Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
Fehler an sich hat billig gefallen sollte. Jch halte
es für möglich, daß meine Verfolger mich dahin
bringen, daß er mir künftig noch besser gefällt:
sonderlich nachdem ich mich unserer letztern Unter-
redung zu seinem Vortheil erinnern kann, und
ich von der andern Seite täglich neue Proben der
Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will
es frey gestehen, (weil Sie doch nichts was ich sage
für gar zu deutlich und offenhertzig halten können)
daß ich ihn jetzt allen Manns-Personen, die ich je-
mahls gesehen habe, vorziehen würde, wenn ich ihn
nur für tugendhaft halten könnte.

Das ist denn doch nur eine bedungene Nei-
gung!
werden Sie sagen. Jch hoffe auch nicht,
daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch
nie verliebt gewesen, darum werden Sie besser als
ich entscheiden können, ob ich jetzt verliebt zu nen-
nen sey. Bin ich aber jetzt verliebt, so scheint mir
die Liebe nicht eine so unüberwindliche Macht zu
haben, als man ihr gemeiniglich zuschreibet; oder
man muß ihr erst mehr Freyheit gelassen haben als
ich, wenn sie unüberwindlich wird. Denn
ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen
Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los
sagen könnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges-
mahl dabey schlagen sollte.

Allein den Schertz bey Seite gesetzt: hätten ja
meine unglücklichen und bedrängten Umstände mich
zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben
oder verleitet, und wäre aus dieser Neigung eud-
lich gar eine Liebe geworden: so hätten Sie doch

Jhre

der Clariſſa.
Fehler an ſich hat billig gefallen ſollte. Jch halte
es fuͤr moͤglich, daß meine Verfolger mich dahin
bringen, daß er mir kuͤnftig noch beſſer gefaͤllt:
ſonderlich nachdem ich mich unſerer letztern Unter-
redung zu ſeinem Vortheil erinnern kann, und
ich von der andern Seite taͤglich neue Proben der
Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will
es frey geſtehen, (weil Sie doch nichts was ich ſage
fuͤr gar zu deutlich und offenhertzig halten koͤnnen)
daß ich ihn jetzt allen Manns-Perſonen, die ich je-
mahls geſehen habe, vorziehen wuͤrde, wenn ich ihn
nur fuͤr tugendhaft halten koͤnnte.

Das iſt denn doch nur eine bedungene Nei-
gung!
werden Sie ſagen. Jch hoffe auch nicht,
daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch
nie verliebt geweſen, darum werden Sie beſſer als
ich entſcheiden koͤnnen, ob ich jetzt verliebt zu nen-
nen ſey. Bin ich aber jetzt verliebt, ſo ſcheint mir
die Liebe nicht eine ſo unuͤberwindliche Macht zu
haben, als man ihr gemeiniglich zuſchreibet; oder
man muß ihr erſt mehr Freyheit gelaſſen haben als
ich, wenn ſie unuͤberwindlich wird. Denn
ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen
Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los
ſagen koͤnnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges-
mahl dabey ſchlagen ſollte.

Allein den Schertz bey Seite geſetzt: haͤtten ja
meine ungluͤcklichen und bedraͤngtẽ Umſtaͤnde mich
zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben
oder verleitet, und waͤre aus dieſer Neigung eud-
lich gar eine Liebe geworden: ſo haͤtten Sie doch

