Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.denen geraubten Personen hinbrachte. Jch las einst in der Stadt, daß ein gewisser Dedalus, um von der Jnsel Creta zu fliehen, sich Flügel gemacht habe, und da ich viel Erfindungskraft besitze, strengt' ich sogleich meinen Kopf an, und da es einmal möglich war, mir auch dergleichen zu machen und gleich den Vögeln zu fliegen, um für ihre Sicherheit zu wachen. Nach verschiedenen Versuchen war ich so glücklich, meinen Wunsch auszuführen. Als ich diesen Morgen meinen Vater verließ, Christine
denen geraubten Perſonen hinbrachte. Jch las einſt in der Stadt, daß ein gewiſſer Dedalus, um von der Jnſel Creta zu fliehen, ſich Fluͤgel gemacht habe, und da ich viel Erfindungskraft beſitze, ſtrengt’ ich ſogleich meinen Kopf an, und da es einmal moͤglich war, mir auch dergleichen zu machen und gleich den Voͤgeln zu fliegen, um fuͤr ihre Sicherheit zu wachen. Nach verſchiedenen Verſuchen war ich ſo gluͤcklich, meinen Wunſch auszufuͤhren. Als ich dieſen Morgen meinen Vater verließ, Chriſtine
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0067" n="59"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> denen geraubten Perſonen hinbrachte. Jch las einſt<lb/> in der Stadt, daß ein gewiſſer Dedalus, um von<lb/> der Jnſel Creta zu fliehen, ſich Fluͤgel gemacht habe,<lb/> und da ich viel Erfindungskraft beſitze, ſtrengt’ ich<lb/> ſogleich meinen Kopf an, und da es einmal moͤglich<lb/> war, mir auch dergleichen zu machen und gleich den<lb/> Voͤgeln zu fliegen, um fuͤr ihre Sicherheit zu wachen.<lb/> Nach verſchiedenen Verſuchen war ich ſo gluͤcklich,<lb/> meinen Wunſch auszufuͤhren.</p><lb/> <p>Als ich dieſen Morgen meinen Vater verließ,<lb/> um ihnen vor ihrer Abreiſe meine Ehrfurcht zu bezei-<lb/> gen, merkt’ ich den Großvogel, und argwohnte,<lb/> daß er ihnen einen ſchlechten Streich ſpielen wollte;<lb/> ich hielt daher meine Fluͤgel in Bereitſchaft und ver-<lb/> barg mich. Sobald ſie erſchienen, ward meine<lb/> Furcht nur zu gewiß beſtaͤtigt; der Großvogel ſtieß<lb/> auf ſie her und entfuͤhrte ſie; aber ich verfolgt’ ihn<lb/> bis hieher, um ihm ſeinen Raub abzujagen. Wir<lb/> befinden uns auf einem unbeſteiglichen Berge, wo<lb/> er ſie niedergeſetzt und vermuthlich nur auf eine kurze<lb/> Zeit uns verlaſſen hat: aber ich beſitze ein Geheim-<lb/> niß uͤber ihn zu ſiegen, und ſobald er wieder erſcheint,<lb/> will ich mich uͤber ihn hermachen. Das groͤßte Un-<lb/> gluͤck iſt, daß zwar ich von hier wegzukommen, aber<lb/> nie ſie mitzunehmen vermag; daher mach’ ich mich<lb/> anheiſchig, ſo lange hier zu leben, als ſie da bleiben<lb/> werden, und nie als auf ihren Befehl und auf die von<lb/> ihnen beſtimmte Zeit mich zu entfernen. Es ſoll ih-<lb/> nen an nichts fehlen, ſchoͤne Chriſtine, ich mache mir<lb/> es zum Geſetz, alle ihre Wuͤnſche zu erfuͤllen.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Chriſtine</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [59/0067]
denen geraubten Perſonen hinbrachte. Jch las einſt
in der Stadt, daß ein gewiſſer Dedalus, um von
der Jnſel Creta zu fliehen, ſich Fluͤgel gemacht habe,
und da ich viel Erfindungskraft beſitze, ſtrengt’ ich
ſogleich meinen Kopf an, und da es einmal moͤglich
war, mir auch dergleichen zu machen und gleich den
Voͤgeln zu fliegen, um fuͤr ihre Sicherheit zu wachen.
Nach verſchiedenen Verſuchen war ich ſo gluͤcklich,
meinen Wunſch auszufuͤhren.
Als ich dieſen Morgen meinen Vater verließ,
um ihnen vor ihrer Abreiſe meine Ehrfurcht zu bezei-
gen, merkt’ ich den Großvogel, und argwohnte,
daß er ihnen einen ſchlechten Streich ſpielen wollte;
ich hielt daher meine Fluͤgel in Bereitſchaft und ver-
barg mich. Sobald ſie erſchienen, ward meine
Furcht nur zu gewiß beſtaͤtigt; der Großvogel ſtieß
auf ſie her und entfuͤhrte ſie; aber ich verfolgt’ ihn
bis hieher, um ihm ſeinen Raub abzujagen. Wir
befinden uns auf einem unbeſteiglichen Berge, wo
er ſie niedergeſetzt und vermuthlich nur auf eine kurze
Zeit uns verlaſſen hat: aber ich beſitze ein Geheim-
niß uͤber ihn zu ſiegen, und ſobald er wieder erſcheint,
will ich mich uͤber ihn hermachen. Das groͤßte Un-
gluͤck iſt, daß zwar ich von hier wegzukommen, aber
nie ſie mitzunehmen vermag; daher mach’ ich mich
anheiſchig, ſo lange hier zu leben, als ſie da bleiben
werden, und nie als auf ihren Befehl und auf die von
ihnen beſtimmte Zeit mich zu entfernen. Es ſoll ih-
nen an nichts fehlen, ſchoͤne Chriſtine, ich mache mir
es zum Geſetz, alle ihre Wuͤnſche zu erfuͤllen.
Chriſtine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |