Den Anfang der Universitäts-Feindschaft habe ich auf diese Art erzehlen hören: Herr Lovelace war überall als ein junger Mensch von Munter- keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es scheint, daß seine Geschwindigkeit in Erlernung aller Thei- le der Gelehrsamkeit eben so groß gewesen sey, als jene. Der Fleiß den er in den Studierstunden bewies hatte kaum seines gleichen. Das schei- net sein Haupt-Charackter auf Universitäten ge- wesen zu seyn. Er erwarb sich dadurch viel Freun- de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht liebten, ihn doch fürchten mußten, indem er we- gen seiner Munterkeit leicht aufzubringen war, und Muth genug hatte, seine Sache auszuführen. Er bekam hiedurch so viel Anhänger, unter den unruhigen Köpfen auf der Universität, als er wol- te. Jch weiß, Sie werden hiebey dencken, daß diese Gemüthsbeschaffenheit nicht all zu liebens- würdig sey. Allein mein Bruder hatte kein besse- res Gemüth, sein natürlicher Hochmuth konnte einen Vorzug, der so in die Augen fiel, nicht ertra- gen: über das pflegt leicht ein würcklicher Haß zu entstehen, wenn man einen mehr fürchten als lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr über sich selbst, daher ward er von dem andern vielleicht auf unanständige Weise lächerlich gemacht. Sie kamen also niemals zusammen, ohne sich zu zan- cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus Furcht es mit Lovelace hielt, so hatte er viel ver- drießliche Stunden, so lange sie in einem Colle-
gio
Die Geſchichte
Den Anfang der Univerſitaͤts-Feindſchaft habe ich auf dieſe Art erzehlen hoͤren: Herr Lovelace war uͤberall als ein junger Menſch von Munter- keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es ſcheint, daß ſeine Geſchwindigkeit in Erlernung aller Thei- le der Gelehrſamkeit eben ſo groß geweſen ſey, als jene. Der Fleiß den er in den Studierſtunden bewies hatte kaum ſeines gleichen. Das ſchei- net ſein Haupt-Charackter auf Univerſitaͤten ge- weſen zu ſeyn. Er erwarb ſich dadurch viel Freun- de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht liebten, ihn doch fuͤrchten mußten, indem er we- gen ſeiner Munterkeit leicht aufzubringen war, und Muth genug hatte, ſeine Sache auszufuͤhren. Er bekam hiedurch ſo viel Anhaͤnger, unter den unruhigen Koͤpfen auf der Univerſitaͤt, als er wol- te. Jch weiß, Sie werden hiebey dencken, daß dieſe Gemuͤthsbeſchaffenheit nicht all zu liebens- wuͤrdig ſey. Allein mein Bruder hatte kein beſſe- res Gemuͤth, ſein natuͤrlicher Hochmuth konnte einen Vorzug, der ſo in die Augen fiel, nicht ertra- gen: uͤber das pflegt leicht ein wuͤrcklicher Haß zu entſtehen, wenn man einen mehr fuͤrchten als lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr uͤber ſich ſelbſt, daher ward er von dem andern vielleicht auf unanſtaͤndige Weiſe laͤcherlich gemacht. Sie kamen alſo niemals zuſammen, ohne ſich zu zan- cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus Furcht es mit Lovelace hielt, ſo hatte er viel ver- drießliche Stunden, ſo lange ſie in einem Colle-
gio
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0052"n="32"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><p>Den Anfang der Univerſitaͤts-Feindſchaft habe<lb/>
ich auf dieſe Art erzehlen hoͤren: Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi><lb/>
war uͤberall als ein junger Menſch von Munter-<lb/>
keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es ſcheint,<lb/>
daß ſeine Geſchwindigkeit in Erlernung aller Thei-<lb/>
le der Gelehrſamkeit eben ſo groß geweſen ſey, als<lb/>
jene. Der Fleiß den er in den Studierſtunden<lb/>
bewies hatte kaum ſeines gleichen. Das ſchei-<lb/>
net ſein Haupt-Charackter auf Univerſitaͤten ge-<lb/>
weſen zu ſeyn. Er erwarb ſich dadurch viel Freun-<lb/>
de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht<lb/>
liebten, ihn doch fuͤrchten mußten, indem er we-<lb/>
gen ſeiner Munterkeit leicht aufzubringen war,<lb/>
und Muth genug hatte, ſeine Sache auszufuͤhren.<lb/>
Er bekam hiedurch ſo viel Anhaͤnger, unter den<lb/>
unruhigen Koͤpfen auf der Univerſitaͤt, als er wol-<lb/>
te. Jch weiß, <hirendition="#fr">Sie</hi> werden hiebey dencken, daß<lb/>
dieſe Gemuͤthsbeſchaffenheit nicht all zu liebens-<lb/>
wuͤrdig ſey. Allein mein Bruder hatte kein beſſe-<lb/>
res Gemuͤth, ſein natuͤrlicher Hochmuth konnte<lb/>
einen Vorzug, der ſo in die Augen fiel, nicht ertra-<lb/>
gen: uͤber das pflegt leicht ein wuͤrcklicher Haß<lb/>
zu entſtehen, wenn man einen mehr fuͤrchten als<lb/>
lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr uͤber<lb/>ſich ſelbſt, daher ward er von dem andern vielleicht<lb/>
auf unanſtaͤndige Weiſe laͤcherlich gemacht. Sie<lb/>
kamen alſo niemals zuſammen, ohne ſich zu zan-<lb/>
cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus<lb/>
Furcht es mit <hirendition="#fr">Lovelace</hi> hielt, ſo hatte er viel ver-<lb/>
drießliche Stunden, ſo lange ſie in einem Colle-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gio</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[32/0052]
Die Geſchichte
Den Anfang der Univerſitaͤts-Feindſchaft habe
ich auf dieſe Art erzehlen hoͤren: Herr Lovelace
war uͤberall als ein junger Menſch von Munter-
keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es ſcheint,
daß ſeine Geſchwindigkeit in Erlernung aller Thei-
le der Gelehrſamkeit eben ſo groß geweſen ſey, als
jene. Der Fleiß den er in den Studierſtunden
bewies hatte kaum ſeines gleichen. Das ſchei-
net ſein Haupt-Charackter auf Univerſitaͤten ge-
weſen zu ſeyn. Er erwarb ſich dadurch viel Freun-
de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht
liebten, ihn doch fuͤrchten mußten, indem er we-
gen ſeiner Munterkeit leicht aufzubringen war,
und Muth genug hatte, ſeine Sache auszufuͤhren.
Er bekam hiedurch ſo viel Anhaͤnger, unter den
unruhigen Koͤpfen auf der Univerſitaͤt, als er wol-
te. Jch weiß, Sie werden hiebey dencken, daß
dieſe Gemuͤthsbeſchaffenheit nicht all zu liebens-
wuͤrdig ſey. Allein mein Bruder hatte kein beſſe-
res Gemuͤth, ſein natuͤrlicher Hochmuth konnte
einen Vorzug, der ſo in die Augen fiel, nicht ertra-
gen: uͤber das pflegt leicht ein wuͤrcklicher Haß
zu entſtehen, wenn man einen mehr fuͤrchten als
lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr uͤber
ſich ſelbſt, daher ward er von dem andern vielleicht
auf unanſtaͤndige Weiſe laͤcherlich gemacht. Sie
kamen alſo niemals zuſammen, ohne ſich zu zan-
cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus
Furcht es mit Lovelace hielt, ſo hatte er viel ver-
drießliche Stunden, ſo lange ſie in einem Colle-
gio
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/52>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.