Jch erinnere mich nicht, Arabelle, jemahls et- was unbilliges gefodert zu haben. Jch habe selten für mich sondern meistentheils für andere gebeten.
Jch mußte hierüber tadelsüchtig heißen.
Alles das, wovon ihr redet, Arabelle, sind alte Sachen. Jch kann jetzt nicht auf alle Thorheiten meiner Kinder-Jahre zurückgehen. Jch habe nie gedacht, daß eur Widerwille gegen mich, der seit kurtzen ausgebrochen ist, schon so alt wäre.
Jch war wider tadelsüchtig. So eine mürri- sche empfindliche Sanfftmuth! Solche allerbe- ste Weise! Solche gifftige Worte! Clärchen, Clärchen, Clärchen, du bist immer ein doppel- sichtiges Mädchen gewesen.
Niemand hat mir ein zwiefaches Gesicht zuge- schrieben, als ich alles das meinige der Gewalt meines Vaters übergab, und meine wenigen Ta- schen-Gelder nach wie vor für eine Gütigkeit von ihm ansahe und aus seiner Hand ohne einen Gro- schen Zulage zu verlangen annahm.
Ja, du listiges Ding! das war auch einer von deinen Streichen. Brachtest du nicht dadurch deinen allzu gütigen Vater dahin, und konntest du nicht zum voraus sehen, daß du ihn dahin brin- gen würdest, daß er sich erklärte; er wolle zur Be- lohnung dieses ihm angenehmen Gehorsahms die Einkünffte des Gutes zu eurem künfftigen Ge- brauch beylegen, und weiter nichts als eur Haus- halter seyn, und ihr solltet von ihm noch alles zu geniessen haben, was ihr vorhin genoßen hattet? Das war wider einer von euren Griffen. Alle
eure
Die Geſchichte
Jch erinnere mich nicht, Arabelle, jemahls et- was unbilliges gefodert zu haben. Jch habe ſelten fuͤr mich ſondern meiſtentheils fuͤr andere gebeten.
Jch mußte hieruͤber tadelſuͤchtig heißen.
Alles das, wovon ihr redet, Arabelle, ſind alte Sachen. Jch kann jetzt nicht auf alle Thorheiten meiner Kinder-Jahre zuruͤckgehen. Jch habe nie gedacht, daß eur Widerwille gegen mich, der ſeit kurtzen ausgebrochen iſt, ſchon ſo alt waͤre.
Jch war wider tadelſuͤchtig. So eine muͤrri- ſche empfindliche Sanfftmuth! Solche allerbe- ſte Weiſe! Solche gifftige Worte! Claͤrchen, Claͤrchen, Claͤrchen, du biſt immer ein doppel- ſichtiges Maͤdchen geweſen.
Niemand hat mir ein zwiefaches Geſicht zuge- ſchrieben, als ich alles das meinige der Gewalt meines Vaters uͤbergab, und meine wenigen Ta- ſchen-Gelder nach wie vor fuͤr eine Guͤtigkeit von ihm anſahe und aus ſeiner Hand ohne einen Gro- ſchen Zulage zu verlangen annahm.
