Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Sie weiß hundert wilde Streiche von seiner
Kindheit an, bis in sein erwachsenes Alter: denn
sie sagt, weil ihm niemand durch den Sinn gefah-
ren wäre, so hätte er eine Menge poßirlich und
albern Zeug angefangen, und wäre eine rechte
Meer-Katze vom Jungen gewesen. Jch will alle
diese kindische Schelmereyen übergehen, obgleich
sich viel daraus schliessen läßt: und will nur ei-
nige Jhnen theils bekante theils unbekante Nach-
richten aus ihrem Munde erzehlen, und ein paar
Anmerckungen darüber machen.

Frau Fortescue gestehet das, was jedermann
von ihm weiß, daß er ein Herr von sehr lustiger
Lebens-Att sey, und das er dieses selbst nicht leugne.
Sie sagt aber, wenn er sich etwas angelegen seyn
lasse, oder etwas unternehme, so sey kein fleißigerer
und beständigerer Mensch unter der Sonne zu
finden als er. Er pflegt eben so wie Sie nur sechs
Stunden zu schlaffen. Schreiben, ist sein Ver-
gnügen: wenn er seinen Onckle, oder Lady La-
wrance/
oder Lady Sadleir besucht, so findet
man ihn immer mit der Feder in der Hand, so bald
er sich aus der Gesellschaft wegbegeben hat. Einer
von seinen besten Bekannten hat ihr viel davon
erzehlt, daß er gern schreibe, mit dem Zusatz: die
Gedancken flössen ihm Stromweise in die
Feder.
Sie wissen, daß wir uns einige mahl
darüber gewundert haben, daß er eine so schöne
Hand hat, ob er gleich so geschwinde schreibt.
Er muß in der ersten Kindheit bereits einen un-
vergleichlichen Kopf gehabt, und alles sehr leicht

gelernt
Die Geſchichte

Sie weiß hundert wilde Streiche von ſeiner
Kindheit an, bis in ſein erwachſenes Alter: denn
ſie ſagt, weil ihm niemand durch den Sinn gefah-
ren waͤre, ſo haͤtte er eine Menge poßirlich und
albern Zeug angefangen, und waͤre eine rechte
Meer-Katze vom Jungen geweſen. Jch will alle
dieſe kindiſche Schelmereyen uͤbergehen, obgleich
ſich viel daraus ſchlieſſen laͤßt: und will nur ei-
nige Jhnen theils bekante theils unbekante Nach-
richten aus ihrem Munde erzehlen, und ein paar
Anmerckungen daꝛuͤber machen.

Frau Forteſcue geſtehet das, was jedermann
von ihm weiß, daß er ein Herr von ſehr luſtiger
Lebens-Att ſey, und das er dieſes ſelbſt nicht leugne.
Sie ſagt aber, wenn er ſich etwas angelegen ſeyn
laſſe, oder etwas unternehme, ſo ſey kein fleißigerer
und beſtaͤndigerer Menſch unter der Sonne zu
finden als er. Er pflegt eben ſo wie Sie nur ſechs
Stunden zu ſchlaffen. Schreiben, iſt ſein Ver-
gnuͤgen: wenn er ſeinen Onckle, oder Lady La-
wrance/
oder Lady Sadleir beſucht, ſo findet
man ihn immer mit der Feder in der Hand, ſo bald
er ſich aus der Geſellſchaft wegbegeben hat. Einer
von ſeinen beſten Bekannten hat ihr viel davon
erzehlt, daß er gern ſchreibe, mit dem Zuſatz: die
Gedancken floͤſſen ihm Stromweiſe in die
Feder.
Sie wiſſen, daß wir uns einige mahl
daruͤber gewundert haben, daß er eine ſo ſchoͤne
Hand hat, ob er gleich ſo geſchwinde ſchreibt.
Er muß in der erſten Kindheit bereits einen un-
vergleichlichen Kopf gehabt, und alles ſehr leicht

