerkten kein fleiſchfreſſendes Thier, ſondern fanden blos groſſe Ameiſen, de- nen auf den Antillen und in Cayenne ziemlich aͤhn- lich. Jhre Haufen waren wie das ſpitzige Dach an einem Glockenthurme. Wenn ſie ein Thier ſchlafend finden, fallen ſie uͤber daſſelbe her, toͤd- ten es, eh ſichs frei machen kan, und verzehren es. Beſonders freſſen ſie die Koͤrper von todten Thieren, die ſie finden, ganz bewunderswuͤrdig
ab:
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Eilfte Jnſel.
Er reiſte im Fruͤhiahr ab und verfolgte den
Weg den ſein Vater und ſein aͤlteſter Bruder ge-
nommen hatten. Suͤd-Weſt von der Schafinſel
fand er eine ſchoͤne Jnſel, auf welcher gruͤnende
Thaͤler und Huͤgel untereinander abwechſelten, das
Land war fett und fruchtbar, und die Weiden
ſchienen auf derſelben fuͤrtreflich zu ſein. Jn Alex-
anders Geſelſchaft befanden ſich Hermantin, ſein
aͤlteſter Sohn und der iunge Dagobert, der aͤlte-
ſte von ſeinen Vettern, beide von patagoniſchen
Muͤttern gebohren, und folglich ſtaͤrker als andere
Europaͤer. Jch will die verdiente Lobeserhebungen
des Hermantin hier nicht vorausſchicken; aber er
wird bei der Nachkommenſchaft unſtreitig die Stel-
le eines Helden des Suͤdlandes einnehmen, und
unter den Nachkommen der gegenwaͤrtigen Genera-
tion die naͤmliche Achtung und den naͤmlichen Ruhm
verdienen, als die Hercules, die Bacchus und die
Odin bei den alten Voͤlkern des Nordpols. Die
drei Prinzen unterſuchten, ihrer Gewohnheit nach,
die Jnſel. Sie bemerkten kein fleiſchfreſſendes
Thier, ſondern fanden blos groſſe Ameiſen, de-
nen auf den Antillen und in Cayenne ziemlich aͤhn-
lich. Jhre Haufen waren wie das ſpitzige Dach
an einem Glockenthurme. Wenn ſie ein Thier
ſchlafend finden, fallen ſie uͤber daſſelbe her, toͤd-
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Thieren, die ſie finden, ganz bewunderswuͤrdig
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/236>, abgerufen am 21.11.2024.
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