Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Schorey saget, Herr Lovelace habe bestän-
dig meiner Mutter Augen gewahret, und sich ge-
gen sie gebeuget: sie hätte ihm auch gedanckt. Er
hat sonst meine Mutter immer bewundert. Jch
glaube, sie würde ihn auch nicht hassen, wenn es
ihr nicht befohlen wäre, und wenn sie die Schlä-
gerey nicht entrüstet hätte.

Der D. Lewin war in der Kirche. Als er
sahe was alle Leute sahen, nemlich daß unsere Fa-
milie über Herrn Lovelaces Gegenwart sich so
unruhig bezeigete, war er so gütig, sich mit ihm in
ein Gespräch einzulassen, und ihn aufzuhalten bis
sie sich in die Kutschen gesetzt hatten.

Es scheint, daß mein Vater alle Tage hitziger
gegen mich wird, und meine Onckles gleichfalls.
Diesen Morgen haben sie meine Briefe bekom-
men. Wenn sie mich einer Antwort würdigen, so
wird sie (ich befürchte es) zeigen, daß Herr Love-
lace
sehr zur Unzeit in die Kirche gekommen ist.

Auf meine Mutter mögen sie auch (wie ich höre)
ungehalten seyn, weil sie Hn. Lovelace gedanckt
hat. Was für ein Widersacher auch so gar von
der Welt-üblichen Höflichkeit ist der Haß! obgleich
durch die Höflichkeit der mehr Ehre erlanget, der
sie erzeiget, als dem sie erzeiget wird. Es sagen
nunmehr alle meine Freunde, sie sähen nur Einen
Weg vor sich, aller Unruhe und allem Pochen des
Menschen ein Ende zu machen. Jch soll also dar-
unter leiden. Was richtet der unvorsichtige
Mensch doch aus? Gewinnen seine Sachen ein
besseres Ansehen, als vorhin?

Jch
Erster Theil. X
der Clariſſa.

Schorey ſaget, Herr Lovelace habe beſtaͤn-
dig meiner Mutter Augen gewahret, und ſich ge-
gen ſie gebeuget: ſie haͤtte ihm auch gedanckt. Er
hat ſonſt meine Mutter immer bewundert. Jch
glaube, ſie wuͤrde ihn auch nicht haſſen, wenn es
ihr nicht befohlen waͤre, und wenn ſie die Schlaͤ-
gerey nicht entruͤſtet haͤtte.

Der D. Lewin war in der Kirche. Als er
ſahe was alle Leute ſahen, nemlich daß unſere Fa-
milie uͤber Herrn Lovelaces Gegenwart ſich ſo
unruhig bezeigete, war er ſo guͤtig, ſich mit ihm in
ein Geſpraͤch einzulaſſen, und ihn aufzuhalten bis
ſie ſich in die Kutſchen geſetzt hatten.

Es ſcheint, daß mein Vater alle Tage hitziger
gegen mich wird, und meine Onckles gleichfalls.
Dieſen Morgen haben ſie meine Briefe bekom-
men. Wenn ſie mich einer Antwort wuͤrdigen, ſo
wird ſie (ich befuͤrchte es) zeigen, daß Herr Love-
lace
ſehr zur Unzeit in die Kirche gekommen iſt.

Auf meine Mutter moͤgen ſie auch (wie ich hoͤre)
ungehalten ſeyn, weil ſie Hn. Lovelace gedanckt
hat. Was fuͤr ein Widerſacher auch ſo gar von
der Welt-uͤblichen Hoͤflichkeit iſt der Haß! obgleich
durch die Hoͤflichkeit der mehr Ehre erlanget, der
ſie erzeiget, als dem ſie erzeiget wird. Es ſagen
nunmehr alle meine Freunde, ſie ſaͤhen nur Einen
Weg vor ſich, aller Unruhe und allem Pochen des
Menſchen ein Ende zu machen. Jch ſoll alſo dar-
unter leiden. Was richtet der unvorſichtige
Menſch doch aus? Gewinnen ſeine Sachen ein
beſſeres Anſehen, als vorhin?

