Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
den verheelt haben, wenn Sie selbst die Neigun-
gen bey sich erkannt hätten, die er entdeckt hat.

Er hat Sie vermocht, insgeheim mit ihm Brie-
fe zu wechseln, um ihn abzuhalten, daß er die Be-
schimpfungen, die ihm widerfahren sind und noch
täglich widerfahren, nicht rächen möge. Jch
glaube gern, daß der Jnhalt Jhrer Briefe nicht
so beschaffen sey, daß er sich dessen rühmen könne.
Allein ist nicht die Sache selbst schon ein grosser
Sieg, daß Sie seine Briefe annehmen und beant-
worten? Sie verlangen von ihm, daß er den
Brief-Wechsel geheim halten solle: folglich haben
Sie Ein Geheimniß, das Sie nicht gern of-
fenbart sehen möchten, und er weiß dieses Ge-
heimniß. Er selbst ist dieses Geheimniß. Macht
dieses nicht eine grosse Vertraulichkeit zwischen
Jhnen, und Jhrem Anbeter? Macht es Sie
nicht fremde von Jhren Eltern?

Allein wer kann es Jhnen bey so gestalten Sa-
chen verdencken? Sie haben durch Jhre Gefällig-
keit gegen ihn bisher manchem Unglück vorgebeu-
get; und Sie werden fortfahren müssen, eben so
gefällig zu seyn, so lange noch die Ursache nicht
gehoben ist, die Sie bisher dazu genöthiget hat.
Jhr Schicksaal hat Sie wider Jhre Neigung in
diesen Briefwechsel gezogen: allein die Gewohn-
heit Briefe mit ihm zu wechseln, und der löbliche
Endzweck den Sie dabey haben, wird nicht allein
alles entschuldigen was sonst unanständig wä-
re, sondern auch eine Neigung machen. Jch
rathe Jhnen so lieb es Jhnen ist, in einer so

schwe-
G 3

der Clariſſa.
den verheelt haben, wenn Sie ſelbſt die Neigun-
gen bey ſich erkannt haͤtten, die er entdeckt hat.

Er hat Sie vermocht, insgeheim mit ihm Brie-
fe zu wechſeln, um ihn abzuhalten, daß er die Be-
ſchimpfungen, die ihm widerfahren ſind und noch
taͤglich widerfahren, nicht raͤchen moͤge. Jch
glaube gern, daß der Jnhalt Jhrer Briefe nicht
ſo beſchaffen ſey, daß er ſich deſſen ruͤhmen koͤnne.
Allein iſt nicht die Sache ſelbſt ſchon ein groſſer
Sieg, daß Sie ſeine Briefe annehmen und beant-
worten? Sie verlangen von ihm, daß er den
Brief-Wechſel geheim halten ſolle: folglich haben
Sie Ein Geheimniß, das Sie nicht gern of-
fenbart ſehen moͤchten, und er weiß dieſes Ge-
heimniß. Er ſelbſt iſt dieſes Geheimniß. Macht
dieſes nicht eine groſſe Vertraulichkeit zwiſchen
Jhnen, und Jhrem Anbeter? Macht es Sie
nicht fremde von Jhren Eltern?

Allein wer kann es Jhnen bey ſo geſtalten Sa-
chen verdencken? Sie haben durch Jhre Gefaͤllig-
keit gegen ihn bisher manchem Ungluͤck vorgebeu-
get; und Sie werden fortfahren muͤſſen, eben ſo
gefaͤllig zu ſeyn, ſo lange noch die Urſache nicht
gehoben iſt, die Sie bisher dazu genoͤthiget hat.
Jhr Schickſaal hat Sie wider Jhre Neigung in
dieſen Briefwechſel gezogen: allein die Gewohn-
heit Briefe mit ihm zu wechſeln, und der loͤbliche
Endzweck den Sie dabey haben, wird nicht allein
alles entſchuldigen was ſonſt unanſtaͤndig waͤ-
re, ſondern auch eine Neigung machen. Jch
rathe Jhnen ſo lieb es Jhnen iſt, in einer ſo