gelernt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0130" n="110"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Sie weiß hundert wilde Streiche von &#x017F;einer<lb/>
Kindheit an, bis in &#x017F;ein erwach&#x017F;enes Alter: denn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;agt, weil ihm niemand durch den Sinn gefah-<lb/>
ren wa&#x0364;re, &#x017F;o ha&#x0364;tte er eine Menge poßirlich und<lb/>
albern Zeug angefangen, und wa&#x0364;re eine rechte<lb/>
Meer-Katze vom Jungen gewe&#x017F;en. Jch will alle<lb/>
die&#x017F;e kindi&#x017F;che Schelmereyen u&#x0364;bergehen, obgleich<lb/>
&#x017F;ich viel daraus &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;ßt: und will nur ei-<lb/>
nige Jhnen theils bekante theils unbekante Nach-<lb/>
richten aus ihrem Munde erzehlen, und ein paar<lb/>
Anmerckungen da&#xA75B;u&#x0364;ber machen.</p><lb/>
        <p>Frau <hi rendition="#fr">Forte&#x017F;cue</hi> ge&#x017F;tehet das, was jedermann<lb/>
von ihm weiß, daß er ein Herr von &#x017F;ehr lu&#x017F;tiger<lb/>
Lebens-Att &#x017F;ey, und das er die&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;t nicht leugne.<lb/>
Sie &#x017F;agt aber, wenn er &#x017F;ich etwas angelegen &#x017F;eyn<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e, oder etwas unternehme, &#x017F;o &#x017F;ey kein fleißigerer<lb/>
und be&#x017F;ta&#x0364;ndigerer Men&#x017F;ch unter der Sonne zu<lb/>
finden als er. Er pflegt eben &#x017F;o wie Sie nur &#x017F;echs<lb/>
Stunden zu &#x017F;chlaffen. Schreiben, i&#x017F;t &#x017F;ein Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen: wenn er &#x017F;einen Onckle, oder Lady <hi rendition="#fr">La-<lb/>
wrance/</hi> oder Lady <hi rendition="#fr">Sadleir</hi> be&#x017F;ucht, &#x017F;o findet<lb/>
man ihn immer mit der Feder in der Hand, &#x017F;o bald<lb/>
er &#x017F;ich aus der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft wegbegeben hat. Einer<lb/>
von &#x017F;einen be&#x017F;ten Bekannten hat ihr viel davon<lb/>
erzehlt, daß er gern &#x017F;chreibe, mit dem Zu&#x017F;atz: die<lb/><hi rendition="#fr">Gedancken flo&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ihm Stromwei&#x017F;e in die<lb/>
Feder.</hi> Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß wir uns einige mahl<lb/>
daru&#x0364;ber gewundert haben, daß er eine &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Hand hat, ob er gleich &#x017F;o ge&#x017F;chwinde &#x017F;chreibt.<lb/>
Er muß in der er&#x017F;ten Kindheit bereits einen un-<lb/>
vergleichlichen Kopf gehabt, und alles &#x017F;ehr leicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gelernt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0130] Die Geſchichte Sie weiß hundert wilde Streiche von ſeiner Kindheit an, bis in ſein erwachſenes Alter: denn ſie ſagt, weil ihm niemand durch den Sinn gefah- ren waͤre, ſo haͤtte er eine Menge poßirlich und albern Zeug angefangen, und waͤre eine rechte Meer-Katze vom Jungen geweſen. Jch will alle dieſe kindiſche Schelmereyen uͤbergehen, obgleich ſich viel daraus ſchlieſſen laͤßt: und will nur ei- nige Jhnen theils bekante theils unbekante Nach- richten aus ihrem Munde erzehlen, und ein paar Anmerckungen daꝛuͤber machen. Frau Forteſcue geſtehet das, was jedermann von ihm weiß, daß er ein Herr von ſehr luſtiger Lebens-Att ſey, und das er dieſes ſelbſt nicht leugne. Sie ſagt aber, wenn er ſich etwas angelegen ſeyn laſſe, oder etwas unternehme, ſo ſey kein fleißigerer und beſtaͤndigerer Menſch unter der Sonne zu finden als er. Er pflegt eben ſo wie Sie nur ſechs Stunden zu ſchlaffen. Schreiben, iſt ſein Ver- gnuͤgen: wenn er ſeinen Onckle, oder Lady La- wrance/ oder Lady Sadleir beſucht, ſo findet man ihn immer mit der Feder in der Hand, ſo bald er ſich aus der Geſellſchaft wegbegeben hat. Einer von ſeinen beſten Bekannten hat ihr viel davon erzehlt, daß er gern ſchreibe, mit dem Zuſatz: die Gedancken floͤſſen ihm Stromweiſe in die Feder. Sie wiſſen, daß wir uns einige mahl daruͤber gewundert haben, daß er eine ſo ſchoͤne Hand hat, ob er gleich ſo geſchwinde ſchreibt. Er muß in der erſten Kindheit bereits einen un- vergleichlichen Kopf gehabt, und alles ſehr leicht gelernt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/130
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/130>, abgerufen am 23.11.2024.