Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
Hand haben wird? deren Ausgaben und deren
Begierden gemäßiget sind; und die, wenn sie ja
etwas überflüßiges hätte, es nicht beylegen und
ohne Gebrauch lassen, sondern den Nothdürftigen
mittheilen würde? Wenn demnach solche kleine
pöbelhafte Absichten auch alsdenn von so weniger
Kraft bey mir sind, wenn sie meinen eigenen Vor-
theil betreffen: kan denn wohl die entfernte und
ungewisse Absicht, unsere Familie zu bereichern,
(und zwar die Familie, die einen solchen Bruder
zum Stamm-Vater haben wird,) einige Wir-
ckung bey mir haben?

Mein Bruder hat selbst so wenig Achtung für
das Beste seiner Familie gehabt, daß er lieber sein
Leben wagen wollte, (ein Leben das der gantzen
Familie billig theuer seyn muß, weil er der eintzige
Stammhalter ist) als die Leidenschaften überwin-
den, die er sich nie zu überwinden unterstehet, und
die (wenn ich es sagen darf) von seinen Eltern
mehr verzärtelt sind, als es ihm und andern nütz-
lich ist. Hat denn wohl dieser Bruder entweder
durch seine übrige Aufführung oder durch seine
Achtung für unsere Familie, es um mich verdienet,
daß ich meine zeitliche und wol gar meine ewige
Glückseligkeit ihm aufopfern soll, um einen win-
digten Vorschlag zur Wircklichkeit zu bringen,
von dem ich mich unterstehen will, deutlich zu er-
weisen, daß er, wo nicht albern doch höchst unge-
wiß ist, und sich auf lauter zum voraus gesetzte un-
wahrscheinliche Dinge grundet.

Jch

Die Geſchichte
Hand haben wird? deren Ausgaben und deren
Begierden gemaͤßiget ſind; und die, wenn ſie ja
etwas uͤberfluͤßiges haͤtte, es nicht beylegen und
ohne Gebrauch laſſen, ſondern den Nothduͤrftigen
mittheilen wuͤrde? Wenn demnach ſolche kleine
poͤbelhafte Abſichten auch alsdenn von ſo weniger
Kraft bey mir ſind, wenn ſie meinen eigenen Vor-
theil betreffen: kan denn wohl die entfernte und
ungewiſſe Abſicht, unſere Familie zu bereichern,
(und zwar die Familie, die einen ſolchen Bruder
zum Stamm-Vater haben wird,) einige Wir-
ckung bey mir haben?

Mein Bruder hat ſelbſt ſo wenig Achtung fuͤr
das Beſte ſeiner Familie gehabt, daß er lieber ſein
Leben wagen wollte, (ein Leben das der gantzen
Familie billig theuer ſeyn muß, weil er der eintzige
Stammhalter iſt) als die Leidenſchaften uͤberwin-
den, die er ſich nie zu uͤberwinden unterſtehet, und
die (wenn ich es ſagen darf) von ſeinen Eltern
mehr verzaͤrtelt ſind, als es ihm und andern nuͤtz-
lich iſt. Hat denn wohl dieſer Bruder entweder
durch ſeine uͤbrige Auffuͤhrung oder durch ſeine
Achtung fuͤr unſere Familie, es um mich verdienet,
daß ich meine zeitliche und wol gar meine ewige
Gluͤckſeligkeit ihm aufopfern ſoll, um einen win-
digten Vorſchlag zur Wircklichkeit zu bringen,
von dem ich mich unterſtehen will, deutlich zu er-
weiſen, daß er, wo nicht albern doch hoͤchſt unge-
wiß iſt, und ſich auf lauter zum voraus geſetzte un-
wahrſcheinliche Dinge grundet.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div>
          <p><pb facs="#f0374" n="354"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
Hand haben wird? deren Ausgaben und deren<lb/>
Begierden gema&#x0364;ßiget &#x017F;ind; und die, wenn &#x017F;ie ja<lb/>
etwas u&#x0364;berflu&#x0364;ßiges ha&#x0364;tte, es nicht beylegen und<lb/>
ohne Gebrauch la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern den Nothdu&#x0364;rftigen<lb/>
mittheilen wu&#x0364;rde? Wenn demnach &#x017F;olche kleine<lb/>
po&#x0364;belhafte Ab&#x017F;ichten auch alsdenn von &#x017F;o weniger<lb/>
Kraft bey mir &#x017F;ind, wenn &#x017F;ie meinen eigenen Vor-<lb/>
theil betreffen: kan denn wohl die entfernte und<lb/>
ungewi&#x017F;&#x017F;e Ab&#x017F;icht, un&#x017F;ere Familie zu bereichern,<lb/>
(und zwar die Familie, die einen <hi rendition="#fr">&#x017F;olchen Bruder</hi><lb/>
zum Stamm-Vater haben wird,) einige Wir-<lb/>
ckung bey mir haben?</p><lb/>
          <p>Mein Bruder hat &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o wenig Achtung fu&#x0364;r<lb/>
das Be&#x017F;te &#x017F;einer Familie gehabt, daß er lieber &#x017F;ein<lb/>
Leben wagen wollte, (ein Leben das der gantzen<lb/>
Familie billig theuer &#x017F;eyn muß, weil er der eintzige<lb/>
Stammhalter i&#x017F;t) als die Leiden&#x017F;chaften u&#x0364;berwin-<lb/>
den, die er &#x017F;ich nie zu u&#x0364;berwinden unter&#x017F;tehet, und<lb/>
die (wenn ich es &#x017F;agen darf) von &#x017F;einen Eltern<lb/>
mehr verza&#x0364;rtelt &#x017F;ind, als es ihm und andern nu&#x0364;tz-<lb/>
lich i&#x017F;t. Hat denn wohl die&#x017F;er Bruder entweder<lb/>
durch &#x017F;eine u&#x0364;brige Auffu&#x0364;hrung oder durch &#x017F;eine<lb/>
Achtung fu&#x0364;r un&#x017F;ere Familie, es um mich verdienet,<lb/>
daß ich meine zeitliche und wol gar meine ewige<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit ihm aufopfern &#x017F;oll, um einen win-<lb/>
digten Vor&#x017F;chlag zur Wircklichkeit zu bringen,<lb/>
von dem ich mich unter&#x017F;tehen will, deutlich zu er-<lb/>
wei&#x017F;en, daß er, wo nicht albern doch ho&#x0364;ch&#x017F;t unge-<lb/>
wiß i&#x017F;t, und &#x017F;ich auf lauter zum voraus ge&#x017F;etzte un-<lb/>
wahr&#x017F;cheinliche Dinge grundet.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0374] Die Geſchichte Hand haben wird? deren Ausgaben und deren Begierden gemaͤßiget ſind; und die, wenn ſie ja etwas uͤberfluͤßiges haͤtte, es nicht beylegen und ohne Gebrauch laſſen, ſondern den Nothduͤrftigen mittheilen wuͤrde? Wenn demnach ſolche kleine poͤbelhafte Abſichten auch alsdenn von ſo weniger Kraft bey mir ſind, wenn ſie meinen eigenen Vor- theil betreffen: kan denn wohl die entfernte und ungewiſſe Abſicht, unſere Familie zu bereichern, (und zwar die Familie, die einen ſolchen Bruder zum Stamm-Vater haben wird,) einige Wir- ckung bey mir haben? Mein Bruder hat ſelbſt ſo wenig Achtung fuͤr das Beſte ſeiner Familie gehabt, daß er lieber ſein Leben wagen wollte, (ein Leben das der gantzen Familie billig theuer ſeyn muß, weil er der eintzige Stammhalter iſt) als die Leidenſchaften uͤberwin- den, die er ſich nie zu uͤberwinden unterſtehet, und die (wenn ich es ſagen darf) von ſeinen Eltern mehr verzaͤrtelt ſind, als es ihm und andern nuͤtz- lich iſt. Hat denn wohl dieſer Bruder entweder durch ſeine uͤbrige Auffuͤhrung oder durch ſeine Achtung fuͤr unſere Familie, es um mich verdienet, daß ich meine zeitliche und wol gar meine ewige Gluͤckſeligkeit ihm aufopfern ſoll, um einen win- digten Vorſchlag zur Wircklichkeit zu bringen, von dem ich mich unterſtehen will, deutlich zu er- weiſen, daß er, wo nicht albern doch hoͤchſt unge- wiß iſt, und ſich auf lauter zum voraus geſetzte un- wahrſcheinliche Dinge grundet. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/374
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/374>, abgerufen am 25.11.2024.