Es kan Hochmuth bey mir seyn; mein bischen Belesenheit kan vielleicht machen, daß ich mir zu viel einbilde: es kan seyn, daß mich das stoltz macht, daß ich ein wenig schreiben kan, wie ich mir seit einiger Zeit habe müssen vorwerfen lassen. Allein desto ungeschickter ist der Vorschlag, einen solchen Mann zu nehmen. Je besser die Meinung ist, die ich von mir selbst habe, desto geringere Ge- dancken muß ich von ihm haben, und desto weniger schicken wir uns vor einander.
Jch kan es nicht verhehlen; ich habe immer ge- glaubt, daß mich meine Anverwandten höher schätzten. Mein Bruder gab sonst vor, daß er aus Werth-Achtung gegen mich es dahin gebracht hätte, daß Herr Lovelace mit seinem Gesuch abgewiesen wäre. Kan das wahr seyn, wenn man mich durch einen solchen Mann, als Herr Solmes ist, zu beschimpfen gedencket?
Was die vortheilhafte Ehestiftung und die schö- nen Verschreibungen anlangt, so hoffe ich, daß ich Jhren Unwillen nicht vermehren werde, wenn ich das frey heraus bekenne, was alle ohnedem für mei- ne Meinung halten müssen, die mich kennen, und was ich mir schon von einigen habe vorrücken las- sen müssen, nemlich, daß ich solche Bewegungs- Gründe von Hertzen verachte. Mein liebster On- ckle, was kan doch eine Person nach Verschrei- bungen fragen, die so viel eigenes besitzet, als sie sich nur wünschen kan? und die als eine ledige Person schon mehr hat, als sie aller Vermuthung nach im verehlichten Stande unter ihrer eigenen
Hand
Erster Theil. Z
der Clariſſa.
Es kan Hochmuth bey mir ſeyn; mein bischen Beleſenheit kan vielleicht machen, daß ich mir zu viel einbilde: es kan ſeyn, daß mich das ſtoltz macht, daß ich ein wenig ſchreiben kan, wie ich mir ſeit einiger Zeit habe muͤſſen vorwerfen laſſen. Allein deſto ungeſchickter iſt der Vorſchlag, einen ſolchen Mann zu nehmen. Je beſſer die Meinung iſt, die ich von mir ſelbſt habe, deſto geringere Ge- dancken muß ich von ihm haben, und deſto weniger ſchicken wir uns vor einander.
Jch kan es nicht verhehlen; ich habe immer ge- glaubt, daß mich meine Anverwandten hoͤher ſchaͤtzten. Mein Bruder gab ſonſt vor, daß er aus Werth-Achtung gegen mich es dahin gebracht haͤtte, daß Herr Lovelace mit ſeinem Geſuch abgewieſen waͤre. Kan das wahr ſeyn, wenn man mich durch einen ſolchen Mann, als Herr Solmes iſt, zu beſchimpfen gedencket?
Was die vortheilhafte Eheſtiftung und die ſchoͤ- nen Verſchreibungen anlangt, ſo hoffe ich, daß ich Jhren Unwillen nicht vermehren werde, wenn ich das frey heraus bekenne, was alle ohnedem fuͤr mei- ne Meinung halten muͤſſen, die mich kennen, und was ich mir ſchon von einigen habe vorruͤcken laſ- ſen muͤſſen, nemlich, daß ich ſolche Bewegungs- Gruͤnde von Hertzen verachte. Mein liebſter On- ckle, was kan doch eine Perſon nach Verſchrei- bungen fragen, die ſo viel eigenes beſitzet, als ſie ſich nur wuͤnſchen kan? und die als eine ledige Perſon ſchon mehr hat, als ſie aller Vermuthung nach im verehlichten Stande unter ihrer eigenen
Hand
Erſter Theil. Z
<TEI><text><body><divn="2"><div><pbfacs="#f0373"n="353"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/><p>Es kan Hochmuth bey mir ſeyn; mein bischen<lb/>
Beleſenheit kan vielleicht machen, daß ich mir zu<lb/>
viel einbilde: es kan ſeyn, daß mich das ſtoltz<lb/>
macht, daß ich ein wenig ſchreiben kan, wie ich<lb/>