Ja, du liſtiges Ding! das war auch einer von deinen Streichen. Brachteſt du nicht dadurch deinen allzu guͤtigen Vater dahin, und konnteſt du nicht zum voraus ſehen, daß du ihn dahin brin- gen wuͤrdeſt, daß er ſich erklaͤrte; er wolle zur Be- lohnung dieſes ihm angenehmen Gehorſahms die Einkuͤnffte des Gutes zu eurem kuͤnfftigen Ge- brauch beylegen, und weiter nichts als eur Haus- halter ſeyn, und ihr ſolltet von ihm noch alles zu genieſſen haben, was ihr vorhin genoßen hattet? Das war wider einer von euren Griffen. Alle
eure
<TEI><text><body><divn="2"><pbfacs="#f0508"n="488"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><p>Jch erinnere mich nicht, <hirendition="#fr">Arabelle,</hi> jemahls et-<lb/>
was unbilliges gefodert zu haben. Jch habe ſelten<lb/>
fuͤr mich ſondern meiſtentheils fuͤr andere gebeten.</p><lb/><p>Jch mußte hieruͤber <hirendition="#fr">tadelſuͤchtig</hi> heißen.</p><lb/><p>Alles das, wovon ihr redet, <hirendition="#fr">Arabelle,</hi>ſind alte<lb/>
Sachen. Jch kann jetzt nicht auf alle Thorheiten<lb/>
meiner Kinder-Jahre zuruͤckgehen. Jch habe nie<lb/>
gedacht, daß eur Widerwille gegen mich, der ſeit<lb/>
kurtzen ausgebrochen iſt, ſchon ſo alt waͤre.</p><lb/><p>Jch war wider <hirendition="#fr">tadelſuͤchtig.</hi> So eine muͤrri-<lb/>ſche empfindliche Sanfftmuth! Solche <hirendition="#fr">allerbe-<lb/>ſte Weiſe!</hi> Solche gifftige Worte! <hirendition="#fr">Claͤrchen,<lb/>
Claͤrchen, Claͤrchen,</hi> du biſt immer ein doppel-<lb/>ſichtiges Maͤdchen geweſen.</p><lb/><p>Niemand hat mir ein zwiefaches Geſicht zuge-<lb/>ſchrieben, als ich alles das meinige der Gewalt<lb/>
meines Vaters uͤbergab, und meine wenigen Ta-<lb/>ſchen-Gelder nach wie vor fuͤr eine Guͤtigkeit von<lb/>
ihm anſahe und aus ſeiner Hand ohne einen Gro-<lb/>ſchen Zulage zu verlangen annahm.</p><lb/><p>Ja, du liſtiges Ding! das war auch einer von<lb/>
deinen <hirendition="#fr">Streichen.</hi> Brachteſt du nicht dadurch<lb/>
deinen allzu guͤtigen Vater dahin, und konnteſt<lb/>
du nicht zum voraus ſehen, daß du ihn dahin brin-<lb/>
gen wuͤrdeſt, daß er ſich erklaͤrte; er wolle zur Be-<lb/>
lohnung dieſes ihm angenehmen Gehorſahms die<lb/>
Einkuͤnffte des Gutes zu eurem kuͤnfftigen Ge-<lb/>
brauch beylegen, und weiter nichts als eur Haus-<lb/>
halter ſeyn, und ihr ſolltet von ihm noch alles zu<lb/>
genieſſen haben, was ihr vorhin genoßen hattet?<lb/>
Das war wider einer von euren Griffen. Alle<lb/><fwplace="bottom"type="catch">eure</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[488/0508]
Die Geſchichte
Jch erinnere mich nicht, Arabelle, jemahls et-
was unbilliges gefodert zu haben. Jch habe ſelten
fuͤr mich ſondern meiſtentheils fuͤr andere gebeten.
Jch mußte hieruͤber tadelſuͤchtig heißen.
Alles das, wovon ihr redet, Arabelle, ſind alte
Sachen. Jch kann jetzt nicht auf alle Thorheiten
meiner Kinder-Jahre zuruͤckgehen. Jch habe nie
gedacht, daß eur Widerwille gegen mich, der ſeit
kurtzen ausgebrochen iſt, ſchon ſo alt waͤre.
Jch war wider tadelſuͤchtig. So eine muͤrri-
ſche empfindliche Sanfftmuth! Solche allerbe-
ſte Weiſe! Solche gifftige Worte! Claͤrchen,
Claͤrchen, Claͤrchen, du biſt immer ein doppel-
ſichtiges Maͤdchen geweſen.
Niemand hat mir ein zwiefaches Geſicht zuge-
ſchrieben, als ich alles das meinige der Gewalt
meines Vaters uͤbergab, und meine wenigen Ta-
ſchen-Gelder nach wie vor fuͤr eine Guͤtigkeit von
ihm anſahe und aus ſeiner Hand ohne einen Gro-
ſchen Zulage zu verlangen annahm.
Ja, du liſtiges Ding! das war auch einer von
deinen Streichen. Brachteſt du nicht dadurch
deinen allzu guͤtigen Vater dahin, und konnteſt
du nicht zum voraus ſehen, daß du ihn dahin brin-
gen wuͤrdeſt, daß er ſich erklaͤrte; er wolle zur Be-
lohnung dieſes ihm angenehmen Gehorſahms die
Einkuͤnffte des Gutes zu eurem kuͤnfftigen Ge-
brauch beylegen, und weiter nichts als eur Haus-
halter ſeyn, und ihr ſolltet von ihm noch alles zu
genieſſen haben, was ihr vorhin genoßen hattet?
Das war wider einer von euren Griffen. Alle
eure
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/508>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.