Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Menschen gelebt und eigentümliche Dinge mitangesehen und auch miterlebt habe. Schon von Haus aus habe er einen dunklen Trieb in sich gefühlt, das Leben zu begreifen, und da habe man ihn an jene Menschen gewiesen. Leider vergeblich, denn er konnte es nun erst recht nicht begreifen, sondern sei völlig verwirrt geworden und eben jetzt auf dem Wege, in fernen Ländern Heilung und Genesen zu suchen. Den Ort, wo sich das alles begeben hat, wollte er nicht gerne näher bezeichnen -- er sagte nur, es sei nicht eigentlich eine Stadt, sondern vielmehr ein Stadtteil gewesen -- der auch in seinen Papieren oft und viel genannt wird. Wir konnten uns das nicht recht vorstellen. Er erzählte uns denn auch, daß er damals allerhand niedergeschrieben habe, in der Absicht, vielleicht später einen Roman oder ein Memoirenwerk daraus zu gestalten, und wir interessierten uns lebhaft dafür. So kam die Zeit heran, wo wir uns trennen mußten, denn die Reise ging zu Ende. An einem der letzten Tage stieg Herr Dame müden Schrittes in seine Kabine hinab und kam mit einem ansehnlichen Paket beschriebener Hefte wieder, dann sagte er: wenn es uns Freude mache, sei er gerne bereit, uns seine Aufzeichnungen zu überlassen. Er wolle sie auch nicht wieder haben, denn das alles sei für ihn abgetan und läge hinter ihm, und er habe wenig Platz in seinen Koffern. Menschen gelebt und eigentümliche Dinge mitangesehen und auch miterlebt habe. Schon von Haus aus habe er einen dunklen Trieb in sich gefühlt, das Leben zu begreifen, und da habe man ihn an jene Menschen gewiesen. Leider vergeblich, denn er konnte es nun erst recht nicht begreifen, sondern sei völlig verwirrt geworden und eben jetzt auf dem Wege, in fernen Ländern Heilung und Genesen zu suchen. Den Ort, wo sich das alles begeben hat, wollte er nicht gerne näher bezeichnen — er sagte nur, es sei nicht eigentlich eine Stadt, sondern vielmehr ein Stadtteil gewesen — der auch in seinen Papieren oft und viel genannt wird. Wir konnten uns das nicht recht vorstellen. Er erzählte uns denn auch, daß er damals allerhand niedergeschrieben habe, in der Absicht, vielleicht später einen Roman oder ein Memoirenwerk daraus zu gestalten, und wir interessierten uns lebhaft dafür. So kam die Zeit heran, wo wir uns trennen mußten, denn die Reise ging zu Ende. An einem der letzten Tage stieg Herr Dame müden Schrittes in seine Kabine hinab und kam mit einem ansehnlichen Paket beschriebener Hefte wieder, dann sagte er: wenn es uns Freude mache, sei er gerne bereit, uns seine Aufzeichnungen zu überlassen. Er wolle sie auch nicht wieder haben, denn das alles sei für ihn abgetan und läge hinter ihm, und er habe wenig Platz in seinen Koffern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0012" n="8"/> Menschen gelebt und eigentümliche Dinge mitangesehen und auch miterlebt habe. Schon von Haus aus habe er einen dunklen Trieb in sich gefühlt, das Leben zu begreifen, und da habe man ihn an jene Menschen gewiesen. Leider vergeblich, denn er konnte es nun erst recht nicht begreifen, sondern sei völlig verwirrt geworden und eben jetzt auf dem Wege, in fernen Ländern Heilung und Genesen zu suchen.</p> <p>Den Ort, wo sich das alles begeben hat, wollte er nicht gerne näher bezeichnen — er sagte nur, es sei nicht eigentlich eine Stadt, sondern vielmehr ein Stadtteil gewesen — der auch in seinen Papieren oft und viel genannt wird. Wir konnten uns das nicht recht vorstellen.</p> <p>Er erzählte uns denn auch, daß er damals allerhand niedergeschrieben habe, in der Absicht, vielleicht später einen Roman oder ein Memoirenwerk daraus zu gestalten, und wir interessierten uns lebhaft dafür.</p> <p>So kam die Zeit heran, wo wir uns trennen mußten, denn die Reise ging zu Ende. An einem der letzten Tage stieg Herr Dame müden Schrittes in seine Kabine hinab und kam mit einem ansehnlichen Paket beschriebener Hefte wieder, dann sagte er: wenn es uns Freude mache, sei er gerne bereit, uns seine Aufzeichnungen zu überlassen. Er wolle sie auch nicht wieder haben, denn das alles sei für ihn abgetan und läge hinter ihm, und er habe wenig Platz in seinen Koffern. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0012]
Menschen gelebt und eigentümliche Dinge mitangesehen und auch miterlebt habe. Schon von Haus aus habe er einen dunklen Trieb in sich gefühlt, das Leben zu begreifen, und da habe man ihn an jene Menschen gewiesen. Leider vergeblich, denn er konnte es nun erst recht nicht begreifen, sondern sei völlig verwirrt geworden und eben jetzt auf dem Wege, in fernen Ländern Heilung und Genesen zu suchen.
Den Ort, wo sich das alles begeben hat, wollte er nicht gerne näher bezeichnen — er sagte nur, es sei nicht eigentlich eine Stadt, sondern vielmehr ein Stadtteil gewesen — der auch in seinen Papieren oft und viel genannt wird. Wir konnten uns das nicht recht vorstellen.
Er erzählte uns denn auch, daß er damals allerhand niedergeschrieben habe, in der Absicht, vielleicht später einen Roman oder ein Memoirenwerk daraus zu gestalten, und wir interessierten uns lebhaft dafür.
So kam die Zeit heran, wo wir uns trennen mußten, denn die Reise ging zu Ende. An einem der letzten Tage stieg Herr Dame müden Schrittes in seine Kabine hinab und kam mit einem ansehnlichen Paket beschriebener Hefte wieder, dann sagte er: wenn es uns Freude mache, sei er gerne bereit, uns seine Aufzeichnungen zu überlassen. Er wolle sie auch nicht wieder haben, denn das alles sei für ihn abgetan und läge hinter ihm, und er habe wenig Platz in seinen Koffern.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |