seine Ausflucht hätte. Was für eine Ehre für die Ehrlichkeit, daß ein jeder ehrlich seyn will, wenn er gleich weiß, daß er denselben Augenblick Wege gehet, die ihn vor der gantzen Welt und vor seinem eigenen Gewissen zum Schelm ma- chen werden!
Was kann aber die tumme Familie für Ursa- chen haben, mich zu solchen Mitteln zu zwingen? Jch kann es nicht begreiffen. Liebe und Rache überwerfen sich bey mir: und bald ist diese bald jene der andern überlegen. Wenn meine Liebe unglücklich ist, so wird das mein eintziger Trost seyn, daß ich meine Rache kühlen kann: und wahrlich sie soll ihnen empfindlich genug seyn, wenn ich auch mein Vaterland hernach auf ewig räumen müßte.
Jch will meinem unvergleichlichen Kinde un- vermuthet in den Weg kommen: zweymahl ha- be ich es vergeblich zu thun gesucht. Jch werde alsdenn sehen, was ich zu hoffen habe: wenn ich mercke, daß ich nichts bey ihr ausrichten kann, so hätte ich wohl Lust sie zu entführen. Das wäre eine Entführung, die würdig ist von dem Jupiter begangen zu seyn.
Allein alles was ich bey diesem ersten Besuch vornehme, soll sanft seyn: alle meine Bitten an sie demüthig und ehrerbietig. Blos ihre Hand soll einen Druck von meinen Lippen empfinden; von meinen bebenden Lippen; denn sie sollen, und ich weiß sie werden von selbst beben. Meine Seufzer sollen so sanfte und gelassen seyn, als die
Seufzer
der Clariſſa.
ſeine Ausflucht haͤtte. Was fuͤr eine Ehre fuͤr die Ehrlichkeit, daß ein jeder ehrlich ſeyn will, wenn er gleich weiß, daß er denſelben Augenblick Wege gehet, die ihn vor der gantzen Welt und vor ſeinem eigenen Gewiſſen zum Schelm ma- chen werden!
Was kann aber die tumme Familie fuͤr Urſa- chen haben, mich zu ſolchen Mitteln zu zwingen? Jch kann es nicht begreiffen. Liebe und Rache uͤberwerfen ſich bey mir: und bald iſt dieſe bald jene der andern uͤberlegen. Wenn meine Liebe ungluͤcklich iſt, ſo wird das mein eintziger Troſt ſeyn, daß ich meine Rache kuͤhlen kann: und wahrlich ſie ſoll ihnen empfindlich genug ſeyn, wenn ich auch mein Vaterland hernach auf ewig raͤumen muͤßte.
Jch will meinem unvergleichlichen Kinde un- vermuthet in den Weg kommen: zweymahl ha- be ich es vergeblich zu thun geſucht. Jch werde alsdenn ſehen, was ich zu hoffen habe: wenn ich mercke, daß ich nichts bey ihr ausrichten kann, ſo haͤtte ich wohl Luſt ſie zu entfuͤhren. Das waͤre eine Entfuͤhrung, die wuͤrdig iſt von dem Jupiter begangen zu ſeyn.
Allein alles was ich bey dieſem erſten Beſuch vornehme, ſoll ſanft ſeyn: alle meine Bitten an ſie demuͤthig und ehrerbietig. Blos ihre Hand ſoll einen Druck von meinen Lippen empfinden; von meinen bebenden Lippen; denn ſie ſollen, und ich weiß ſie werden von ſelbſt beben. Meine Seufzer ſollen ſo ſanfte und gelaſſen ſeyn, als die
Seufzer
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der Clariſſa.
ſeine Ausflucht haͤtte. Was fuͤr eine Ehre fuͤr die
Ehrlichkeit, daß ein jeder ehrlich ſeyn will,
wenn er gleich weiß, daß er denſelben Augenblick
Wege gehet, die ihn vor der gantzen Welt und
vor ſeinem eigenen Gewiſſen zum Schelm ma-
chen werden!
Was kann aber die tumme Familie fuͤr Urſa-
chen haben, mich zu ſolchen Mitteln zu zwingen?
Jch kann es nicht begreiffen. Liebe und Rache
uͤberwerfen ſich bey mir: und bald iſt dieſe bald
jene der andern uͤberlegen. Wenn meine Liebe
ungluͤcklich iſt, ſo wird das mein eintziger Troſt
ſeyn, daß ich meine Rache kuͤhlen kann: und
wahrlich ſie ſoll ihnen empfindlich genug ſeyn,
wenn ich auch mein Vaterland hernach auf ewig
raͤumen muͤßte.
Jch will meinem unvergleichlichen Kinde un-
vermuthet in den Weg kommen: zweymahl ha-
be ich es vergeblich zu thun geſucht. Jch werde
alsdenn ſehen, was ich zu hoffen habe: wenn ich
mercke, daß ich nichts bey ihr ausrichten kann, ſo
haͤtte ich wohl Luſt ſie zu entfuͤhren. Das waͤre
eine Entfuͤhrung, die wuͤrdig iſt von dem Jupiter
begangen zu ſeyn.
Allein alles was ich bey dieſem erſten Beſuch
vornehme, ſoll ſanft ſeyn: alle meine Bitten an
ſie demuͤthig und ehrerbietig. Blos ihre Hand
ſoll einen Druck von meinen Lippen empfinden;
von meinen bebenden Lippen; denn ſie ſollen, und
ich weiß ſie werden von ſelbſt beben. Meine
Seufzer ſollen ſo ſanfte und gelaſſen ſeyn, als die
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/415>, abgerufen am 27.11.2024.
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