"Dein Vater kan weder um deinet noch um "seiner selbst willen länger in einem Zweifel blei- "ben, der ihm so viel Unruhe macht. Als ich "vor dich bat, so antwortete er mir: ich solte mei- "ne Auctorität gegen dich gebrauchen, so lieb "mir meine eigene Ruhe wäre, (wie hart war der Ausdruck gegen eine so gute Frau?) und so "lieb es mir wäre, den Verdacht bey ihm zu ver- "meiden, als wenn ich selbst heimlich den An- "trag des liederlichen Kerls zu befördern trach- "tete: denn ein liederlicher Mensch finde bey al- "lem Frauens-Volck, bey dem tugendhaften "eben so wohl als bey dem lasterhaften, sehr "viel Gunst. Jch könte auch desto eher ernst- "lich mit dir reden, weil du bekannt hättest (da "kommt der Fall-Strick wieder zum Vorschein, "den man mir gelegt hat) daß dein Hertz unge- "bunden wäre."
(Sind das nicht unanständige Beschuldigun- gen gegen unser gantzes Geschlecht? sonderlich in Absicht auf meine Mutter, die unter mehreren Partheyen, deren Umstände eben so gut waren, meinen Vater blos deswegen gewählt hat, weil man von der Lebens-Art der übrigen nicht die beste Meinung hatte?)
"Dein Vater hat mit dem Befehl von mir Ab- "schied genommen: ich solte gleich von dir gehen, "wenn ich fände, daß ich nichts bey dir ausrich- "ten könte, und solte dich allein lassen, um dich "an den Folgen deines doppelten Ungehorsams zu "erquicken."
Hier-
Erster Theil. P
der Clariſſa.
„Dein Vater kan weder um deinet noch um „ſeiner ſelbſt willen laͤnger in einem Zweifel blei- „ben, der ihm ſo viel Unruhe macht. Als ich „vor dich bat, ſo antwortete er mir: ich ſolte mei- „ne Auctoritaͤt gegen dich gebrauchen, ſo lieb „mir meine eigene Ruhe waͤre, (wie hart war der Ausdruck gegen eine ſo gute Frau?) und ſo „lieb es mir waͤre, den Verdacht bey ihm zu ver- „meiden, als wenn ich ſelbſt heimlich den An- „trag des liederlichen Kerls zu befoͤrdern trach- „tete: denn ein liederlicher Menſch finde bey al- „lem Frauens-Volck, bey dem tugendhaften „eben ſo wohl als bey dem laſterhaften, ſehr „viel Gunſt. Jch koͤnte auch deſto eher ernſt- „lich mit dir reden, weil du bekannt haͤtteſt (da „kommt der Fall-Strick wieder zum Vorſchein, „den man mir gelegt hat) daß dein Hertz unge- „bunden waͤre.„
(Sind das nicht unanſtaͤndige Beſchuldigun- gen gegen unſer gantzes Geſchlecht? ſonderlich in Abſicht auf meine Mutter, die unter mehreren Partheyen, deren Umſtaͤnde eben ſo gut waren, meinen Vater blos deswegen gewaͤhlt hat, weil man von der Lebens-Art der uͤbrigen nicht die beſte Meinung hatte?)
