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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.
ster ihre Zeit unterdessen an, daß ich schrieb? Sie
spielte gantz gelassen auf meinem Flügel, und sang
die Melodey dazu, um mir zu zeigen, wie wenig
sie sich um mich bekümmerte.

Als ich mich ihr mit dem geschriebenen Blat
nahete, stund meine grausame Schwester mit ei-
ner leichtsinnigen Mine auf. Wie? Kind! habt
ihr schon geschrieben? Wahrlich ihr habt schon
geschrieben! Wie fertig seyd ihr doch in der Fe-
der! Darf ich es denn wol lesen?

Wenn es euch beliebt, Arabelle.

Sie laaß es, und zwang sich zu einem ausge-
lassenen Gelächter: wie kann man doch auch die
klugen Vögel fangen! Mercktet ihr denn nicht,
daß ich nur geschertzt habe? Und ihr wolltet mir
anmuthen seyn, daß ich diesen artigen zierlich ge-
schriebenen Unsinn mit hinunter nähme.

Macht nicht Arabelle, daß ich mich über eine
Aufführung verwundern muß, die sich so schlecht
für eine Schwester schickt. Jch hoffe, ihr stellet
euch nur so. Jn dergleichen Schertz kann doch
kein Witz stecken.

Was für Unverstand! Clärchen. Wie natür-
lich ist es doch den Leuten, wenn sie einmahl ihr
Hertz auf etwas gerichtet haben, daß sie glauben,
jedermann müsse die Sache mit ihren Augen an-
sehen. Jch frage euch, mein Kind, was wird aus
dem Gehorsahm werden, den eur Vater von euch
fodern kann? Wer giebt hier nach? der Vater
oder das Kind? Wie reimt sich dieser Vorschlag
zu den Vorschlägen, darüber eur Vater schon mit
Herrn Solmes eins geworden ist? Was haben

wir

der Clariſſa.
ſter ihre Zeit unterdeſſen an, daß ich ſchrieb? Sie
ſpielte gantz gelaſſen auf meinem Fluͤgel, und ſang
die Melodey dazu, um mir zu zeigen, wie wenig
ſie ſich um mich bekuͤmmerte.

Als ich mich ihr mit dem geſchriebenen Blat
nahete, ſtund meine grauſame Schweſter mit ei-
ner leichtſinnigen Mine auf. Wie? Kind! habt
ihr ſchon geſchrieben? Wahrlich ihr habt ſchon
geſchrieben! Wie fertig ſeyd ihr doch in der Fe-
der! Darf ich es denn wol leſen?

Wenn es euch beliebt, Arabelle.

Sie laaß es, und zwang ſich zu einem ausge-
laſſenen Gelaͤchter: wie kann man doch auch die
klugen Voͤgel fangen! Mercktet ihr denn nicht,
daß ich nur geſchertzt habe? Und ihr wolltet mir
anmuthen ſeyn, daß ich dieſen artigen zierlich ge-
ſchriebenen Unſinn mit hinunter naͤhme.

Macht nicht Arabelle, daß ich mich uͤber eine
Auffuͤhrung verwundern muß, die ſich ſo ſchlecht
fuͤr eine Schweſter ſchickt. Jch hoffe, ihr ſtellet
euch nur ſo. Jn dergleichen Schertz kann doch
kein Witz ſtecken.

Was fuͤr Unverſtand! Claͤrchen. Wie natuͤr-
lich iſt es doch den Leuten, wenn ſie einmahl ihr
Hertz auf etwas gerichtet haben, daß ſie glauben,
jedermann muͤſſe die Sache mit ihren Augen an-
ſehen. Jch frage euch, mein Kind, was wird aus
dem Gehorſahm werden, den eur Vater von euch
fodern kann? Wer giebt hier nach? der Vater
oder das Kind? Wie reimt ſich dieſer Vorſchlag
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[495/0515] der Clariſſa. ſter ihre Zeit unterdeſſen an, daß ich ſchrieb? Sie ſpielte gantz gelaſſen auf meinem Fluͤgel, und ſang die Melodey dazu, um mir zu zeigen, wie wenig ſie ſich um mich bekuͤmmerte. Als ich mich ihr mit dem geſchriebenen Blat nahete, ſtund meine grauſame Schweſter mit ei- ner leichtſinnigen Mine auf. Wie? Kind! habt ihr ſchon geſchrieben? Wahrlich ihr habt ſchon geſchrieben! Wie fertig ſeyd ihr doch in der Fe- der! Darf ich es denn wol leſen? Wenn es euch beliebt, Arabelle. Sie laaß es, und zwang ſich zu einem ausge- laſſenen Gelaͤchter: wie kann man doch auch die klugen Voͤgel fangen! Mercktet ihr denn nicht, daß ich nur geſchertzt habe? Und ihr wolltet mir anmuthen ſeyn, daß ich dieſen artigen zierlich ge- ſchriebenen Unſinn mit hinunter naͤhme. Macht nicht Arabelle, daß ich mich uͤber eine Auffuͤhrung verwundern muß, die ſich ſo ſchlecht fuͤr eine Schweſter ſchickt. Jch hoffe, ihr ſtellet euch nur ſo. Jn dergleichen Schertz kann doch kein Witz ſtecken. Was fuͤr Unverſtand! Claͤrchen. Wie natuͤr- lich iſt es doch den Leuten, wenn ſie einmahl ihr Hertz auf etwas gerichtet haben, daß ſie glauben, jedermann muͤſſe die Sache mit ihren Augen an- ſehen. Jch frage euch, mein Kind, was wird aus dem Gehorſahm werden, den eur Vater von euch fodern kann? Wer giebt hier nach? der Vater oder das Kind? Wie reimt ſich dieſer Vorſchlag zu den Vorſchlaͤgen, daruͤber eur Vater ſchon mit Herrn Solmes eins geworden iſt? Was haben wir

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/515>, abgerufen am 24.11.2024.