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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
Nachkommen dereinst den ersten Rang in dem
Königreich erlangen möchten. Hingegen glaubte
mein Bruder, als der einzige Sohn, wir beyden
Mädchens wären überflüßig reichlich bedacht,
wenn ein jedes zehn oder funfzehn tausend Pfund
mit bekäme: und so würden die liegenden Gründe
der Familie, die mein Grosvater, mein Vater und
dessen Brüder besässen, nebst dem was noch sonst
an Barschafft nach Abzug der uns zugedachten
funfzehntausend Pfund übrig blieb, mit dem Gu-
te seiner Pathe, darauf er die Anwartschafft hat-
te, zusammen genommen, so viel ausmachen, und
ihm so viel Ansehen und Freundschaft erwerben,
daß er hoffen könnte ein Lord zu werden. Denn
ohne diesen Titel konnte sein Ehrgeitz nicht befrie-
diget werden.

Bey dieser Absicht that er schon zum voraus
gantz vornehm. Er ließ sich mercken: "daß sein
"Grosvater und seines Vaters-Brüder nichts
"anders als seine Haushalter wären, die er sich nie
"besser wünschen möchte. Die Töchter wären nur
"eine Last der Familien: sie wären der Abzug
"vom Capital." Er hatte sonderlich einen nieder-
trächtigen Ausdruck oft im Munde, und schien sich,
so oft er ihn vorbrachte, so wohl zu gefallen, als ir-
gend Leute thun können, die andern ihre glückli-
chen Einfälle mittheilen: "wer nemlich, Söhne
"erzöge, der futterte Hüner auf seinen Tisch:" (ich
fragte ihn einmahl: ob er ihnen auch endlich den
Hals abschneiden müßte, damit das Gleichniß
sich recht schicken möchte?) "die Töchter aber

"wä-

Die Geſchichte
Nachkommen dereinſt den erſten Rang in dem
Koͤnigreich erlangen moͤchten. Hingegen glaubte
mein Bruder, als der einzige Sohn, wir beyden
Maͤdchens waͤren uͤberfluͤßig reichlich bedacht,
wenn ein jedes zehn oder funfzehn tauſend Pfund
mit bekaͤme: und ſo wuͤrden die liegenden Gruͤnde
der Familie, die mein Grosvater, mein Vater und
deſſen Bruͤder beſaͤſſen, nebſt dem was noch ſonſt
an Barſchafft nach Abzug der uns zugedachten
funfzehntauſend Pfund uͤbrig blieb, mit dem Gu-
te ſeiner Pathe, darauf er die Anwartſchafft hat-
te, zuſammen genommen, ſo viel ausmachen, und
ihm ſo viel Anſehen und Freundſchaft erwerben,
daß er hoffen koͤnnte ein Lord zu werden. Denn
ohne dieſen Titel konnte ſein Ehrgeitz nicht befrie-
diget werden.

Bey dieſer Abſicht that er ſchon zum voraus
gantz vornehm. Er ließ ſich mercken: „daß ſein
„Grosvater und ſeines Vaters-Bruͤder nichts
„anders als ſeine Haushalter waͤren, die er ſich nie
„beſſer wuͤnſchen moͤchte. Die Toͤchter waͤren nur
„eine Laſt der Familien: ſie waͤren der Abzug
„vom Capital.„ Er hatte ſonderlich einen nieder-
traͤchtigen Ausdruck oft im Munde, und ſchien ſich,
ſo oft er ihn vorbrachte, ſo wohl zu gefallen, als ir-
gend Leute thun koͤnnen, die andern ihre gluͤckli-
chen Einfaͤlle mittheilen: „wer nemlich, Soͤhne
„erzoͤge, der futterte Huͤner auf ſeinen Tiſch:„ (ich
fragte ihn einmahl: ob er ihnen auch endlich den
Hals abſchneiden muͤßte, damit das Gleichniß
ſich recht ſchicken moͤchte?) „die Toͤchter aber

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[120/0140] Die Geſchichte Nachkommen dereinſt den erſten Rang in dem Koͤnigreich erlangen moͤchten. Hingegen glaubte mein Bruder, als der einzige Sohn, wir beyden Maͤdchens waͤren uͤberfluͤßig reichlich bedacht, wenn ein jedes zehn oder funfzehn tauſend Pfund mit bekaͤme: und ſo wuͤrden die liegenden Gruͤnde der Familie, die mein Grosvater, mein Vater und deſſen Bruͤder beſaͤſſen, nebſt dem was noch ſonſt an Barſchafft nach Abzug der uns zugedachten funfzehntauſend Pfund uͤbrig blieb, mit dem Gu- te ſeiner Pathe, darauf er die Anwartſchafft hat- te, zuſammen genommen, ſo viel ausmachen, und ihm ſo viel Anſehen und Freundſchaft erwerben, daß er hoffen koͤnnte ein Lord zu werden. Denn ohne dieſen Titel konnte ſein Ehrgeitz nicht befrie- diget werden. Bey dieſer Abſicht that er ſchon zum voraus gantz vornehm. Er ließ ſich mercken: „daß ſein „Grosvater und ſeines Vaters-Bruͤder nichts „anders als ſeine Haushalter waͤren, die er ſich nie „beſſer wuͤnſchen moͤchte. Die Toͤchter waͤren nur „eine Laſt der Familien: ſie waͤren der Abzug „vom Capital.„ Er hatte ſonderlich einen nieder- traͤchtigen Ausdruck oft im Munde, und ſchien ſich, ſo oft er ihn vorbrachte, ſo wohl zu gefallen, als ir- gend Leute thun koͤnnen, die andern ihre gluͤckli- chen Einfaͤlle mittheilen: „wer nemlich, Soͤhne „erzoͤge, der futterte Huͤner auf ſeinen Tiſch:„ (ich fragte ihn einmahl: ob er ihnen auch endlich den Hals abſchneiden muͤßte, damit das Gleichniß ſich recht ſchicken moͤchte?) „die Toͤchter aber „waͤ-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/140>, abgerufen am 23.11.2024.