Aber womit kan mein Bruder seinen Hoch- muth und Unfreundlichkeit entschuldigen? Er ist in der That (mir thut leid daß ich es sagen muß) ein junger Mensch von eigensinnigem und ver- drießlichem Gemüth, und begegnet bisweilen meiner Mutter - - - ich mag nicht sagen, wie? - - Ob er gleich alles besitzt, was er nur wünschen mag, so verursachet doch der Ehrgeitz der Jugend den er schon mit den Lastern des hohen Alters ver- bindet, daß er nichts geniesset, als - - ich hätte bey nahe gesagt, seinen Eigensinn und seinen Hochmuth. Allein ich gebe Jhnen nur mehr Ursache, mit uns mißvergnügt zu seyn! Ehe- mahls möchte es wol in Jhrer Macht gestanden haben, mein Schatz, ihn nach Jhrem Willen umzuschmeltzen. Ohätten Sie meine Schwester werden können; so hätte ich doch eine Schwester, die auch meine Freundin wäre. Daß er aber jetzt Sie nicht liebet, wundert mich nicht. Sie erstickten mit einer Verachtung, die allzunahe mit seinem Hochmuth verwandt zu seyn scheint, die ersten Blüten einer Liebe, die durch den Werth der Geliebten gewiß würde heftiger geworden seyn, und ihn einiger massen würdig hätte machen können, sie zu besitzen.
Aber nicht mehr hievon! Jn meinem nächsten Schreiben gedencke ich meine vorgehabte Erzeh- lung fortzusetzen, und will gleich nach dem Früh- stück wieder an meinen Schreib-Tisch gehen. Die- ses sende ich durch den Boten, den Sie mit so vie- ler Gütigkeit geschickt haben, um Sich wegen
mei-
Die Geſchichte
Aber womit kan mein Bruder ſeinen Hoch- muth und Unfreundlichkeit entſchuldigen? Er iſt in der That (mir thut leid daß ich es ſagen muß) ein junger Menſch von eigenſinnigem und ver- drießlichem Gemuͤth, und begegnet bisweilen meiner Mutter ‒ ‒ ‒ ich mag nicht ſagen, wie? ‒ ‒ Ob er gleich alles beſitzt, was er nur wuͤnſchen mag, ſo verurſachet doch der Ehrgeitz der Jugend den er ſchon mit den Laſtern des hohen Alters ver- bindet, daß er nichts genieſſet, als ‒ ‒ ich haͤtte bey nahe geſagt, ſeinen Eigenſinn und ſeinen Hochmuth. Allein ich gebe Jhnen nur mehr Urſache, mit uns mißvergnuͤgt zu ſeyn! Ehe- mahls moͤchte es wol in Jhrer Macht geſtanden haben, mein Schatz, ihn nach Jhrem Willen umzuſchmeltzen. Ohaͤtten Sie meine Schweſter werden koͤnnen; ſo haͤtte ich doch eine Schweſter, die auch meine Freundin waͤre. Daß er aber jetzt Sie nicht liebet, wundert mich nicht. Sie erſtickten mit einer Verachtung, die allzunahe mit ſeinem Hochmuth verwandt zu ſeyn ſcheint, die erſten Bluͤten einer Liebe, die durch den Werth der Geliebten gewiß wuͤrde heftiger geworden ſeyn, und ihn einiger maſſen wuͤrdig haͤtte machen koͤnnen, ſie zu beſitzen.
Aber nicht mehr hievon! Jn meinem naͤchſten Schreiben gedencke ich meine vorgehabte Erzeh- lung fortzuſetzen, und will gleich nach dem Fruͤh- ſtuͤck wieder an meinen Schreib-Tiſch gehen. Die- ſes ſende ich durch den Boten, den Sie mit ſo vie- ler Guͤtigkeit geſchickt haben, um Sich wegen
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Die Geſchichte
Aber womit kan mein Bruder ſeinen Hoch-
muth und Unfreundlichkeit entſchuldigen? Er iſt
in der That (mir thut leid daß ich es ſagen muß)
ein junger Menſch von eigenſinnigem und ver-
drießlichem Gemuͤth, und begegnet bisweilen
meiner Mutter ‒ ‒ ‒ ich mag nicht ſagen, wie? ‒ ‒
Ob er gleich alles beſitzt, was er nur wuͤnſchen
mag, ſo verurſachet doch der Ehrgeitz der Jugend
den er ſchon mit den Laſtern des hohen Alters ver-
bindet, daß er nichts genieſſet, als ‒ ‒ ich haͤtte
bey nahe geſagt, ſeinen Eigenſinn und ſeinen
Hochmuth. Allein ich gebe Jhnen nur mehr
Urſache, mit uns mißvergnuͤgt zu ſeyn! Ehe-
mahls moͤchte es wol in Jhrer Macht geſtanden
haben, mein Schatz, ihn nach Jhrem Willen
umzuſchmeltzen. Ohaͤtten Sie meine Schweſter
werden koͤnnen; ſo haͤtte ich doch eine Schweſter,
die auch meine Freundin waͤre. Daß er aber
jetzt Sie nicht liebet, wundert mich nicht. Sie
erſtickten mit einer Verachtung, die allzunahe
mit ſeinem Hochmuth verwandt zu ſeyn ſcheint,
die erſten Bluͤten einer Liebe, die durch den Werth
der Geliebten gewiß wuͤrde heftiger geworden
ſeyn, und ihn einiger maſſen wuͤrdig haͤtte machen
koͤnnen, ſie zu beſitzen.
Aber nicht mehr hievon! Jn meinem naͤchſten
Schreiben gedencke ich meine vorgehabte Erzeh-
lung fortzuſetzen, und will gleich nach dem Fruͤh-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/72>, abgerufen am 23.11.2024.
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