würde; aber diese Gelegenheit war selten, weil er wenigstens eine Stunde brauchte von der Stadt nach seinem Ort zu kommen, und überdies die Reise nicht oft machen konnte.
Doch ein Ungefähr begünstigte wider Vermuthen sein Unternehmen. Das junge Mädchen ließ einen Abend alle Anziehwäsche ihrer Mutter und ihre eige- ne im Garten hängen. Als Victorin kam, sah dies und trug sie mit sammt den Corsetten, Röcken etc. weg. Den andern Tag kam er wieder, und da er den Bauer in einem Winkel des Gartens mit einer Flinte, die Frau im andern und seine Leute über- all herum versteckt fand, sucht er die Tochter zu entdecken.
Sie stand an der Hausthür mit einem Lichte in der Hand. Er stieß auf dieselbe durch einen ver- kehrten Bogen nieder, und sie fiel mit einem schwa- chen Schrey in Ohnmacht. Victorin brachte sie auf den unbesteiglichen Berg, und übergab sie da der Vezinier und ihrem jungen Liebhaber, dem er bey Lebensstrafe auflegte, alle Achtung für sie zu haben, bis er ein Mittel zu ihrer Vereheligung fände. Der arme Jüngling freute sich darüber ungemein, und sah wohl daraus, daß sein Entführer nicht der Teufel sey, weil uns dieser nur zum Bösen verleitet. Dies waren seine und der Vezinier Betrachtungen.
Die arme Käthe erstaunte ziemlich, als sie beym Erwachen sich in den Armen ihres Joachim befand! Er mocht' ihr versichern, so viel er wollte, daß er sie nicht weggeholt, sie konnt' es nicht glauben und
verlangte
wuͤrde; aber dieſe Gelegenheit war ſelten, weil er wenigſtens eine Stunde brauchte von der Stadt nach ſeinem Ort zu kommen, und uͤberdies die Reiſe nicht oft machen konnte.
Doch ein Ungefaͤhr beguͤnſtigte wider Vermuthen ſein Unternehmen. Das junge Maͤdchen ließ einen Abend alle Anziehwaͤſche ihrer Mutter und ihre eige- ne im Garten haͤngen. Als Victorin kam, ſah dies und trug ſie mit ſammt den Corſetten, Roͤcken ꝛc. weg. Den andern Tag kam er wieder, und da er den Bauer in einem Winkel des Gartens mit einer Flinte, die Frau im andern und ſeine Leute uͤber- all herum verſteckt fand, ſucht er die Tochter zu entdecken.
Sie ſtand an der Hausthuͤr mit einem Lichte in der Hand. Er ſtieß auf dieſelbe durch einen ver- kehrten Bogen nieder, und ſie fiel mit einem ſchwa- chen Schrey in Ohnmacht. Victorin brachte ſie auf den unbeſteiglichen Berg, und uͤbergab ſie da der Vezinier und ihrem jungen Liebhaber, dem er bey Lebensſtrafe auflegte, alle Achtung fuͤr ſie zu haben, bis er ein Mittel zu ihrer Vereheligung faͤnde. Der arme Juͤngling freute ſich daruͤber ungemein, und ſah wohl daraus, daß ſein Entfuͤhrer nicht der Teufel ſey, weil uns dieſer nur zum Boͤſen verleitet. Dies waren ſeine und der Vezinier Betrachtungen.
Die arme Kaͤthe erſtaunte ziemlich, als ſie beym Erwachen ſich in den Armen ihres Joachim befand! Er mocht’ ihr verſichern, ſo viel er wollte, daß er ſie nicht weggeholt, ſie konnt’ es nicht glauben und
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wuͤrde; aber dieſe Gelegenheit war ſelten, weil er
wenigſtens eine Stunde brauchte von der Stadt nach
ſeinem Ort zu kommen, und uͤberdies die Reiſe nicht
oft machen konnte.
Doch ein Ungefaͤhr beguͤnſtigte wider Vermuthen
ſein Unternehmen. Das junge Maͤdchen ließ einen
Abend alle Anziehwaͤſche ihrer Mutter und ihre eige-
ne im Garten haͤngen. Als Victorin kam, ſah dies
und trug ſie mit ſammt den Corſetten, Roͤcken ꝛc.
weg. Den andern Tag kam er wieder, und da er
den Bauer in einem Winkel des Gartens mit einer
Flinte, die Frau im andern und ſeine Leute uͤber-
all herum verſteckt fand, ſucht er die Tochter zu
entdecken.
Sie ſtand an der Hausthuͤr mit einem Lichte in
der Hand. Er ſtieß auf dieſelbe durch einen ver-
kehrten Bogen nieder, und ſie fiel mit einem ſchwa-
chen Schrey in Ohnmacht. Victorin brachte ſie
auf den unbeſteiglichen Berg, und uͤbergab ſie da
der Vezinier und ihrem jungen Liebhaber, dem er
bey Lebensſtrafe auflegte, alle Achtung fuͤr ſie zu
haben, bis er ein Mittel zu ihrer Vereheligung faͤnde.
Der arme Juͤngling freute ſich daruͤber ungemein,
und ſah wohl daraus, daß ſein Entfuͤhrer nicht der
Teufel ſey, weil uns dieſer nur zum Boͤſen verleitet.
Dies waren ſeine und der Vezinier Betrachtungen.
Die arme Kaͤthe erſtaunte ziemlich, als ſie beym
Erwachen ſich in den Armen ihres Joachim befand!
Er mocht’ ihr verſichern, ſo viel er wollte, daß er ſie
nicht weggeholt, ſie konnt’ es nicht glauben und
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/56>, abgerufen am 19.05.2024.
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