„Dein Vater hat mit dem Befehl von mir Ab- „ſchied genommen: ich ſolte gleich von dir gehen, „wenn ich faͤnde, daß ich nichts bey dir ausrich- „ten koͤnte, und ſolte dich allein laſſen, um dich „an den Folgen deines doppelten Ungehorſams zu „erquicken.„
Hier-
Erſter Theil. P
<TEI><text><body><divn="2"><pbfacs="#f0245"n="225"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/><p>„Dein Vater kan weder um deinet noch um<lb/>„ſeiner ſelbſt willen laͤnger in einem Zweifel blei-<lb/>„ben, der ihm ſo viel Unruhe macht. Als ich<lb/>„vor dich bat, ſo antwortete er mir: ich ſolte mei-<lb/>„ne Auctoritaͤt gegen dich gebrauchen, ſo lieb<lb/>„mir meine eigene Ruhe waͤre, (wie hart war<lb/>
der Ausdruck gegen eine ſo gute Frau?) und ſo<lb/>„lieb es mir waͤre, den Verdacht bey ihm zu ver-<lb/>„meiden, als wenn ich ſelbſt heimlich den An-<lb/>„trag des liederlichen Kerls zu befoͤrdern trach-<lb/>„tete: denn ein liederlicher Menſch finde bey al-<lb/>„lem Frauens-Volck, bey dem tugendhaften<lb/>„eben ſo wohl als bey dem laſterhaften, ſehr<lb/>„viel Gunſt. Jch koͤnte auch deſto eher ernſt-<lb/>„lich mit dir reden, weil du bekannt haͤtteſt (da<lb/>„kommt der Fall-Strick wieder zum Vorſchein,<lb/>„den man mir gelegt hat) daß dein Hertz unge-<lb/>„bunden waͤre.„</p><lb/><p>(Sind das nicht unanſtaͤndige Beſchuldigun-<lb/>
gen gegen unſer gantzes Geſchlecht? ſonderlich in<lb/>
Abſicht auf meine Mutter, die unter mehreren<lb/>
Partheyen, deren Umſtaͤnde eben ſo gut waren,<lb/>
meinen Vater blos deswegen gewaͤhlt hat, weil<lb/>
man von der Lebens-Art der uͤbrigen nicht die beſte<lb/>
Meinung hatte?)</p><lb/><p>„Dein Vater hat mit dem Befehl von mir Ab-<lb/>„ſchied genommen: ich ſolte gleich von dir gehen,<lb/>„wenn ich faͤnde, daß ich nichts bey dir ausrich-<lb/>„ten koͤnte, und ſolte dich allein laſſen, um dich<lb/>„an den Folgen deines doppelten Ungehorſams zu<lb/>„erquicken.„</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Erſter Theil.</hi> P</fw><fwplace="bottom"type="catch">Hier-</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[225/0245]
der Clariſſa.
„Dein Vater kan weder um deinet noch um
„ſeiner ſelbſt willen laͤnger in einem Zweifel blei-
„ben, der ihm ſo viel Unruhe macht. Als ich
„vor dich bat, ſo antwortete er mir: ich ſolte mei-
„ne Auctoritaͤt gegen dich gebrauchen, ſo lieb
„mir meine eigene Ruhe waͤre, (wie hart war
der Ausdruck gegen eine ſo gute Frau?) und ſo
„lieb es mir waͤre, den Verdacht bey ihm zu ver-
„meiden, als wenn ich ſelbſt heimlich den An-
„trag des liederlichen Kerls zu befoͤrdern trach-
„tete: denn ein liederlicher Menſch finde bey al-
„lem Frauens-Volck, bey dem tugendhaften
„eben ſo wohl als bey dem laſterhaften, ſehr
„viel Gunſt. Jch koͤnte auch deſto eher ernſt-
„lich mit dir reden, weil du bekannt haͤtteſt (da
„kommt der Fall-Strick wieder zum Vorſchein,
„den man mir gelegt hat) daß dein Hertz unge-
„bunden waͤre.„
(Sind das nicht unanſtaͤndige Beſchuldigun-
gen gegen unſer gantzes Geſchlecht? ſonderlich in
Abſicht auf meine Mutter, die unter mehreren
Partheyen, deren Umſtaͤnde eben ſo gut waren,
meinen Vater blos deswegen gewaͤhlt hat, weil
man von der Lebens-Art der uͤbrigen nicht die beſte
Meinung hatte?)
„Dein Vater hat mit dem Befehl von mir Ab-
„ſchied genommen: ich ſolte gleich von dir gehen,
„wenn ich faͤnde, daß ich nichts bey dir ausrich-
„ten koͤnte, und ſolte dich allein laſſen, um dich
„an den Folgen deines doppelten Ungehorſams zu
„erquicken.„
Hier-
Erſter Theil. P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/245>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.