wir umgehen, so werden wir nicht einmal mer- cken, daß wir weniger beliebt sind: denn unsere Schmeichler werden uns ehe alles als unsere Fehler sagen.
Hätte diese Anmerckung nicht ihre Rlchtigkeit, wie wäre es denn möglich, daß selbst die Fehler und unbesonnene Hefftigkeit meines Bruders und meiner Schwester der gantzen Familie gleichsam so wichtig und ehrwürdig scheinen sollten. Wird meinem Sohn/ wird meines Bruders Sohn/ dieses Verfahren gefallen? was wird er dazu sagen? Dis sind die Fragen, die seine Vorgesetzten zum voraus aufwerfen, ehe sie einen Entschluß fassen, obgleich ihr Wille sein Wille seyn sollte. Mit Recht er- wartet er solche Eherbietung von jedermann, da selbst mein Vater, der sonst seiner Herrschafft nichts vergiebt, ihm dieselbe beständig erweiset: und da die Gütigkeit seiner Pathe ein sonst schon allzufreyes und zu wenig eingeschräncktes Gemüth noch mehr frey und zügellos gemacht hat. Aber wohin führet mich diese Betrachtung! Jch weiß, daß Sie niemand von uns lieben, meine Mutter und mich ausgenommen; und Sie wissen so wenig von Verstellung, daß Sie öfters als ich wünsche Jhre Abneigung von den andern gegen mich bli- cken lassen. Sollte ich denn wohl diese Abneigung von solchen, denen Sie meinem Wunsch nach ge- neigt seyn sollen, noch grösser machen? insonder- heit in Absicht auf meinen Vater? Denn dieser arme Mann verdient einige Entschuldigung, wenn
er
Die Geſchichte
wir umgehen, ſo werden wir nicht einmal mer- cken, daß wir weniger beliebt ſind: denn unſere Schmeichler werden uns ehe alles als unſere Fehler ſagen.
Haͤtte dieſe Anmerckung nicht ihre Rlchtigkeit, wie waͤre es denn moͤglich, daß ſelbſt die Fehler und unbeſonnene Hefftigkeit meines Bruders und meiner Schweſter der gantzen Familie gleichſam ſo wichtig und ehrwuͤrdig ſcheinen ſollten. Wird meinem Sohn/ wird meines Bruders Sohn/ dieſes Verfahren gefallen? was wird er dazu ſagen? Dis ſind die Fragen, die ſeine Vorgeſetzten zum voraus aufwerfen, ehe ſie einen Entſchluß faſſen, obgleich ihr Wille ſein Wille ſeyn ſollte. Mit Recht er- wartet er ſolche Eherbietung von jedermann, da ſelbſt mein Vater, der ſonſt ſeiner Herrſchafft nichts vergiebt, ihm dieſelbe beſtaͤndig erweiſet: und da die Guͤtigkeit ſeiner Pathe ein ſonſt ſchon allzufreyes und zu wenig eingeſchraͤncktes Gemuͤth noch mehr frey und zuͤgellos gemacht hat. Aber wohin fuͤhret mich dieſe Betrachtung! Jch weiß, daß Sie niemand von uns lieben, meine Mutter und mich ausgenommen; und Sie wiſſen ſo wenig von Verſtellung, daß Sie oͤfters als ich wuͤnſche Jhre Abneigung von den andern gegen mich bli- cken laſſen. Sollte ich denn wohl dieſe Abneigung von ſolchen, denen Sie meinem Wunſch nach ge- neigt ſeyn ſollen, noch groͤſſer machen? inſonder- heit in Abſicht auf meinen Vater? Denn dieſer arme Mann verdient einige Entſchuldigung, wenn
er
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Die Geſchichte
wir umgehen, ſo werden wir nicht einmal mer-
cken, daß wir weniger beliebt ſind: denn unſere
Schmeichler werden uns ehe alles als unſere
Fehler ſagen.
Haͤtte dieſe Anmerckung nicht ihre Rlchtigkeit,
wie waͤre es denn moͤglich, daß ſelbſt die Fehler
und unbeſonnene Hefftigkeit meines Bruders und
meiner Schweſter der gantzen Familie gleichſam
ſo wichtig und ehrwuͤrdig ſcheinen ſollten. Wird
meinem Sohn/ wird meines Bruders
Sohn/ dieſes Verfahren gefallen? was
wird er dazu ſagen? Dis ſind die Fragen,
die ſeine Vorgeſetzten zum voraus aufwerfen,
ehe ſie einen Entſchluß faſſen, obgleich ihr
Wille ſein Wille ſeyn ſollte. Mit Recht er-
wartet er ſolche Eherbietung von jedermann, da
ſelbſt mein Vater, der ſonſt ſeiner Herrſchafft
nichts vergiebt, ihm dieſelbe beſtaͤndig erweiſet:
und da die Guͤtigkeit ſeiner Pathe ein ſonſt ſchon
allzufreyes und zu wenig eingeſchraͤncktes Gemuͤth
noch mehr frey und zuͤgellos gemacht hat. Aber
wohin fuͤhret mich dieſe Betrachtung! Jch weiß,
daß Sie niemand von uns lieben, meine Mutter
und mich ausgenommen; und Sie wiſſen ſo wenig
von Verſtellung, daß Sie oͤfters als ich wuͤnſche
Jhre Abneigung von den andern gegen mich bli-
cken laſſen. Sollte ich denn wohl dieſe Abneigung
von ſolchen, denen Sie meinem Wunſch nach ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/70>, abgerufen am 27.11.2024.
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