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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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"Sie haben vermuthlich Romane gelesen, Herr
Victorin?"

"Ja, Mamsell, ich habe den Cyrus gelesen,
den Palexander, die Clelie, die Astree und die Prin-
zeßinn von Cleve, die mir am meisten gefallen hat."

"Das dacht' ich mir bald aus ihren Reden."

"Ach! Mamsell, das ist viel Ehre für mich."

"Man muß die englischen Romane, die Pamela,
die Clarisse, den Grandison lesen."

"Die hab ich nicht."

"Jch wills meiner Juliane sagen, daß sie sie
ihnen borgen soll. Aber daß sie nicht etwa ein Love-
lace werden!"

Sobald als sie mir es verbieten, Mamsell, ver-
sichere ich, daß ichs nicht werden will.

Christine lächelte über die unschuldige Miene,
mit welcher Victorin antwortete. Als sie am Ende
eines Ganges kamen, ward sie ihren Vater, ihre
Mutter und einige Freunde, nahe bey ihnen gewahr.
Christine, erröthete über ihre Vertraulichkeit mit des
Fiscalprocurators Sohne; Sie nahm ihren kleinen
Gnadenblick an, der ihre Reize nicht verminderte,
und sagte, ob gleich mit einigem Widerwillen: Lebe
wohl, Victorin.

Der junge Mann grüßte die Gesellschaft, und
zog sich so gut als ihm möglich war, zurück, aber
er merkte wohl, daß ein bäuerisches Ungeschicke seine
Verbeugung verstellt haben mochte. Er verließ das
Schloß mit dem festen Vorsatz, in der Stadt keine

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„Sie haben vermuthlich Romane geleſen, Herr
Victorin?‟

„Ja, Mamſell, ich habe den Cyrus geleſen,
den Palexander, die Clelie, die Aſtree und die Prin-
zeßinn von Cleve, die mir am meiſten gefallen hat.‟

„Das dacht’ ich mir bald aus ihren Reden.‟

„Ach! Mamſell, das iſt viel Ehre fuͤr mich.‟

„Man muß die engliſchen Romane, die Pamela,
die Clariſſe, den Grandiſon leſen.‟

„Die hab ich nicht.‟

„Jch wills meiner Juliane ſagen, daß ſie ſie
ihnen borgen ſoll. Aber daß ſie nicht etwa ein Love-
lace werden!‟

Sobald als ſie mir es verbieten, Mamſell, ver-
ſichere ich, daß ichs nicht werden will.

Chriſtine laͤchelte uͤber die unſchuldige Miene,
mit welcher Victorin antwortete. Als ſie am Ende
eines Ganges kamen, ward ſie ihren Vater, ihre
Mutter und einige Freunde, nahe bey ihnen gewahr.
Chriſtine, erroͤthete uͤber ihre Vertraulichkeit mit des
Fiſcalprocurators Sohne; Sie nahm ihren kleinen
Gnadenblick an, der ihre Reize nicht verminderte,
und ſagte, ob gleich mit einigem Widerwillen: Lebe
wohl, Victorin.

Der junge Mann gruͤßte die Geſellſchaft, und
zog ſich ſo gut als ihm moͤglich war, zuruͤck, aber
er merkte wohl, daß ein baͤueriſches Ungeſchicke ſeine
Verbeugung verſtellt haben mochte. Er verließ das
Schloß mit dem feſten Vorſatz, in der Stadt keine

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[39/0047] „Sie haben vermuthlich Romane geleſen, Herr Victorin?‟ „Ja, Mamſell, ich habe den Cyrus geleſen, den Palexander, die Clelie, die Aſtree und die Prin- zeßinn von Cleve, die mir am meiſten gefallen hat.‟ „Das dacht’ ich mir bald aus ihren Reden.‟ „Ach! Mamſell, das iſt viel Ehre fuͤr mich.‟ „Man muß die engliſchen Romane, die Pamela, die Clariſſe, den Grandiſon leſen.‟ „Die hab ich nicht.‟ „Jch wills meiner Juliane ſagen, daß ſie ſie ihnen borgen ſoll. Aber daß ſie nicht etwa ein Love- lace werden!‟ Sobald als ſie mir es verbieten, Mamſell, ver- ſichere ich, daß ichs nicht werden will. Chriſtine laͤchelte uͤber die unſchuldige Miene, mit welcher Victorin antwortete. Als ſie am Ende eines Ganges kamen, ward ſie ihren Vater, ihre Mutter und einige Freunde, nahe bey ihnen gewahr. Chriſtine, erroͤthete uͤber ihre Vertraulichkeit mit des Fiſcalprocurators Sohne; Sie nahm ihren kleinen Gnadenblick an, der ihre Reize nicht verminderte, und ſagte, ob gleich mit einigem Widerwillen: Lebe wohl, Victorin. Der junge Mann gruͤßte die Geſellſchaft, und zog ſich ſo gut als ihm moͤglich war, zuruͤck, aber er merkte wohl, daß ein baͤueriſches Ungeſchicke ſeine Verbeugung verſtellt haben mochte. Er verließ das Schloß mit dem feſten Vorſatz, in der Stadt keine Gele- C 4

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/47>, abgerufen am 21.11.2024.