Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
Meinung, sondern mit Gewalt und durch Furcht
wollen sie mich zwingen, meines Bruders Absich-
ten zu erfüllen. Meine eintzige Hoffnung ist,
daß ich mich so lange werde halten können, bis
mein Vetter Morden von Florentz ankommt:
denn man erwartet ihn sehr bald. Wenn aber
ein naher Tag vest gesetzt wird, so fürchte ich, daß
er zu spät kommen wird, mich zu retten.

Aus meines Bruders Briefe ist klar, daß mei-
ne Mutter in der Nachricht, die sie von unserer
Unterredung geben mußte, meiner nicht gescho-
net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein
Bruder Asichten hätte, die ich zu vernichten su-
chen sollte. Allein sie hatte einmal versprochen
eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu
geben was zwischen ihr und mir vorfallen wür-
de: und es war leidlicher sich von einer Tochter
loszusagen, als mit dem Manne und mit al-
len im Hause zu zerfallen.

Sie meynen nun, daß sie gewonnen haben,
nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet
bin. Allein so lange ich noch Freyheit habe in
den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu
besehen; irren sie sich in ihrer Hoffnung.

Jch fragte Elisabeth: ob sie auf mich Ach-
tung geben oder mit mir gehen solte? und ob
ich von ihr Erlaubniß haben müßte, wenn ich
in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be-
suchen wolle?

Um Gottes willen, sagte sie, was soll die
Frage bedeuten? Sie gestand indessen, sie habe

ge-
R 3

der Clariſſa.
Meinung, ſondern mit Gewalt und durch Furcht
wollen ſie mich zwingen, meines Bruders Abſich-
ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung iſt,
daß ich mich ſo lange werde halten koͤnnen, bis
mein Vetter Morden von Florentz ankommt:
denn man erwartet ihn ſehr bald. Wenn aber
ein naher Tag veſt geſetzt wird, ſo fuͤrchte ich, daß
er zu ſpaͤt kommen wird, mich zu retten.

Aus meines Bruders Briefe iſt klar, daß mei-
ne Mutter in der Nachricht, die ſie von unſerer
Unterredung geben mußte, meiner nicht geſcho-
net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein
Bruder Aſichten haͤtte, die ich zu vernichten ſu-
chen ſollte. Allein ſie hatte einmal verſprochen
eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu
geben was zwiſchen ihr und mir vorfallen wuͤr-
de: und es war leidlicher ſich von einer Tochter
loszuſagen, als mit dem Manne und mit al-
len im Hauſe zu zerfallen.

Sie meynen nun, daß ſie gewonnen haben,
nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet
bin. Allein ſo lange ich noch Freyheit habe in
den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu
beſehen; irren ſie ſich in ihrer Hoffnung.

Jch fragte Eliſabeth: ob ſie auf mich Ach-
tung geben oder mit mir gehen ſolte? und ob
ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich
in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be-
ſuchen wolle?

Um Gottes willen, ſagte ſie, was ſoll die
Frage bedeuten? Sie geſtand indeſſen, ſie habe

ge-
R 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0281" n="261"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
Meinung, &#x017F;ondern mit Gewalt und durch Furcht<lb/>
wollen &#x017F;ie mich zwingen, meines Bruders Ab&#x017F;ich-<lb/>
ten zu erfu&#x0364;llen. Meine eintzige Hoffnung i&#x017F;t,<lb/>
daß ich mich &#x017F;o lange werde halten ko&#x0364;nnen, bis<lb/>
mein Vetter <hi rendition="#fr">Morden</hi> von <hi rendition="#fr">Florentz</hi> ankommt:<lb/>
denn man erwartet ihn &#x017F;ehr bald. Wenn aber<lb/>
ein naher Tag ve&#x017F;t ge&#x017F;etzt wird, &#x017F;o fu&#x0364;rchte ich, daß<lb/>
er zu &#x017F;pa&#x0364;t kommen wird, mich zu retten.</p><lb/>
          <p>Aus meines Bruders Briefe i&#x017F;t klar, daß mei-<lb/>
ne Mutter in der Nachricht, die &#x017F;ie von un&#x017F;erer<lb/>
Unterredung geben mußte, meiner nicht ge&#x017F;cho-<lb/>
net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein<lb/>
Bruder A&#x017F;ichten ha&#x0364;tte, die ich zu vernichten &#x017F;u-<lb/>
chen &#x017F;ollte. Allein &#x017F;ie hatte einmal ver&#x017F;prochen<lb/>
eine <hi rendition="#fr">aufrichtige</hi> Nachricht von allem dem zu<lb/>
geben was zwi&#x017F;chen ihr und mir vorfallen wu&#x0364;r-<lb/>
de: und es war leidlicher &#x017F;ich von einer Tochter<lb/>
loszu&#x017F;agen, als mit dem Manne und mit al-<lb/>
len im Hau&#x017F;e zu zerfallen.</p><lb/>
          <p>Sie meynen nun, daß &#x017F;ie gewonnen haben,<lb/>
nachdem ich meiner armen H<hi rendition="#fr">annichen</hi> beraubet<lb/>
bin. Allein &#x017F;o lange ich noch Freyheit habe in<lb/>
den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu<lb/>
be&#x017F;ehen; irren &#x017F;ie &#x017F;ich in ihrer Hoffnung.</p><lb/>
          <p>Jch fragte <hi rendition="#fr">Eli&#x017F;abeth:</hi> ob &#x017F;ie auf mich Ach-<lb/>
tung geben oder mit mir gehen &#x017F;olte? und ob<lb/>
ich von ihr Erlaubniß haben mu&#x0364;ßte, wenn ich<lb/>
in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be-<lb/>
&#x017F;uchen wolle?</p><lb/>
          <p>Um Gottes willen, &#x017F;agte &#x017F;ie, was &#x017F;oll die<lb/>
Frage bedeuten? Sie ge&#x017F;tand inde&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie habe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0281] der Clariſſa. Meinung, ſondern mit Gewalt und durch Furcht wollen ſie mich zwingen, meines Bruders Abſich- ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung iſt, daß ich mich ſo lange werde halten koͤnnen, bis mein Vetter Morden von Florentz ankommt: denn man erwartet ihn ſehr bald. Wenn aber ein naher Tag veſt geſetzt wird, ſo fuͤrchte ich, daß er zu ſpaͤt kommen wird, mich zu retten. Aus meines Bruders Briefe iſt klar, daß mei- ne Mutter in der Nachricht, die ſie von unſerer Unterredung geben mußte, meiner nicht geſcho- net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein Bruder Aſichten haͤtte, die ich zu vernichten ſu- chen ſollte. Allein ſie hatte einmal verſprochen eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu geben was zwiſchen ihr und mir vorfallen wuͤr- de: und es war leidlicher ſich von einer Tochter loszuſagen, als mit dem Manne und mit al- len im Hauſe zu zerfallen. Sie meynen nun, daß ſie gewonnen haben, nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet bin. Allein ſo lange ich noch Freyheit habe in den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu beſehen; irren ſie ſich in ihrer Hoffnung. Jch fragte Eliſabeth: ob ſie auf mich Ach- tung geben oder mit mir gehen ſolte? und ob ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be- ſuchen wolle? Um Gottes willen, ſagte ſie, was ſoll die Frage bedeuten? Sie geſtand indeſſen, ſie habe ge- R 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/281
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/281>, abgerufen am 22.11.2024.