Victorin stellte sich in den Rosenstrauch, zerriß seine Manschetten, Busenstreif und Hände, sein Blut floß, doch brach er die Rosen, und reichte sie, für Wollust zitternd, Christinen dar.
"Mein Gott, Herr Victorin, sprach diese Schö- ne, sie haben sich verwundet! Sie nahm ihr Schnupf- tuch, um ihm das Blut abzutrocknen, und zog ihm selbst mit ihrer weißen Hand, einen kleinen Dorn, der im Fleische stecken geblieben war, heraus."
Victorin fiel für Freuden in Ohnmacht. Man hielt' es für eine Folge seines Schmerzes, und die schöne Christine ließ einige Thränen auf ihn fallen, die ihn ins Leben ruften. Er lächelte, als er zu sich kam. Christine dadurch beruhigt, nahm nun statt ihres natürlichen und mitleidsvollen Tons, jene Mine der Erhabenheit an, deren freylich die Tochter eines Landjunkers gegen ihre Untergebene sich kaum erwehren kann.
Aber auch diese Mine fachte die Flammen der Liebe in Victorins Herzen nur noch mehr an; zumal da er bemerkte, daß die schöne Christine an ihren Busen eine Rose gesteckt habe, deren Mitte, gefärbt mit dem Blute war. Seine Augen folgten ihr, als sie sich entfernte; so schlupft eine schlankgewachsene Nimphe, mit niedlichen Füßen, über den zarten Ra- sen ins Gebüsche.
Kaum hatte Christine den Victorin verlassen, als dieser junge Mann einen von den bundfleckigten Som- mervögeln fand, die mit kleinen Rüsseln die Blumen
ohne
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Victorin ſtellte ſich in den Roſenſtrauch, zerriß ſeine Manſchetten, Buſenſtreif und Haͤnde, ſein Blut floß, doch brach er die Roſen, und reichte ſie, fuͤr Wolluſt zitternd, Chriſtinen dar.
„Mein Gott, Herr Victorin, ſprach dieſe Schoͤ- ne, ſie haben ſich verwundet! Sie nahm ihr Schnupf- tuch, um ihm das Blut abzutrocknen, und zog ihm ſelbſt mit ihrer weißen Hand, einen kleinen Dorn, der im Fleiſche ſtecken geblieben war, heraus.‟
Victorin fiel fuͤr Freuden in Ohnmacht. Man hielt’ es fuͤr eine Folge ſeines Schmerzes, und die ſchoͤne Chriſtine ließ einige Thraͤnen auf ihn fallen, die ihn ins Leben ruften. Er laͤchelte, als er zu ſich kam. Chriſtine dadurch beruhigt, nahm nun ſtatt ihres natuͤrlichen und mitleidsvollen Tons, jene Mine der Erhabenheit an, deren freylich die Tochter eines Landjunkers gegen ihre Untergebene ſich kaum erwehren kann.
Aber auch dieſe Mine fachte die Flammen der Liebe in Victorins Herzen nur noch mehr an; zumal da er bemerkte, daß die ſchoͤne Chriſtine an ihren Buſen eine Roſe geſteckt habe, deren Mitte, gefaͤrbt mit dem Blute war. Seine Augen folgten ihr, als ſie ſich entfernte; ſo ſchlupft eine ſchlankgewachſene Nimphe, mit niedlichen Fuͤßen, uͤber den zarten Ra- ſen ins Gebuͤſche.
Kaum hatte Chriſtine den Victorin verlaſſen, als dieſer junge Mann einen von den bundfleckigten Som- mervoͤgeln fand, die mit kleinen Ruͤſſeln die Blumen
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Victorin ſtellte ſich in den Roſenſtrauch, zerriß
ſeine Manſchetten, Buſenſtreif und Haͤnde, ſein Blut
floß, doch brach er die Roſen, und reichte ſie, fuͤr
Wolluſt zitternd, Chriſtinen dar.
„Mein Gott, Herr Victorin, ſprach dieſe Schoͤ-
ne, ſie haben ſich verwundet! Sie nahm ihr Schnupf-
tuch, um ihm das Blut abzutrocknen, und zog ihm
ſelbſt mit ihrer weißen Hand, einen kleinen Dorn,
der im Fleiſche ſtecken geblieben war, heraus.‟
Victorin fiel fuͤr Freuden in Ohnmacht. Man
hielt’ es fuͤr eine Folge ſeines Schmerzes, und die
ſchoͤne Chriſtine ließ einige Thraͤnen auf ihn fallen,
die ihn ins Leben ruften. Er laͤchelte, als er zu
ſich kam. Chriſtine dadurch beruhigt, nahm nun
ſtatt ihres natuͤrlichen und mitleidsvollen Tons, jene
Mine der Erhabenheit an, deren freylich die Tochter
eines Landjunkers gegen ihre Untergebene ſich kaum
erwehren kann.
Aber auch dieſe Mine fachte die Flammen der
Liebe in Victorins Herzen nur noch mehr an; zumal
da er bemerkte, daß die ſchoͤne Chriſtine an ihren
Buſen eine Roſe geſteckt habe, deren Mitte, gefaͤrbt
mit dem Blute war. Seine Augen folgten ihr, als
ſie ſich entfernte; ſo ſchlupft eine ſchlankgewachſene
Nimphe, mit niedlichen Fuͤßen, uͤber den zarten Ra-
ſen ins Gebuͤſche.
Kaum hatte Chriſtine den Victorin verlaſſen, als
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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