Doch ich muß weiter gehen: Sie schreiben, so sehr zärtliche Blicke. Wie sehr sind sie, denn zärtlich. Darf ich eine Folge aus Jhren Worten ziehen? Die Jhrigen glauben, sie sind sehr zärt- lich: Sie scheinen aber nur ein weniges zu ge- stehen. Werden Sie nicht böse. Jch thue Jh- nen kein Unrecht: denn Sie haben mir dieses we- nige von Zärtlichkeit nicht bekennen wollen; und nie werden wir doch neugieriger, als wenn man etwas geheim halten will.
Allein es scheint, als wollten Sie ihr Wort fast wieder zurücknehmen, und zweifelten selbst an dem was Sie geschrieben hatten. Denn Sie setzen dazu: wo ich mich anders selbst kenne. War dieser Zusatz in einem Briefe an mich nöthig? Brauchten Sie mir das auf Jhr Wort zu versi- chern? Vielleicht wissen sie besser, was für Blicke Sie auf ihn werfen! Doch nein, ich glaube dieses nicht. Der Anfang der Liebe ist meistentheils un- mercklich: und der dritte, der die Handlungen der liebenden Person siehet, wird oft mehr davon ge- wahr, wenn dasjenige Hertz, so von der Liebe be- sessen ist (kan ich es nicht eine Besitzung nennen) noch nicht weiß, was für ein Geist in ihm wohnet.
Sie setzen hinzu: wenn Sie ja einige meh- rere Neigung gegen ihn/ als gegen eine an- dere Person hätten/ so gründe sich diese Neigung nicht auf seine eigene Vorzüge/ sondern blos auf das Unrecht/ das er Jh- rentwegen erlitten habe. Jn der That, eine großmüthige Erklärung, und die dadurch glaub-
wür-
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der Clariſſa.
Doch ich muß weiter gehen: Sie ſchreiben, ſo ſehr zaͤrtliche Blicke. Wie ſehr ſind ſie, denn zaͤrtlich. Darf ich eine Folge aus Jhren Worten ziehen? Die Jhrigen glauben, ſie ſind ſehr zaͤrt- lich: Sie ſcheinen aber nur ein weniges zu ge- ſtehen. Werden Sie nicht boͤſe. Jch thue Jh- nen kein Unrecht: denn Sie haben mir dieſes we- nige von Zaͤrtlichkeit nicht bekennen wollen; und nie werden wir doch neugieriger, als wenn man etwas geheim halten will.
Allein es ſcheint, als wollten Sie ihr Wort faſt wieder zuruͤcknehmen, und zweifelten ſelbſt an dem was Sie geſchrieben hatten. Denn Sie ſetzen dazu: wo ich mich anders ſelbſt kenne. War dieſer Zuſatz in einem Briefe an mich noͤthig? Brauchten Sie mir das auf Jhr Wort zu verſi- chern? Vielleicht wiſſen ſie beſſer, was fuͤr Blicke Sie auf ihn werfen! Doch nein, ich glaube dieſes nicht. Der Anfang der Liebe iſt meiſtentheils un- mercklich: und der dritte, der die Handlungen der liebenden Perſon ſiehet, wird oft mehr davon ge- wahr, wenn dasjenige Hertz, ſo von der Liebe be- ſeſſen iſt (kan ich es nicht eine Beſitzung nennen) noch nicht weiß, was fuͤr ein Geiſt in ihm wohnet.
Sie ſetzen hinzu: wenn Sie ja einige meh- rere Neigung gegen ihn/ als gegen eine an- dere Perſon haͤtten/ ſo gruͤnde ſich dieſe Neigung nicht auf ſeine eigene Vorzuͤge/ ſondern blos auf das Unrecht/ das er Jh- rentwegen erlitten habe. Jn der That, eine großmuͤthige Erklaͤrung, und die dadurch glaub-
wuͤr-
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der Clariſſa.
Doch ich muß weiter gehen: Sie ſchreiben, ſo
ſehr zaͤrtliche Blicke. Wie ſehr ſind ſie, denn
zaͤrtlich. Darf ich eine Folge aus Jhren Worten
ziehen? Die Jhrigen glauben, ſie ſind ſehr zaͤrt-
lich: Sie ſcheinen aber nur ein weniges zu ge-
ſtehen. Werden Sie nicht boͤſe. Jch thue Jh-
nen kein Unrecht: denn Sie haben mir dieſes we-
nige von Zaͤrtlichkeit nicht bekennen wollen; und
nie werden wir doch neugieriger, als wenn man
etwas geheim halten will.
Allein es ſcheint, als wollten Sie ihr Wort
faſt wieder zuruͤcknehmen, und zweifelten ſelbſt an
dem was Sie geſchrieben hatten. Denn Sie ſetzen
dazu: wo ich mich anders ſelbſt kenne. War
dieſer Zuſatz in einem Briefe an mich noͤthig?
Brauchten Sie mir das auf Jhr Wort zu verſi-
chern? Vielleicht wiſſen ſie beſſer, was fuͤr Blicke
Sie auf ihn werfen! Doch nein, ich glaube dieſes
nicht. Der Anfang der Liebe iſt meiſtentheils un-
mercklich: und der dritte, der die Handlungen der
liebenden Perſon ſiehet, wird oft mehr davon ge-
wahr, wenn dasjenige Hertz, ſo von der Liebe be-
ſeſſen iſt (kan ich es nicht eine Beſitzung nennen)
noch nicht weiß, was fuͤr ein Geiſt in ihm wohnet.
Sie ſetzen hinzu: wenn Sie ja einige meh-
rere Neigung gegen ihn/ als gegen eine an-
dere Perſon haͤtten/ ſo gruͤnde ſich dieſe
Neigung nicht auf ſeine eigene Vorzuͤge/
ſondern blos auf das Unrecht/ das er Jh-
rentwegen erlitten habe. Jn der That, eine
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/119>, abgerufen am 23.11.2024.
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