und lasterhaft gewesen? Wie unentbehrlich aber die Zärtlichkeit unseres Geschlechts und die Art wie wir erzogen werden, uns einen muthigen Be- schützer und eine edelmüthige Gesellschaft macht, dadurch wir aufgerichtet und nicht niedergeschla- gen werden, kann man unter andern daraus sehen, daß wir schon von Natur in diesen Character ver- liebt sind, wenn wir ihn bey Manns-Personen antreffen.
Werde ich zu befürchten haben, daß er mich auf meine Stube einsperret? daß er mir den Um- gang und den Briefwechsel mit meinen besten Freundinnen untersaget? daß er mir die Haushal- tung nimmt, wenn ich nichts darin versehen habe? daß er eine Magd über mich setzt, und ihr erlaubt mich zu kräncken. Da er selbst keine Schwester hat, wird er etwa den Fräuleins Montague erlauben, über mich mit harter Hand zu herrschen? oder wer- den diese eine solche Erlaubniß annehmen und ge- brauchen? das darf ich alles nicht befürchten. Jch werde deswegen oft heimlich unwillig über meine grausahmen Freunde, daß sie mich in Versuchung führen, mir eine Erfahrung von dem Unterscheid ihrer und seiner Aufführung gegen mich zu wün- schen.
Jch finde endlich in meinem Hertzen ein gehei- mes Vergnügen, das sich darüber regen würde, wenn ich einen solchen Mann wider auf den Weg der Tugend bringen könnte; und wenn ich dadurch, daß ich die Seinige würde, ein Neben-Mittel zu seiner Errettung und zur Verhütung so vieles Un- glücks würde, das sonst von einem so dreisten und
alles
F f 2
der Clariſſa.
und laſterhaft geweſen? Wie unentbehrlich aber die Zaͤrtlichkeit unſeres Geſchlechts und die Art wie wir erzogen werden, uns einen muthigen Be- ſchuͤtzer und eine edelmuͤthige Geſellſchaft macht, dadurch wir aufgerichtet und nicht niedergeſchla- gen werden, kann man unter andern daraus ſehen, daß wir ſchon von Natur in dieſen Character ver- liebt ſind, wenn wir ihn bey Manns-Perſonen antreffen.
Werde ich zu befuͤrchten haben, daß er mich auf meine Stube einſperret? daß er mir den Um- gang und den Briefwechſel mit meinen beſten Freundinnen unterſaget? daß er mir die Haushal- tung nimmt, wenn ich nichts darin verſehen habe? daß er eine Magd uͤber mich ſetzt, und ihr erlaubt mich zu kraͤncken. Da er ſelbſt keine Schweſter hat, wird er etwa den Fraͤuleins Montague erlauben, uͤber mich mit harter Hand zu herrſchen? oder wer- den dieſe eine ſolche Erlaubniß annehmen und ge- brauchen? das darf ich alles nicht befuͤrchten. Jch werde deswegen oft heimlich unwillig uͤber meine grauſahmen Freunde, daß ſie mich in Verſuchung fuͤhren, mir eine Erfahrung von dem Unterſcheid ihrer und ſeiner Auffuͤhrung gegen mich zu wuͤn- ſchen.
