Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Ich fragte, ob Susanna denn schon auf sei -- da sie den Leutnant kostümiert hatte --, sie war doch gestern am allermüdesten und schien es mit dem Schlaftag sehr ernst zu meinen. "Oh, Susanna macht es wie die Sonne, sie geht in Wirklichkeit nicht unter -- sie geht nur um die Erde herum und scheint dann über irgendwelchen anderen Ländern. Beim Schlaftag kommt es ihr nur darauf an, daß jeder in seinem Zimmer bleibt -- sie gibt dann Gastrollen, besucht eine Niederlassung nach der anderen und schläft da, wo sie gerade ist, noch ein paar Stunden weiter." Chamotte ist mit dem Kind ausgegangen, das ganze Haus liegt in tiefem Schweigen. Die Türglocke hat man vorsorglich abgestellt. Maria ist inzwischen einmal aufgewacht und hat gefragt, wer denn hier nebenan sei. Wir haben ihr Kaffee hineingebracht und ein wenig geplaudert, dann ist sie wieder eingeschlafen -- die weißen Glacehandschuhe, die Susanna ihr heute morgen gegeben, liegen auf dem Tischchen am Bett. Allmählich wird es Nachmittag, und Susanna erscheint mit Tee und Brötchen. Ihr Lächeln ist heute etwas resigniert: "Onski hat Migräne," sagte sie, "und steht nicht auf. Da werden wir wohl heute und morgen fasten müssen. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir Ich fragte, ob Susanna denn schon auf sei — da sie den Leutnant kostümiert hatte —, sie war doch gestern am allermüdesten und schien es mit dem Schlaftag sehr ernst zu meinen. „Oh, Susanna macht es wie die Sonne, sie geht in Wirklichkeit nicht unter — sie geht nur um die Erde herum und scheint dann über irgendwelchen anderen Ländern. Beim Schlaftag kommt es ihr nur darauf an, daß jeder in seinem Zimmer bleibt — sie gibt dann Gastrollen, besucht eine Niederlassung nach der anderen und schläft da, wo sie gerade ist, noch ein paar Stunden weiter.“ Chamotte ist mit dem Kind ausgegangen, das ganze Haus liegt in tiefem Schweigen. Die Türglocke hat man vorsorglich abgestellt. Maria ist inzwischen einmal aufgewacht und hat gefragt, wer denn hier nebenan sei. Wir haben ihr Kaffee hineingebracht und ein wenig geplaudert, dann ist sie wieder eingeschlafen — die weißen Glacéhandschuhe, die Susanna ihr heute morgen gegeben, liegen auf dem Tischchen am Bett. Allmählich wird es Nachmittag, und Susanna erscheint mit Tee und Brötchen. Ihr Lächeln ist heute etwas resigniert: „Onski hat Migräne,“ sagte sie, „und steht nicht auf. Da werden wir wohl heute und morgen fasten müssen. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <pb facs="#f0100" n="96"/> <p>Ich fragte, ob Susanna denn schon auf sei — da sie den Leutnant kostümiert hatte —, sie war doch gestern am allermüdesten und schien es mit dem Schlaftag sehr ernst zu meinen.</p> <p>„Oh, Susanna macht es wie die Sonne, sie geht in Wirklichkeit nicht unter — sie geht nur um die Erde herum und scheint dann über irgendwelchen anderen Ländern. Beim Schlaftag kommt es ihr nur darauf an, daß jeder in seinem Zimmer bleibt — sie gibt dann Gastrollen, besucht eine Niederlassung nach der anderen und schläft da, wo sie gerade ist, noch ein paar Stunden weiter.“</p> <p>Chamotte ist mit dem Kind ausgegangen, das ganze Haus liegt in tiefem Schweigen. Die Türglocke hat man vorsorglich abgestellt. Maria ist inzwischen einmal aufgewacht und hat gefragt, wer denn hier nebenan sei. Wir haben ihr Kaffee hineingebracht und ein wenig geplaudert, dann ist sie wieder eingeschlafen — die weißen Glacéhandschuhe, die Susanna ihr heute morgen gegeben, liegen auf dem Tischchen am Bett.</p> <p>Allmählich wird es Nachmittag, und Susanna erscheint mit Tee und Brötchen. Ihr Lächeln ist heute etwas resigniert:</p> <p>„Onski hat Migräne,“ sagte sie, „und steht nicht auf. Da werden wir wohl heute und morgen fasten müssen. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0100]
Ich fragte, ob Susanna denn schon auf sei — da sie den Leutnant kostümiert hatte —, sie war doch gestern am allermüdesten und schien es mit dem Schlaftag sehr ernst zu meinen.
„Oh, Susanna macht es wie die Sonne, sie geht in Wirklichkeit nicht unter — sie geht nur um die Erde herum und scheint dann über irgendwelchen anderen Ländern. Beim Schlaftag kommt es ihr nur darauf an, daß jeder in seinem Zimmer bleibt — sie gibt dann Gastrollen, besucht eine Niederlassung nach der anderen und schläft da, wo sie gerade ist, noch ein paar Stunden weiter.“
Chamotte ist mit dem Kind ausgegangen, das ganze Haus liegt in tiefem Schweigen. Die Türglocke hat man vorsorglich abgestellt. Maria ist inzwischen einmal aufgewacht und hat gefragt, wer denn hier nebenan sei. Wir haben ihr Kaffee hineingebracht und ein wenig geplaudert, dann ist sie wieder eingeschlafen — die weißen Glacéhandschuhe, die Susanna ihr heute morgen gegeben, liegen auf dem Tischchen am Bett.
Allmählich wird es Nachmittag, und Susanna erscheint mit Tee und Brötchen. Ihr Lächeln ist heute etwas resigniert:
„Onski hat Migräne,“ sagte sie, „und steht nicht auf. Da werden wir wohl heute und morgen fasten müssen. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir
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