daß ich und mein Rath bey dir nicht so viel gelte, als ich durch meine Gütigkeit verdient zu haben glaube.
Dein Vater speiset Mittags und Abends bey seinem Bruder, um uns diese Gelegenheit zu ge- ben: und nach seiner Rückkunft wird er nach der Nachricht, die ich ihm aufrichtig von allem geben werde, seine Einrichtung zu machen wissen.
Jch wollte reden; aber sie sagte: Höre erst, Clarissa, was ich dir zu sagen habe, und alsdenn rede: es wäre denn, daß du mir hättest sagen wol- len, du wolltest gehorsam seyn. Sage mir, war das deine Meinung? Wenn es dis gewesen ist, so darffst du reden.
Jch schwieg stille.
Sie sahe mich mit einem besorgten und zorni- gen Gesicht an. Jch finde gar kein Nachge- ben! Es ist bisher ein so gehorsames Kind gewesen! Wilst du oder kanst du das nicht sagen/ was ich gern hören wollte? Sie machte eine Bewegung mit der Hand, als wenn sie mich wegweisen und aufgeben wollte: nun so bleibe stumm! weder ich noch dein Vater kan deine offenbare Widersetzung dulden.
Sie hielt in, als erwartete sie von mir eine bessere Antwort. Jch blieb noch stumm: und sahe mit thränenden Augen vor mich nieder.
"Du unbewegliches Mädchen! Sage, rede "frey heraus: willst du dich uns allen in einer "Sache widersetzen, die uns am Hertzen liegt?
"Jst
Die Geſchichte
daß ich und mein Rath bey dir nicht ſo viel gelte, als ich durch meine Guͤtigkeit verdient zu haben glaube.
Dein Vater ſpeiſet Mittags und Abends bey ſeinem Bruder, um uns dieſe Gelegenheit zu ge- ben: und nach ſeiner Ruͤckkunft wird er nach der Nachricht, die ich ihm aufrichtig von allem geben werde, ſeine Einrichtung zu machen wiſſen.
Jch wollte reden; aber ſie ſagte: Hoͤre erſt, Clariſſa, was ich dir zu ſagen habe, und alsdenn rede: es waͤre denn, daß du mir haͤtteſt ſagen wol- len, du wollteſt gehorſam ſeyn. Sage mir, war das deine Meinung? Wenn es dis geweſen iſt, ſo darffſt du reden.
Jch ſchwieg ſtille.
Sie ſahe mich mit einem beſorgten und zorni- gen Geſicht an. Jch finde gar kein Nachge- ben! Es iſt bisher ein ſo gehorſames Kind geweſen! Wilſt du oder kanſt du das nicht ſagen/ was ich gern hoͤren wollte? Sie machte eine Bewegung mit der Hand, als wenn ſie mich wegweiſen und aufgeben wollte: nun ſo bleibe ſtumm! weder ich noch dein Vater kan deine offenbare Widerſetzung dulden.
Sie hielt in, als erwartete ſie von mir eine beſſere Antwort. Jch blieb noch ſtumm: und ſahe mit thraͤnenden Augen vor mich nieder.
„Du unbewegliches Maͤdchen! Sage, rede „frey heraus: willſt du dich uns allen in einer „Sache widerſetzen, die uns am Hertzen liegt?
„Jſt
<TEI><text><body><divn="2"><p><pbfacs="#f0236"n="216"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
daß ich und mein Rath bey dir nicht ſo viel gelte,<lb/>
als ich durch meine Guͤtigkeit verdient zu haben<lb/>
glaube.</p><lb/><p>Dein Vater ſpeiſet Mittags und Abends bey<lb/>ſeinem Bruder, um uns dieſe Gelegenheit zu ge-<lb/>
ben: und nach ſeiner Ruͤckkunft wird er nach der<lb/>
Nachricht, die ich ihm aufrichtig von allem geben<lb/>
werde, ſeine Einrichtung zu machen wiſſen.</p><lb/><p>Jch wollte reden; aber ſie ſagte: Hoͤre erſt,<lb/><hirendition="#fr">Clariſſa,</hi> was ich dir zu ſagen habe, und alsdenn<lb/>
rede: es waͤre denn, daß du mir haͤtteſt ſagen wol-<lb/>
len, du wollteſt gehorſam ſeyn. Sage mir, war<lb/>
das deine Meinung? Wenn es dis geweſen iſt,<lb/>ſo darffſt du reden.</p><lb/><p>Jch ſchwieg ſtille.</p><lb/><p>Sie ſahe mich mit einem beſorgten und zorni-<lb/>
gen Geſicht an. <hirendition="#fr">Jch finde gar kein Nachge-<lb/>
ben! Es iſt bisher ein ſo gehorſames Kind<lb/>
geweſen! Wilſt du oder kanſt du das nicht<lb/>ſagen/ was ich gern hoͤren wollte?</hi> Sie<lb/>
machte eine Bewegung mit der Hand, als<lb/>
wenn ſie mich wegweiſen und aufgeben wollte:<lb/><hirendition="#fr">nun ſo bleibe ſtumm! weder ich noch dein<lb/>
Vater kan deine offenbare Widerſetzung<lb/>
dulden.</hi></p><lb/><p>Sie hielt in, als erwartete ſie von mir eine<lb/>
beſſere Antwort. Jch blieb noch ſtumm: und<lb/>ſahe mit thraͤnenden Augen vor mich nieder.</p><lb/><p>„Du unbewegliches Maͤdchen! Sage, rede<lb/>„frey heraus: willſt du dich uns allen in einer<lb/>„Sache widerſetzen, die uns am Hertzen liegt?</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">„Jſt</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[216/0236]
Die Geſchichte
daß ich und mein Rath bey dir nicht ſo viel gelte,
als ich durch meine Guͤtigkeit verdient zu haben
glaube.
Dein Vater ſpeiſet Mittags und Abends bey
ſeinem Bruder, um uns dieſe Gelegenheit zu ge-
ben: und nach ſeiner Ruͤckkunft wird er nach der
Nachricht, die ich ihm aufrichtig von allem geben
werde, ſeine Einrichtung zu machen wiſſen.
Jch wollte reden; aber ſie ſagte: Hoͤre erſt,
Clariſſa, was ich dir zu ſagen habe, und alsdenn
rede: es waͤre denn, daß du mir haͤtteſt ſagen wol-
len, du wollteſt gehorſam ſeyn. Sage mir, war
das deine Meinung? Wenn es dis geweſen iſt,
ſo darffſt du reden.
Jch ſchwieg ſtille.
Sie ſahe mich mit einem beſorgten und zorni-
gen Geſicht an. Jch finde gar kein Nachge-
ben! Es iſt bisher ein ſo gehorſames Kind
geweſen! Wilſt du oder kanſt du das nicht
ſagen/ was ich gern hoͤren wollte? Sie
machte eine Bewegung mit der Hand, als
wenn ſie mich wegweiſen und aufgeben wollte:
nun ſo bleibe ſtumm! weder ich noch dein
Vater kan deine offenbare Widerſetzung
dulden.
Sie hielt in, als erwartete ſie von mir eine
beſſere Antwort. Jch blieb noch ſtumm: und
ſahe mit thraͤnenden Augen vor mich nieder.
„Du unbewegliches Maͤdchen! Sage, rede
„frey heraus: willſt du dich uns allen in einer
„Sache widerſetzen, die uns am Hertzen liegt?
„Jſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/236>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.