Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Hierbey wußte sie zu erzählen, "daß er man-
"chen artigen Spaß, der ihr entfallen wäre,
"wohl bemercket, und sehr bewundert hätte. Es
"sey zwar einem offenen und freyen Hertzen als sie
"habe, sehr beschwerlich zurück zu halten: allein
"sie könnte ihrer Base nicht verheelen, daß sie
"niemals vergessen würde, was sie ihrem Ge-
"schlecht, und was sie sich selbst schuldig sey,
"wenn auch wieder Herr Lovelaces Aufführung
"eben so wenig einzuwenden wäre als wieder sei-
"ne Gestalt, und wenn er auch künftig seine Bit-
"te noch so eifrig anbrächte."

Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch
war noch immer verreiset. Sie fassete auf Anra-
then meiner Base Hervey den Schluß, bey dem
nächsten Besuch gantz ernsthaft und zurückhaltend
zu thun, wenn er nicht besonders Gelegenheit such-
te, mit ihr näher bekannt zu werden.

Meine Schwester hatte die Sache nicht wohl
überlegt. Der Erfolg wieß, daß dieses nicht der
rechte Weg war, den man um einer blossen Un-
terlassung willen mit einem so klugen Mann als
Herr Lovelace hätte gehen sollen. Ja auch gegen
einen andern hätte man nicht so verfahren sollen;
denn wenn die Liebe nicht so tief gewurzelt ist, daß
sie bey der besten Gelegenheit, die man dazu giebt,
eine Liebes-Erklärung hervor bringt, so hat man
wenig Ursach zu hoffen, daß sie gleichsam durch
den tödtenden Wind der Empfindlichkeit und
Rache wachsen werde. Ueber dieses ist meine ar-
me Schwester von Natur nicht allzu aufgeraumt:

ich
der Clariſſa.

Hierbey wußte ſie zu erzaͤhlen, „daß er man-
„chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre,
„wohl bemercket, und ſehr bewundert haͤtte. Es
„ſey zwar einem offenen und freyen Hertzen als ſie
„habe, ſehr beſchwerlich zuruͤck zu halten: allein
„ſie koͤnnte ihrer Baſe nicht verheelen, daß ſie
„niemals vergeſſen wuͤrde, was ſie ihrem Ge-
„ſchlecht, und was ſie ſich ſelbſt ſchuldig ſey,
„wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung
„eben ſo wenig einzuwenden waͤre als wieder ſei-
„ne Geſtalt, und wenn er auch kuͤnftig ſeine Bit-
„te noch ſo eifrig anbraͤchte.„

Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch
war noch immer verreiſet. Sie faſſete auf Anra-
then meiner Baſe Hervey den Schluß, bey dem
naͤchſten Beſuch gantz ernſthaft und zuruͤckhaltend
zu thun, wenn er nicht beſonders Gelegenheit ſuch-
te, mit ihr naͤher bekannt zu werden.

Meine Schweſter hatte die Sache nicht wohl
uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieſes nicht der
rechte Weg war, den man um einer bloſſen Un-
terlaſſung willen mit einem ſo klugen Mann als
Herr Lovelace haͤtte gehen ſollen. Ja auch gegen
einen andern haͤtte man nicht ſo verfahren ſollen;
denn wenn die Liebe nicht ſo tief gewurzelt iſt, daß
ſie bey der beſten Gelegenheit, die man dazu giebt,
eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, ſo hat man
wenig Urſach zu hoffen, daß ſie gleichſam durch
den toͤdtenden Wind der Empfindlichkeit und
Rache wachſen werde. Ueber dieſes iſt meine ar-
me Schweſter von Natur nicht allzu aufgeraumt:

