"merten Freunde in Sorgen setze, daß sie das "Eigenthum eines liederlichen und niederträchti- "gen Frey-Geistes werden wolle, der der gantzen "Familie trotze, (es möge nun die Schuld der "Feindschafft liegen auf welcher Seite sie wolle) "und würcklich seine Hände mit dem Blute ihres "Bruders beflecket habe."
Sie widerholte gegen mich: "daß mein "Vater einmal seinen Sinn darauf gesetzt, und "sich so gar erklärt hätte, er wolle lieber gar kei- "ne Tochter haben, als eine Tochter, mit der "er nicht zu ihrem eigenen Besten machen könnte "was er wollte. Jch hätte ja vorgegeben, daß "mein Hertz ungebunden sey; und durch meinen "Gehorsam werde das Beste seiner gantzen Fa- "milie befördert. Er habe bey so häuffigen "Anfällen vom Podagra, deren einer immer ge- "fährlicher schiene als der andere, keine grosse "Hoffnung noch lange in der Welt zu leben, "oder hier viel Vergnügen und gute Tage zu ge- "niessen. Er hoffe doch, daß ich, von der mein "Gros-Vater vorgegeben hätte, daß ich durch "meinen Gehorsam etwas zur Verlängerung "seines Lebens beygetragen hätte, meines Va- "ters Leben durch meinen Ungehorsam nicht "verkürtzen wollte."
Dis muste mir nothwendig sehr zu Hertzen ge- ben. Jch weinte ohne ein Wort zu sagen, denn ich konte nicht reden. Meine Mutter fuhr fort: "was "kan dein Vater für Ursachen haben, darum "er diese Sache so ernstlich treibet, als weil er
"siehet,
Die Geſchichte
„merten Freunde in Sorgen ſetze, daß ſie das „Eigenthum eines liederlichen und niedertraͤchti- „gen Frey-Geiſtes werden wolle, der der gantzen „Familie trotze, (es moͤge nun die Schuld der „Feindſchafft liegen auf welcher Seite ſie wolle) „und wuͤrcklich ſeine Haͤnde mit dem Blute ihres „Bruders beflecket habe.„
Sie widerholte gegen mich: „daß mein „Vater einmal ſeinen Sinn darauf geſetzt, und „ſich ſo gar erklaͤrt haͤtte, er wolle lieber gar kei- „ne Tochter haben, als eine Tochter, mit der „er nicht zu ihrem eigenen Beſten machen koͤnnte „was er wollte. Jch haͤtte ja vorgegeben, daß „mein Hertz ungebunden ſey; und durch meinen „Gehorſam werde das Beſte ſeiner gantzen Fa- „milie befoͤrdert. Er habe bey ſo haͤuffigen „Anfaͤllen vom Podagra, deren einer immer ge- „faͤhrlicher ſchiene als der andere, keine groſſe „Hoffnung noch lange in der Welt zu leben, „oder hier viel Vergnuͤgen und gute Tage zu ge- „nieſſen. Er hoffe doch, daß ich, von der mein „Gros-Vater vorgegeben haͤtte, daß ich durch „meinen Gehorſam etwas zur Verlaͤngerung „ſeines Lebens beygetragen haͤtte, meines Va- „ters Leben durch meinen Ungehorſam nicht „verkuͤrtzen wollte.„
Dis muſte mir nothwendig ſehr zu Hertzen ge- ben. Jch weinte ohne ein Wort zu ſagen, denn ich konte nicht reden. Meine Mutter fuhr fort: „was „kan dein Vater fuͤr Urſachen haben, darum „er dieſe Sache ſo ernſtlich treibet, als weil er
„ſiehet,
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Die Geſchichte
„merten Freunde in Sorgen ſetze, daß ſie das
„Eigenthum eines liederlichen und niedertraͤchti-
„gen Frey-Geiſtes werden wolle, der der gantzen
„Familie trotze, (es moͤge nun die Schuld der
„Feindſchafft liegen auf welcher Seite ſie wolle)
„und wuͤrcklich ſeine Haͤnde mit dem Blute ihres
„Bruders beflecket habe.„
Sie widerholte gegen mich: „daß mein
„Vater einmal ſeinen Sinn darauf geſetzt, und
„ſich ſo gar erklaͤrt haͤtte, er wolle lieber gar kei-
„ne Tochter haben, als eine Tochter, mit der
„er nicht zu ihrem eigenen Beſten machen koͤnnte
„was er wollte. Jch haͤtte ja vorgegeben, daß
„mein Hertz ungebunden ſey; und durch meinen
„Gehorſam werde das Beſte ſeiner gantzen Fa-
„milie befoͤrdert. Er habe bey ſo haͤuffigen
„Anfaͤllen vom Podagra, deren einer immer ge-
„faͤhrlicher ſchiene als der andere, keine groſſe
„Hoffnung noch lange in der Welt zu leben,
„oder hier viel Vergnuͤgen und gute Tage zu ge-
„nieſſen. Er hoffe doch, daß ich, von der mein
„Gros-Vater vorgegeben haͤtte, daß ich durch
„meinen Gehorſam etwas zur Verlaͤngerung
„ſeines Lebens beygetragen haͤtte, meines Va-
„ters Leben durch meinen Ungehorſam nicht
„verkuͤrtzen wollte.„
Dis muſte mir nothwendig ſehr zu Hertzen ge-
ben. Jch weinte ohne ein Wort zu ſagen, denn ich
konte nicht reden. Meine Mutter fuhr fort: „was
„kan dein Vater fuͤr Urſachen haben, darum
„er dieſe Sache ſo ernſtlich treibet, als weil er
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/242>, abgerufen am 21.11.2024.
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