So oft ich ihn auf dieser guten Seiten angese- hen, und bedacht habe, daß ein verständiger Mann seinen Jrrthum eher einsehen wird, als ein ande- rer; so muß ich ihnen gestehen, daß ich grosse Versuchung gehabt habe, das zu thun, wovon man mich auf eine so gewalsahme Weise abhält. Alle Herrschaft über mein Gemüth, welche man für die Haupt-Tugend angesehen hat, die ich in so jungen Jahren besässe, ist kaum hinlänglich ge- wesen, mich zurück zu halten.
Die Liebe seiner Anverwanten gegen mich, un- ter denen keiner ist gegen den etwas einzuwenden wäre, ihn allein ausgenommen, hat viel dazu beygetragen, den Ausschlag auf die gute Seite zu lencken.
Allein nun folget auch die schlimme Seite, und alles das was in meinem Gemüth gegen ihn streitet. Wenn ich das Verbot meiner Eltern bedencke, das liederliche Ansehen, das es vor der Welt haben würde, wenn meine Wahl ihn träffe; die Unwahrscheinlichkeit, daß jemahls die Wiedrig- keit auf hören wird, die durch die Schlägerey stär- cker geworden ist, und noch täglich durch meines Bruders Kunst zunimmt; die Nothwendigkeit, auf ewig mit den Meinigen im Streit zu leben, und zu ihm zu flüchten und ihn fast auf die Art zu nehmen, als wenn ich diese Verbindung für eine Wohlthat und Glück anzusehen hätte; seinen Wi- derwillen gegen uns, der eben so starck ist, als der Widerwille der Meinigen gegen ihn; den Haß der seine und unsere Familie um seinet willen trennet;
sei-
Die Geſchichte
alles wagenden Menſchen zu befuͤrchten iſt.
So oft ich ihn auf dieſer guten Seiten angeſe- hen, und bedacht habe, daß ein verſtaͤndiger Mann ſeinen Jrrthum eher einſehen wird, als ein ande- rer; ſo muß ich ihnen geſtehen, daß ich groſſe Verſuchung gehabt habe, das zu thun, wovon man mich auf eine ſo gewalſahme Weiſe abhaͤlt. Alle Herrſchaft uͤber mein Gemuͤth, welche man fuͤr die Haupt-Tugend angeſehen hat, die ich in ſo jungen Jahren beſaͤſſe, iſt kaum hinlaͤnglich ge- weſen, mich zuruͤck zu halten.
Die Liebe ſeiner Anverwanten gegen mich, un- ter denen keiner iſt gegen den etwas einzuwenden waͤre, ihn allein ausgenommen, hat viel dazu beygetragen, den Ausſchlag auf die gute Seite zu lencken.
Allein nun folget auch die ſchlimme Seite, und alles das was in meinem Gemuͤth gegen ihn ſtreitet. Wenn ich das Verbot meiner Eltern bedencke, das liederliche Anſehen, das es vor der Welt haben wuͤrde, wenn meine Wahl ihn traͤffe; die Unwahrſcheinlichkeit, daß jemahls die Wiedrig- keit auf hoͤren wird, die durch die Schlaͤgerey ſtaͤr- cker geworden iſt, und noch taͤglich durch meines Bruders Kunſt zunimmt; die Nothwendigkeit, auf ewig mit den Meinigen im Streit zu leben, und zu ihm zu fluͤchten und ihn faſt auf die Art zu nehmen, als wenn ich dieſe Verbindung fuͤr eine Wohlthat und Gluͤck anzuſehen haͤtte; ſeinen Wi- derwillen gegen uns, der eben ſo ſtarck iſt, als der Widerwille der Meinigen gegen ihn; den Haß der ſeine und unſere Familie um ſeinet willen trennet;
ſei-
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Die Geſchichte
alles wagenden Menſchen zu befuͤrchten iſt.
So oft ich ihn auf dieſer guten Seiten angeſe-
hen, und bedacht habe, daß ein verſtaͤndiger Mann
ſeinen Jrrthum eher einſehen wird, als ein ande-
rer; ſo muß ich ihnen geſtehen, daß ich groſſe
Verſuchung gehabt habe, das zu thun, wovon
man mich auf eine ſo gewalſahme Weiſe abhaͤlt.
Alle Herrſchaft uͤber mein Gemuͤth, welche man
fuͤr die Haupt-Tugend angeſehen hat, die ich in ſo
jungen Jahren beſaͤſſe, iſt kaum hinlaͤnglich ge-
weſen, mich zuruͤck zu halten.
Die Liebe ſeiner Anverwanten gegen mich, un-
ter denen keiner iſt gegen den etwas einzuwenden
waͤre, ihn allein ausgenommen, hat viel dazu
beygetragen, den Ausſchlag auf die gute Seite
zu lencken.
Allein nun folget auch die ſchlimme Seite,
und alles das was in meinem Gemuͤth gegen ihn
ſtreitet. Wenn ich das Verbot meiner Eltern
bedencke, das liederliche Anſehen, das es vor der
Welt haben wuͤrde, wenn meine Wahl ihn traͤffe;
die Unwahrſcheinlichkeit, daß jemahls die Wiedrig-
keit auf hoͤren wird, die durch die Schlaͤgerey ſtaͤr-
cker geworden iſt, und noch taͤglich durch meines
Bruders Kunſt zunimmt; die Nothwendigkeit,
auf ewig mit den Meinigen im Streit zu leben,
und zu ihm zu fluͤchten und ihn faſt auf die Art zu
nehmen, als wenn ich dieſe Verbindung fuͤr eine
Wohlthat und Gluͤck anzuſehen haͤtte; ſeinen Wi-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/472>, abgerufen am 24.11.2024.
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