Jhre
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0479" n="459"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
Fehler an &#x017F;ich hat billig gefallen &#x017F;ollte. Jch halte<lb/>
es fu&#x0364;r mo&#x0364;glich, daß meine Verfolger mich dahin<lb/>
bringen, daß er mir ku&#x0364;nftig noch be&#x017F;&#x017F;er gefa&#x0364;llt:<lb/>
&#x017F;onderlich nachdem ich mich un&#x017F;erer letztern Unter-<lb/>
redung zu &#x017F;einem Vortheil erinnern kann, und<lb/>
ich von der andern Seite ta&#x0364;glich neue Proben der<lb/>
Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will<lb/>
es frey ge&#x017F;tehen, (weil Sie doch nichts was ich &#x017F;age<lb/>
fu&#x0364;r gar zu deutlich und offenhertzig halten ko&#x0364;nnen)<lb/>
daß ich ihn jetzt allen Manns-Per&#x017F;onen, die ich je-<lb/>
mahls ge&#x017F;ehen habe, vorziehen wu&#x0364;rde, wenn ich ihn<lb/>
nur fu&#x0364;r tugendhaft halten ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t denn doch nur eine <hi rendition="#fr">bedungene Nei-<lb/>
gung!</hi> werden Sie &#x017F;agen. Jch hoffe auch nicht,<lb/>
daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch<lb/>
nie verliebt gewe&#x017F;en, darum werden Sie be&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
ich ent&#x017F;cheiden ko&#x0364;nnen, ob ich jetzt verliebt zu nen-<lb/>
nen &#x017F;ey. Bin ich aber jetzt verliebt, &#x017F;o &#x017F;cheint mir<lb/>
die Liebe nicht eine &#x017F;o unu&#x0364;berwindliche Macht zu<lb/>
haben, als man ihr gemeiniglich zu&#x017F;chreibet; oder<lb/>
man muß ihr er&#x017F;t mehr Freyheit gela&#x017F;&#x017F;en haben als<lb/>
ich, wenn &#x017F;ie unu&#x0364;berwindlich wird. Denn<lb/>
ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen<lb/>
Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los<lb/>
&#x017F;agen ko&#x0364;nnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges-<lb/>
mahl dabey &#x017F;chlagen &#x017F;ollte.</p><lb/>
        <p>Allein den Schertz bey Seite ge&#x017F;etzt: ha&#x0364;tten ja<lb/>
meine unglu&#x0364;cklichen und bedra&#x0364;ngte&#x0303; Um&#x017F;ta&#x0364;nde mich<lb/>
zu einer Neigung gegen <hi rendition="#fr">Lovelacen</hi> getrieben<lb/>
oder <hi rendition="#fr">verleitet,</hi> und wa&#x0364;re aus die&#x017F;er Neigung eud-<lb/>
lich gar eine <hi rendition="#fr">Liebe</hi> geworden: &#x017F;o ha&#x0364;tten Sie doch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jhre</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0479] der Clariſſa. Fehler an ſich hat billig gefallen ſollte. Jch halte es fuͤr moͤglich, daß meine Verfolger mich dahin bringen, daß er mir kuͤnftig noch beſſer gefaͤllt: ſonderlich nachdem ich mich unſerer letztern Unter- redung zu ſeinem Vortheil erinnern kann, und ich von der andern Seite taͤglich neue Proben der Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will es frey geſtehen, (weil Sie doch nichts was ich ſage fuͤr gar zu deutlich und offenhertzig halten koͤnnen) daß ich ihn jetzt allen Manns-Perſonen, die ich je- mahls geſehen habe, vorziehen wuͤrde, wenn ich ihn nur fuͤr tugendhaft halten koͤnnte. Das iſt denn doch nur eine bedungene Nei- gung! werden Sie ſagen. Jch hoffe auch nicht, daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch nie verliebt geweſen, darum werden Sie beſſer als ich entſcheiden koͤnnen, ob ich jetzt verliebt zu nen- nen ſey. Bin ich aber jetzt verliebt, ſo ſcheint mir die Liebe nicht eine ſo unuͤberwindliche Macht zu haben, als man ihr gemeiniglich zuſchreibet; oder man muß ihr erſt mehr Freyheit gelaſſen haben als ich, wenn ſie unuͤberwindlich wird. Denn ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los ſagen koͤnnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges- mahl dabey ſchlagen ſollte. Allein den Schertz bey Seite geſetzt: haͤtten ja meine ungluͤcklichen und bedraͤngtẽ Umſtaͤnde mich zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben oder verleitet, und waͤre aus dieſer Neigung eud- lich gar eine Liebe geworden: ſo haͤtten Sie doch Jhre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/479
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/479>, abgerufen am 24.11.2024.