ſchwe-
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0121" n="101"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
den verheelt haben, wenn Sie &#x017F;elb&#x017F;t die Neigun-<lb/>
gen bey &#x017F;ich erkannt ha&#x0364;tten, die er entdeckt hat.</p><lb/>
        <p>Er hat Sie vermocht, insgeheim mit ihm <choice><sic>Bri-</sic><corr>Brie-</corr></choice><lb/>
fe zu wech&#x017F;eln, um ihn abzuhalten, daß er die Be-<lb/>
&#x017F;chimpfungen, die ihm widerfahren &#x017F;ind und noch<lb/>
ta&#x0364;glich widerfahren, nicht ra&#x0364;chen mo&#x0364;ge. Jch<lb/>
glaube gern, daß der <hi rendition="#fr">Jnhalt</hi> Jhrer Briefe nicht<lb/>
&#x017F;o be&#x017F;chaffen &#x017F;ey, daß er &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en ru&#x0364;hmen ko&#x0364;nne.<lb/>
Allein i&#x017F;t nicht die <hi rendition="#fr">Sache &#x017F;elb&#x017F;t</hi> &#x017F;chon ein gro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Sieg, daß Sie &#x017F;eine Briefe annehmen und beant-<lb/>
worten? Sie verlangen von ihm, daß er den<lb/>
Brief-Wech&#x017F;el geheim halten &#x017F;olle: folglich haben<lb/>
Sie <hi rendition="#fr">Ein Geheimniß,</hi> das Sie nicht gern of-<lb/>
fenbart &#x017F;ehen mo&#x0364;chten, und er weiß die&#x017F;es Ge-<lb/>
heimniß. Er &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t die&#x017F;es Geheimniß. Macht<lb/>
die&#x017F;es nicht eine gro&#x017F;&#x017F;e Vertraulichkeit zwi&#x017F;chen<lb/>
Jhnen, und Jhrem Anbeter? Macht es Sie<lb/>
nicht fremde von Jhren Eltern?</p><lb/>
        <p>Allein wer kann es Jhnen bey &#x017F;o ge&#x017F;talten Sa-<lb/>
chen verdencken? Sie haben durch Jhre Gefa&#x0364;llig-<lb/>
keit gegen ihn bisher manchem Unglu&#x0364;ck vorgebeu-<lb/>
get; und Sie werden fortfahren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, eben &#x017F;o<lb/>
gefa&#x0364;llig zu &#x017F;eyn, &#x017F;o lange noch die Ur&#x017F;ache nicht<lb/>
gehoben i&#x017F;t, die Sie bisher dazu geno&#x0364;thiget hat.<lb/>
Jhr Schick&#x017F;aal hat Sie wider Jhre Neigung in<lb/>
die&#x017F;en Briefwech&#x017F;el gezogen: allein die Gewohn-<lb/>
heit Briefe mit ihm zu wech&#x017F;eln, und der lo&#x0364;bliche<lb/>
Endzweck den Sie dabey haben, wird nicht allein<lb/>
alles ent&#x017F;chuldigen was &#x017F;on&#x017F;t unan&#x017F;ta&#x0364;ndig wa&#x0364;-<lb/>
re, &#x017F;ondern auch eine Neigung machen. Jch<lb/>
rathe Jhnen &#x017F;o lieb es Jhnen i&#x017F;t, in einer &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chwe-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0121] der Clariſſa. den verheelt haben, wenn Sie ſelbſt die Neigun- gen bey ſich erkannt haͤtten, die er entdeckt hat. Er hat Sie vermocht, insgeheim mit ihm Brie- fe zu wechſeln, um ihn abzuhalten, daß er die Be- ſchimpfungen, die ihm widerfahren ſind und noch taͤglich widerfahren, nicht raͤchen moͤge. Jch glaube gern, daß der Jnhalt Jhrer Briefe nicht ſo beſchaffen ſey, daß er ſich deſſen ruͤhmen koͤnne. Allein iſt nicht die Sache ſelbſt ſchon ein groſſer Sieg, daß Sie ſeine Briefe annehmen und beant- worten? Sie verlangen von ihm, daß er den Brief-Wechſel geheim halten ſolle: folglich haben Sie Ein Geheimniß, das Sie nicht gern of- fenbart ſehen moͤchten, und er weiß dieſes Ge- heimniß. Er ſelbſt iſt dieſes Geheimniß. Macht dieſes nicht eine groſſe Vertraulichkeit zwiſchen Jhnen, und Jhrem Anbeter? Macht es Sie nicht fremde von Jhren Eltern? Allein wer kann es Jhnen bey ſo geſtalten Sa- chen verdencken? Sie haben durch Jhre Gefaͤllig- keit gegen ihn bisher manchem Ungluͤck vorgebeu- get; und Sie werden fortfahren muͤſſen, eben ſo gefaͤllig zu ſeyn, ſo lange noch die Urſache nicht gehoben iſt, die Sie bisher dazu genoͤthiget hat. Jhr Schickſaal hat Sie wider Jhre Neigung in dieſen Briefwechſel gezogen: allein die Gewohn- heit Briefe mit ihm zu wechſeln, und der loͤbliche Endzweck den Sie dabey haben, wird nicht allein alles entſchuldigen was ſonſt unanſtaͤndig waͤ- re, ſondern auch eine Neigung machen. Jch rathe Jhnen ſo lieb es Jhnen iſt, in einer ſo ſchwe- G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/121
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/121>, abgerufen am 23.11.2024.