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0035" n="15"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Hierbey wußte &#x017F;ie zu erza&#x0364;hlen, &#x201E;daß er man-<lb/>
&#x201E;chen artigen Spaß, der ihr entfallen wa&#x0364;re,<lb/>
&#x201E;wohl bemercket, und &#x017F;ehr bewundert ha&#x0364;tte. Es<lb/>
&#x201E;&#x017F;ey zwar einem offenen und freyen Hertzen als &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;habe, &#x017F;ehr be&#x017F;chwerlich zuru&#x0364;ck zu halten: allein<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie ko&#x0364;nnte ihrer Ba&#x017F;e nicht verheelen, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;niemals verge&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde, was &#x017F;ie ihrem Ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chlecht, und was &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chuldig &#x017F;ey,<lb/>
&#x201E;wenn auch wieder Herr <hi rendition="#fr">Lovelaces</hi> Auffu&#x0364;hrung<lb/>
&#x201E;eben &#x017F;o wenig einzuwenden wa&#x0364;re als wieder &#x017F;ei-<lb/>
&#x201E;ne Ge&#x017F;talt, und wenn er auch ku&#x0364;nftig &#x017F;eine Bit-<lb/>
&#x201E;te noch &#x017F;o eifrig anbra&#x0364;chte.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch<lb/>
war noch immer verrei&#x017F;et. Sie fa&#x017F;&#x017F;ete auf Anra-<lb/>
then meiner Ba&#x017F;e <hi rendition="#fr">Hervey</hi> den Schluß, bey dem<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;ten Be&#x017F;uch gantz ern&#x017F;thaft und zuru&#x0364;ckhaltend<lb/>
zu thun, wenn er nicht be&#x017F;onders Gelegenheit &#x017F;uch-<lb/>
te, mit ihr na&#x0364;her bekannt zu werden.</p><lb/>
          <p>Meine Schwe&#x017F;ter hatte die Sache nicht wohl<lb/>
u&#x0364;berlegt. Der Erfolg wieß, daß die&#x017F;es nicht der<lb/>
rechte Weg war, den man um einer blo&#x017F;&#x017F;en Un-<lb/>
terla&#x017F;&#x017F;ung willen mit einem &#x017F;o klugen Mann als<lb/>
Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> ha&#x0364;tte gehen &#x017F;ollen. Ja auch gegen<lb/>
einen andern ha&#x0364;tte man nicht &#x017F;o verfahren &#x017F;ollen;<lb/>
denn wenn die Liebe nicht &#x017F;o tief gewurzelt i&#x017F;t, daß<lb/>
&#x017F;ie bey der be&#x017F;ten Gelegenheit, die man dazu giebt,<lb/>
eine Liebes-Erkla&#x0364;rung hervor bringt, &#x017F;o hat man<lb/>
wenig Ur&#x017F;ach zu hoffen, daß &#x017F;ie gleich&#x017F;am durch<lb/>
den to&#x0364;dtenden Wind der Empfindlichkeit und<lb/>
Rache wach&#x017F;en werde. Ueber die&#x017F;es i&#x017F;t meine ar-<lb/>
me Schwe&#x017F;ter von Natur nicht allzu aufgeraumt:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0035] der Clariſſa. Hierbey wußte ſie zu erzaͤhlen, „daß er man- „chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre, „wohl bemercket, und ſehr bewundert haͤtte. Es „ſey zwar einem offenen und freyen Hertzen als ſie „habe, ſehr beſchwerlich zuruͤck zu halten: allein „ſie koͤnnte ihrer Baſe nicht verheelen, daß ſie „niemals vergeſſen wuͤrde, was ſie ihrem Ge- „ſchlecht, und was ſie ſich ſelbſt ſchuldig ſey, „wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung „eben ſo wenig einzuwenden waͤre als wieder ſei- „ne Geſtalt, und wenn er auch kuͤnftig ſeine Bit- „te noch ſo eifrig anbraͤchte.„ Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch war noch immer verreiſet. Sie faſſete auf Anra- then meiner Baſe Hervey den Schluß, bey dem naͤchſten Beſuch gantz ernſthaft und zuruͤckhaltend zu thun, wenn er nicht beſonders Gelegenheit ſuch- te, mit ihr naͤher bekannt zu werden. Meine Schweſter hatte die Sache nicht wohl uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieſes nicht der rechte Weg war, den man um einer bloſſen Un- terlaſſung willen mit einem ſo klugen Mann als Herr Lovelace haͤtte gehen ſollen. Ja auch gegen einen andern haͤtte man nicht ſo verfahren ſollen; denn wenn die Liebe nicht ſo tief gewurzelt iſt, daß ſie bey der beſten Gelegenheit, die man dazu giebt, eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, ſo hat man wenig Urſach zu hoffen, daß ſie gleichſam durch den toͤdtenden Wind der Empfindlichkeit und Rache wachſen werde. Ueber dieſes iſt meine ar- me Schweſter von Natur nicht allzu aufgeraumt: ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/35
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/35>, abgerufen am 06.05.2024.