Mein Liebhaber hatte nicht eben die Eigenschaften, die der Jhrige hat: ich müßte also meine Unbe- dachtsamkeit eben so sehr und noch mehr anklagen, als die Macht die er über mein Hertz hatte. Allein Jhre Macht über mein Hertz war stärcker. Denn Sie redeten mir zuerst meine Neugier aus dem Sinn; und als meine Zuneigung aufhörte un- bedungen zu seyn, so schlug mir auch das Hertz nicht mehr seinetwegen.
Jch bitte Sie nun (mit Jhrem Worte) nach- dem ich gestanden habe, daß mein Liebhaber nicht so artig aussahe als Jhrer, so lassen Sie mich, und die Fräulein. Biddulph, Lloyd, und Cam- pion Jhre Meinung darüber vernehmen, in wie fern ein Frauenzimmer auf die Gestalt der Manns- Person zu sehen habe. Allein dencken Sie dabey an sich selbst. Mercken Sie sich das! wie Jhr Onckle Anton saget. Jnsonderheit beantworten Sie diese Frage auf den Fall, wenn sich die Manns- Person etwas auf ihre Gestalt einbildet, weil man doch von den innerlichen Vorzügen einer Person schlechte Gedancken hegen muß, die ihren Hochmuth auf eine Sache von so kur- tzer Dauer gründet, wie Sie mich selbst belehrt haben. Sie, unser liebenswürdiges Muster, haben bey der angenehmsten Bildung des Leibes und Gesichts nichts von diesem Hochmuth; und haben deswegen ohne sich selbst zu beschämen be- haupten können, daß er nicht einmahl an einem Frauenzimmer zu entschuldigen sey.
Wir
Die Geſchichte
Mein Liebhaber hatte nicht eben die Eigenſchaften, die der Jhrige hat: ich muͤßte alſo meine Unbe- dachtſamkeit eben ſo ſehr und noch mehr anklagen, als die Macht die er uͤber mein Hertz hatte. Allein Jhre Macht uͤber mein Hertz war ſtaͤrcker. Denn Sie redeten mir zuerſt meine Neugier aus dem Sinn; und als meine Zuneigung aufhoͤrte un- bedungen zu ſeyn, ſo ſchlug mir auch das Hertz nicht mehr ſeinetwegen.
Jch bitte Sie nun (mit Jhrem Worte) nach- dem ich geſtanden habe, daß mein Liebhaber nicht ſo artig ausſahe als Jhrer, ſo laſſen Sie mich, und die Fraͤulein. Biddulph, Lloyd, und Cam- pion Jhre Meinung daruͤber vernehmen, in wie fern ein Frauenzimmer auf die Geſtalt der Manns- Perſon zu ſehen habe. Allein dencken Sie dabey an ſich ſelbſt. Mercken Sie ſich das! wie Jhr Onckle Anton ſaget. Jnſonderheit beantworten Sie dieſe Frage auf den Fall, wenn ſich die Manns- Perſon etwas auf ihre Geſtalt einbildet, weil man doch von den innerlichen Vorzuͤgen einer Perſon ſchlechte Gedancken hegen muß, die ihren Hochmuth auf eine Sache von ſo kur- tzer Dauer gruͤndet, wie Sie mich ſelbſt belehrt haben. Sie, unſer liebenswuͤrdiges Muſter, haben bey der angenehmſten Bildung des Leibes und Geſichts nichts von dieſem Hochmuth; und haben deswegen ohne ſich ſelbſt zu beſchaͤmen be- haupten koͤnnen, daß er nicht einmahl an einem Frauenzimmer zu entſchuldigen ſey.
Wir
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Die Geſchichte
Mein Liebhaber hatte nicht eben die Eigenſchaften,
die der Jhrige hat: ich muͤßte alſo meine Unbe-
dachtſamkeit eben ſo ſehr und noch mehr anklagen,
als die Macht die er uͤber mein Hertz hatte. Allein
Jhre Macht uͤber mein Hertz war ſtaͤrcker. Denn
Sie redeten mir zuerſt meine Neugier aus dem
Sinn; und als meine Zuneigung aufhoͤrte un-
bedungen zu ſeyn, ſo ſchlug mir auch das Hertz
nicht mehr ſeinetwegen.
Jch bitte Sie nun (mit Jhrem Worte) nach-
dem ich geſtanden habe, daß mein Liebhaber nicht
ſo artig ausſahe als Jhrer, ſo laſſen Sie mich,
und die Fraͤulein. Biddulph, Lloyd, und Cam-
pion Jhre Meinung daruͤber vernehmen, in wie
fern ein Frauenzimmer auf die Geſtalt der Manns-
Perſon zu ſehen habe. Allein dencken Sie dabey
an ſich ſelbſt. Mercken Sie ſich das! wie Jhr
Onckle Anton ſaget. Jnſonderheit beantworten
Sie dieſe Frage auf den Fall, wenn ſich die Manns-
Perſon etwas auf ihre Geſtalt einbildet, weil man
doch von den innerlichen Vorzuͤgen einer
Perſon ſchlechte Gedancken hegen muß, die
ihren Hochmuth auf eine Sache von ſo kur-
tzer Dauer gruͤndet, wie Sie mich ſelbſt belehrt
haben. Sie, unſer liebenswuͤrdiges Muſter,
haben bey der angenehmſten Bildung des Leibes
und Geſichts nichts von dieſem Hochmuth; und
haben deswegen ohne ſich ſelbſt zu beſchaͤmen be-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/446>, abgerufen am 24.11.2024.
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