Jch
Erſter Theil. X
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0341" n="321"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Schorey</hi> &#x017F;aget, Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> habe be&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
dig meiner Mutter Augen gewahret, und &#x017F;ich ge-<lb/>
gen &#x017F;ie gebeuget: &#x017F;ie ha&#x0364;tte ihm auch gedanckt. Er<lb/>
hat &#x017F;on&#x017F;t meine Mutter immer bewundert. Jch<lb/>
glaube, &#x017F;ie wu&#x0364;rde ihn auch nicht ha&#x017F;&#x017F;en, wenn es<lb/>
ihr nicht befohlen wa&#x0364;re, und wenn &#x017F;ie die Schla&#x0364;-<lb/>
gerey nicht entru&#x0364;&#x017F;tet ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Der D. <hi rendition="#fr">Lewin</hi> war in der Kirche. Als er<lb/>
&#x017F;ahe was alle Leute &#x017F;ahen, nemlich daß un&#x017F;ere Fa-<lb/>
milie u&#x0364;ber Herrn <hi rendition="#fr">Lovelaces</hi> Gegenwart &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
unruhig bezeigete, war er &#x017F;o gu&#x0364;tig, &#x017F;ich mit ihm in<lb/>
ein Ge&#x017F;pra&#x0364;ch einzula&#x017F;&#x017F;en, und ihn aufzuhalten bis<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich in die Kut&#x017F;chen ge&#x017F;etzt hatten.</p><lb/>
          <p>Es &#x017F;cheint, daß mein Vater alle Tage hitziger<lb/>
gegen mich wird, und meine Onckles gleichfalls.<lb/>
Die&#x017F;en Morgen haben &#x017F;ie meine Briefe bekom-<lb/>
men. Wenn &#x017F;ie mich einer Antwort wu&#x0364;rdigen, &#x017F;o<lb/>
wird &#x017F;ie (ich befu&#x0364;rchte es) zeigen, daß Herr <hi rendition="#fr">Love-<lb/>
lace</hi> &#x017F;ehr zur Unzeit in die Kirche gekommen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Auf meine Mutter mo&#x0364;gen &#x017F;ie auch (wie ich ho&#x0364;re)<lb/>
ungehalten &#x017F;eyn, weil &#x017F;ie Hn. <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> gedanckt<lb/>
hat. Was fu&#x0364;r ein Wider&#x017F;acher auch &#x017F;o gar von<lb/>
der Welt-u&#x0364;blichen Ho&#x0364;flichkeit i&#x017F;t der Haß! obgleich<lb/>
durch die Ho&#x0364;flichkeit der mehr Ehre erlanget, der<lb/>
&#x017F;ie erzeiget, als dem &#x017F;ie erzeiget wird. Es &#x017F;agen<lb/>
nunmehr alle meine Freunde, &#x017F;ie &#x017F;a&#x0364;hen nur Einen<lb/>
Weg vor &#x017F;ich, aller Unruhe und allem Pochen des<lb/>
Men&#x017F;chen ein Ende zu machen. Jch &#x017F;oll al&#x017F;o dar-<lb/>
unter leiden. Was richtet der unvor&#x017F;ichtige<lb/>
Men&#x017F;ch doch aus? Gewinnen &#x017F;eine Sachen ein<lb/>
be&#x017F;&#x017F;eres An&#x017F;ehen, als vorhin?</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> X</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0341] der Clariſſa. Schorey ſaget, Herr Lovelace habe beſtaͤn- dig meiner Mutter Augen gewahret, und ſich ge- gen ſie gebeuget: ſie haͤtte ihm auch gedanckt. Er hat ſonſt meine Mutter immer bewundert. Jch glaube, ſie wuͤrde ihn auch nicht haſſen, wenn es ihr nicht befohlen waͤre, und wenn ſie die Schlaͤ- gerey nicht entruͤſtet haͤtte. Der D. Lewin war in der Kirche. Als er ſahe was alle Leute ſahen, nemlich daß unſere Fa- milie uͤber Herrn Lovelaces Gegenwart ſich ſo unruhig bezeigete, war er ſo guͤtig, ſich mit ihm in ein Geſpraͤch einzulaſſen, und ihn aufzuhalten bis ſie ſich in die Kutſchen geſetzt hatten. Es ſcheint, daß mein Vater alle Tage hitziger gegen mich wird, und meine Onckles gleichfalls. Dieſen Morgen haben ſie meine Briefe bekom- men. Wenn ſie mich einer Antwort wuͤrdigen, ſo wird ſie (ich befuͤrchte es) zeigen, daß Herr Love- lace ſehr zur Unzeit in die Kirche gekommen iſt. Auf meine Mutter moͤgen ſie auch (wie ich hoͤre) ungehalten ſeyn, weil ſie Hn. Lovelace gedanckt hat. Was fuͤr ein Widerſacher auch ſo gar von der Welt-uͤblichen Hoͤflichkeit iſt der Haß! obgleich durch die Hoͤflichkeit der mehr Ehre erlanget, der ſie erzeiget, als dem ſie erzeiget wird. Es ſagen nunmehr alle meine Freunde, ſie ſaͤhen nur Einen Weg vor ſich, aller Unruhe und allem Pochen des Menſchen ein Ende zu machen. Jch ſoll alſo dar- unter leiden. Was richtet der unvorſichtige Menſch doch aus? Gewinnen ſeine Sachen ein beſſeres Anſehen, als vorhin? Jch Erſter Theil. X

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/341
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/341>, abgerufen am 22.11.2024.