Jch finde endlich in meinem Hertzen ein gehei- mes Vergnuͤgen, das ſich daruͤber regen wuͤrde, wenn ich einen ſolchen Mann wider auf den Weg der Tugend bringen koͤnnte; und wenn ich dadurch, daß ich die Seinige wuͤrde, ein Neben-Mittel zu ſeiner Errettung und zur Verhuͤtung ſo vieles Un- gluͤcks wuͤrde, das ſonſt von einem ſo dreiſten und
alles
F f 2
<TEI><text><body><divn="2"><p><pbfacs="#f0471"n="451"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/>
und laſterhaft geweſen? Wie unentbehrlich aber<lb/>
die Zaͤrtlichkeit unſeres Geſchlechts und die Art<lb/>
wie wir erzogen werden, uns einen muthigen Be-<lb/>ſchuͤtzer und eine edelmuͤthige Geſellſchaft macht,<lb/>
dadurch wir aufgerichtet und nicht niedergeſchla-<lb/>
gen werden, kann man unter andern daraus ſehen,<lb/>
daß wir ſchon von Natur in dieſen Character ver-<lb/>
liebt ſind, wenn wir ihn bey Manns-Perſonen<lb/>
antreffen.</p><lb/><p>Werde ich zu befuͤrchten haben, daß er mich<lb/>
auf meine Stube einſperret? daß er mir den Um-<lb/>
gang und den Briefwechſel mit meinen beſten<lb/>
Freundinnen unterſaget? daß er mir die Haushal-<lb/>
tung nimmt, wenn ich nichts darin verſehen habe?<lb/>
daß er eine Magd uͤber mich ſetzt, und ihr erlaubt<lb/>
mich zu kraͤncken. Da er ſelbſt keine Schweſter hat,<lb/>
wird er etwa den Fraͤuleins <hirendition="#fr">Montague</hi> erlauben,<lb/>
uͤber mich mit harter Hand zu herrſchen? oder wer-<lb/>
den dieſe eine ſolche Erlaubniß annehmen und ge-<lb/>
brauchen? das darf ich alles nicht befuͤrchten. Jch<lb/>
werde deswegen oft heimlich unwillig uͤber meine<lb/>
grauſahmen Freunde, daß ſie mich in Verſuchung<lb/>
fuͤhren, mir eine Erfahrung von dem Unterſcheid<lb/>
ihrer und ſeiner Auffuͤhrung gegen mich zu wuͤn-<lb/>ſchen.</p><lb/><p>Jch finde endlich in meinem Hertzen ein gehei-<lb/>
mes Vergnuͤgen, das ſich daruͤber regen wuͤrde,<lb/>
wenn ich einen ſolchen Mann wider auf den Weg<lb/>
der Tugend bringen koͤnnte; und wenn ich dadurch,<lb/>
daß ich die Seinige wuͤrde, ein Neben-Mittel zu<lb/>ſeiner Errettung und zur Verhuͤtung ſo vieles Un-<lb/>
gluͤcks wuͤrde, das ſonſt von einem ſo dreiſten und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F f 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">alles</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[451/0471]
der Clariſſa.
und laſterhaft geweſen? Wie unentbehrlich aber
die Zaͤrtlichkeit unſeres Geſchlechts und die Art
wie wir erzogen werden, uns einen muthigen Be-
ſchuͤtzer und eine edelmuͤthige Geſellſchaft macht,
dadurch wir aufgerichtet und nicht niedergeſchla-
gen werden, kann man unter andern daraus ſehen,
daß wir ſchon von Natur in dieſen Character ver-
liebt ſind, wenn wir ihn bey Manns-Perſonen
antreffen.
Werde ich zu befuͤrchten haben, daß er mich
auf meine Stube einſperret? daß er mir den Um-
gang und den Briefwechſel mit meinen beſten
Freundinnen unterſaget? daß er mir die Haushal-
tung nimmt, wenn ich nichts darin verſehen habe?
daß er eine Magd uͤber mich ſetzt, und ihr erlaubt
mich zu kraͤncken. Da er ſelbſt keine Schweſter hat,
wird er etwa den Fraͤuleins Montague erlauben,
uͤber mich mit harter Hand zu herrſchen? oder wer-
den dieſe eine ſolche Erlaubniß annehmen und ge-
brauchen? das darf ich alles nicht befuͤrchten. Jch
werde deswegen oft heimlich unwillig uͤber meine
grauſahmen Freunde, daß ſie mich in Verſuchung
fuͤhren, mir eine Erfahrung von dem Unterſcheid
ihrer und ſeiner Auffuͤhrung gegen mich zu wuͤn-
ſchen.
Jch finde endlich in meinem Hertzen ein gehei-
mes Vergnuͤgen, das ſich daruͤber regen wuͤrde,
wenn ich einen ſolchen Mann wider auf den Weg
der Tugend bringen koͤnnte; und wenn ich dadurch,
daß ich die Seinige wuͤrde, ein Neben-Mittel zu
ſeiner Errettung und zur Verhuͤtung ſo vieles Un-
gluͤcks wuͤrde, das ſonſt von einem ſo dreiſten und
alles
F f 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/471>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.