mir ſeit einiger Zeit habe muͤſſen vorwerfen laſſen.<lb/>
Allein deſto ungeſchickter iſt der Vorſchlag, einen<lb/>ſolchen Mann zu nehmen. Je beſſer die Meinung<lb/>
iſt, die ich von mir ſelbſt habe, deſto geringere Ge-<lb/>
dancken muß ich von ihm haben, und deſto weniger<lb/>ſchicken wir uns vor einander.</p><lb/><p>Jch kan es nicht verhehlen; ich habe immer ge-<lb/>
glaubt, daß mich meine Anverwandten hoͤher<lb/>ſchaͤtzten. Mein Bruder gab ſonſt vor, daß er<lb/>
aus Werth-Achtung gegen mich es dahin gebracht<lb/>
haͤtte, daß Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi> mit ſeinem Geſuch<lb/>
abgewieſen waͤre. Kan das wahr ſeyn, wenn<lb/>
man mich durch einen ſolchen Mann, als Herr<lb/><hirendition="#fr">Solmes</hi> iſt, zu beſchimpfen gedencket?</p><lb/><p>Was die vortheilhafte Eheſtiftung und die ſchoͤ-<lb/>
nen Verſchreibungen anlangt, ſo hoffe ich, daß ich<lb/>
Jhren Unwillen nicht vermehren werde, wenn ich<lb/>
das frey heraus bekenne, was alle ohnedem fuͤr mei-<lb/>
ne Meinung halten muͤſſen, die mich kennen, und<lb/>
was ich mir ſchon von einigen habe vorruͤcken laſ-<lb/>ſen muͤſſen, nemlich, daß ich ſolche Bewegungs-<lb/>
Gruͤnde von Hertzen verachte. Mein liebſter On-<lb/>
ckle, was kan doch eine Perſon nach Verſchrei-<lb/>
bungen fragen, die ſo viel eigenes beſitzet, als ſie<lb/>ſich nur wuͤnſchen kan? und die als eine ledige<lb/>
Perſon ſchon mehr hat, als ſie aller Vermuthung<lb/>
nach im verehlichten Stande unter ihrer eigenen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Erſter Theil.</hi> Z</fw><fwplace="bottom"type="catch">Hand</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[353/0373]
der Clariſſa.
Es kan Hochmuth bey mir ſeyn; mein bischen
Beleſenheit kan vielleicht machen, daß ich mir zu
viel einbilde: es kan ſeyn, daß mich das ſtoltz
macht, daß ich ein wenig ſchreiben kan, wie ich
mir ſeit einiger Zeit habe muͤſſen vorwerfen laſſen.
Allein deſto ungeſchickter iſt der Vorſchlag, einen
ſolchen Mann zu nehmen. Je beſſer die Meinung
iſt, die ich von mir ſelbſt habe, deſto geringere Ge-
dancken muß ich von ihm haben, und deſto weniger
ſchicken wir uns vor einander.
Jch kan es nicht verhehlen; ich habe immer ge-
glaubt, daß mich meine Anverwandten hoͤher
ſchaͤtzten. Mein Bruder gab ſonſt vor, daß er
aus Werth-Achtung gegen mich es dahin gebracht
haͤtte, daß Herr Lovelace mit ſeinem Geſuch
abgewieſen waͤre. Kan das wahr ſeyn, wenn
man mich durch einen ſolchen Mann, als Herr
Solmes iſt, zu beſchimpfen gedencket?
Was die vortheilhafte Eheſtiftung und die ſchoͤ-
nen Verſchreibungen anlangt, ſo hoffe ich, daß ich
Jhren Unwillen nicht vermehren werde, wenn ich
das frey heraus bekenne, was alle ohnedem fuͤr mei-
ne Meinung halten muͤſſen, die mich kennen, und
was ich mir ſchon von einigen habe vorruͤcken laſ-
ſen muͤſſen, nemlich, daß ich ſolche Bewegungs-
Gruͤnde von Hertzen verachte. Mein liebſter On-
ckle, was kan doch eine Perſon nach Verſchrei-
bungen fragen, die ſo viel eigenes beſitzet, als ſie
ſich nur wuͤnſchen kan? und die als eine ledige
Perſon ſchon mehr hat, als ſie aller Vermuthung
nach im verehlichten Stande unter ihrer eigenen
Hand
Erſter Theil. Z
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/373>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.