Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.äußerte Gerhard nach einer Pause, und der Dichter entgegnete: "Ich weiß nicht, wie Sie das meinen -- aber es möge sich jeder die Welt der Erscheinungen deuten, wie er will. Das sind für uns nur Symptome seines Wesens." Die Kappadozische sah ihn nachdenklich an: "Und sicher gehen wir jetzt einer Zeit entgegen, die es wieder lernen wird, sie im Sinne des Lebens zu deuten." Gerhard seufzte ein wenig: "Ja -- ja -- das wäre allerdings sehr zu begrüßen, gnädiges Fräulein." Wir sind dann zusammen fortgegangen. Wie oft schon habe ich hier sagen hören: wir gehen Zeiten oder einer Zeit entgegen, die -- -- Es ist nicht lange her, da klang es mir fremd und unverständlich in die Ohren, -- mich dünkt, ich habe rasch und viel gelernt. Vor einem Monat noch hätte ich wohl ratlos den Philosophen aufgesucht und ihn gefragt: was für Zeiten denn -- und wieso? Jetzt weiß ich, um was es sich handelt, weiß und begreife, daß man von der Wahnmochinger Bewegung eine große Erneuerung des Lebens erhofft und erwartet. Dem Laien mag es fast wie eine Redensart klingen, mit der schon unzählige Bewegungen ihr Programm eröffnet haben, aber für den Wissenden besteht kein äußerte Gerhard nach einer Pause, und der Dichter entgegnete: „Ich weiß nicht, wie Sie das meinen — aber es möge sich jeder die Welt der Erscheinungen deuten, wie er will. Das sind für uns nur Symptome seines Wesens.“ Die Kappadozische sah ihn nachdenklich an: „Und sicher gehen wir jetzt einer Zeit entgegen, die es wieder lernen wird, sie im Sinne des Lebens zu deuten.“ Gerhard seufzte ein wenig: „Ja — ja — das wäre allerdings sehr zu begrüßen, gnädiges Fräulein.“ Wir sind dann zusammen fortgegangen. Wie oft schon habe ich hier sagen hören: wir gehen Zeiten oder einer Zeit entgegen, die — — Es ist nicht lange her, da klang es mir fremd und unverständlich in die Ohren, — mich dünkt, ich habe rasch und viel gelernt. Vor einem Monat noch hätte ich wohl ratlos den Philosophen aufgesucht und ihn gefragt: was für Zeiten denn — und wieso? Jetzt weiß ich, um was es sich handelt, weiß und begreife, daß man von der Wahnmochinger Bewegung eine große Erneuerung des Lebens erhofft und erwartet. Dem Laien mag es fast wie eine Redensart klingen, mit der schon unzählige Bewegungen ihr Programm eröffnet haben, aber für den Wissenden besteht kein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0143" n="139"/> äußerte Gerhard nach einer Pause, und der Dichter entgegnete:</p> <p>„Ich weiß nicht, wie Sie das meinen — aber es möge sich jeder die Welt der Erscheinungen deuten, wie er will. Das sind für uns nur Symptome seines Wesens.“</p> <p>Die Kappadozische sah ihn nachdenklich an: „Und sicher gehen wir jetzt einer Zeit entgegen, die es wieder lernen wird, sie im Sinne des Lebens zu deuten.“</p> <p>Gerhard seufzte ein wenig: „Ja — ja — das wäre allerdings sehr zu begrüßen, gnädiges Fräulein.“</p> <p>Wir sind dann zusammen fortgegangen.</p> <p>Wie oft schon habe ich hier sagen hören: wir gehen Zeiten oder einer Zeit entgegen, die — —</p> <p>Es ist nicht lange her, da klang es mir fremd und unverständlich in die Ohren, — mich dünkt, ich habe rasch und viel gelernt. Vor einem Monat noch hätte ich wohl ratlos den Philosophen aufgesucht und ihn gefragt: was für Zeiten denn — und wieso? Jetzt weiß ich, um was es sich handelt, weiß und begreife, daß man von der Wahnmochinger Bewegung eine große Erneuerung des Lebens erhofft und erwartet. Dem Laien mag es fast wie eine Redensart klingen, mit der schon unzählige Bewegungen ihr Programm eröffnet haben, aber für den Wissenden besteht kein </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0143]
äußerte Gerhard nach einer Pause, und der Dichter entgegnete:
„Ich weiß nicht, wie Sie das meinen — aber es möge sich jeder die Welt der Erscheinungen deuten, wie er will. Das sind für uns nur Symptome seines Wesens.“
Die Kappadozische sah ihn nachdenklich an: „Und sicher gehen wir jetzt einer Zeit entgegen, die es wieder lernen wird, sie im Sinne des Lebens zu deuten.“
Gerhard seufzte ein wenig: „Ja — ja — das wäre allerdings sehr zu begrüßen, gnädiges Fräulein.“
Wir sind dann zusammen fortgegangen.
Wie oft schon habe ich hier sagen hören: wir gehen Zeiten oder einer Zeit entgegen, die — —
Es ist nicht lange her, da klang es mir fremd und unverständlich in die Ohren, — mich dünkt, ich habe rasch und viel gelernt. Vor einem Monat noch hätte ich wohl ratlos den Philosophen aufgesucht und ihn gefragt: was für Zeiten denn — und wieso? Jetzt weiß ich, um was es sich handelt, weiß und begreife, daß man von der Wahnmochinger Bewegung eine große Erneuerung des Lebens erhofft und erwartet. Dem Laien mag es fast wie eine Redensart klingen, mit der schon unzählige Bewegungen ihr Programm eröffnet haben, aber für den Wissenden besteht kein
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