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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.

Soll ich itzo noch nicht reden?

Jch werde gleich ausgeredet haben. Ein
so tugendhaftes und srommes Kind/
be-
liebte sie zu sagen/ kan einen Ertz-Bösewicht
ohnmöglich lieben. Du hast viel zu viel Lie-
be für deinen Bruder/ als daß du jemanden
zu heyrathen wünschen soltest/ der ihn bey
nahe getödtet hätte/ der deines Vaters
Brüdern drohet/ und der uns allen trotzet.
Du hast sechs oder sieben mal deinen Wil-
len gehabt. Wir wollen uns jetzt nur in
Sicherheit setzen/ daß du nie einem so lie-
derlichen Menschen zu Theil werden mö-
gest.
Sage es mir. Jch darf es doch
wohl wissen: ob du diesen Kerl allen übri-
gen vorziehest? GOtt behüte mich/ daß
du nicht mit Ja antwortest. Denn eine
solche Erklärung würde uns alle unglück-
lich machen. Doch sage es mir/ bist du
in diesen Mann verliebet?

Jch wußte wohl, was darauf folgen würde,
wenn ich nein gesaget hätte.

Du stockest. Du antwortest mir nicht:
du kanst mir nicht antworten.
(Sie stand
auf) Jch will dich nie wieder ansehen.

O Liebste Mutter/ Tödten sie mich nicht
durch ihren Unwillen. Jch wollte nicht/
ich könte nicht einen Augenblick schweigen/
wo ich nicht eine Folge vermuthen müßte/
wenn ich so antwortete/ wie sie es gerne

sehen.
L 2
der Clariſſa.

Soll ich itzo noch nicht reden?

Jch werde gleich ausgeredet haben. Ein
ſo tugendhaftes und ſrommes Kind/
be-
liebte ſie zu ſagen/ kan einen Ertz-Boͤſewicht
ohnmoͤglich lieben. Du haſt viel zu viel Lie-
be fuͤr deinen Bruder/ als daß du jemanden
zu heyrathen wuͤnſchen ſolteſt/ der ihn bey
nahe getoͤdtet haͤtte/ der deines Vaters
Bruͤdern drohet/ und der uns allen trotzet.
Du haſt ſechs oder ſieben mal deinen Wil-
len gehabt. Wir wollen uns jetzt nur in
Sicherheit ſetzen/ daß du nie einem ſo lie-
derlichen Menſchen zu Theil werden moͤ-
geſt.
Sage es mir. Jch darf es doch
wohl wiſſen: ob du dieſen Kerl allen uͤbri-
gen vorzieheſt? GOtt behuͤte mich/ daß
du nicht mit Ja antworteſt. Denn eine
ſolche Erklaͤrung wuͤrde uns alle ungluͤck-
lich machen. Doch ſage es mir/ biſt du
in dieſen Mann verliebet?

Jch wußte wohl, was darauf folgen wuͤrde,
wenn ich nein geſaget haͤtte.

Du ſtockeſt. Du antworteſt mir nicht:
du kanſt mir nicht antworten.
(Sie ſtand
auf) Jch will dich nie wieder anſehen.

O Liebſte Mutter/ Toͤdten ſie mich nicht
durch ihren Unwillen. Jch wollte nicht/
ich koͤnte nicht einen Augenblick ſchweigen/
wo ich nicht eine Folge vermuthen muͤßte/
wenn ich ſo antwortete/ wie ſie es gerne

ſehen.
L 2
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[163/0183] der Clariſſa. Soll ich itzo noch nicht reden? Jch werde gleich ausgeredet haben. Ein ſo tugendhaftes und ſrommes Kind/ be- liebte ſie zu ſagen/ kan einen Ertz-Boͤſewicht ohnmoͤglich lieben. Du haſt viel zu viel Lie- be fuͤr deinen Bruder/ als daß du jemanden zu heyrathen wuͤnſchen ſolteſt/ der ihn bey nahe getoͤdtet haͤtte/ der deines Vaters Bruͤdern drohet/ und der uns allen trotzet. Du haſt ſechs oder ſieben mal deinen Wil- len gehabt. Wir wollen uns jetzt nur in Sicherheit ſetzen/ daß du nie einem ſo lie- derlichen Menſchen zu Theil werden moͤ- geſt. Sage es mir. Jch darf es doch wohl wiſſen: ob du dieſen Kerl allen uͤbri- gen vorzieheſt? GOtt behuͤte mich/ daß du nicht mit Ja antworteſt. Denn eine ſolche Erklaͤrung wuͤrde uns alle ungluͤck- lich machen. Doch ſage es mir/ biſt du in dieſen Mann verliebet? Jch wußte wohl, was darauf folgen wuͤrde, wenn ich nein geſaget haͤtte. Du ſtockeſt. Du antworteſt mir nicht: du kanſt mir nicht antworten. (Sie ſtand auf) Jch will dich nie wieder anſehen. O Liebſte Mutter/ Toͤdten ſie mich nicht durch ihren Unwillen. Jch wollte nicht/ ich koͤnte nicht einen Augenblick ſchweigen/ wo ich nicht eine Folge vermuthen muͤßte/ wenn ich ſo antwortete/ wie ſie es gerne ſehen. L 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/183>, abgerufen am 23.11.2024.