Jch darf nicht Ansuchung thun, nach meinem eigenen Gute zu reisen. Denn ich fürchte, man würde mir diese Bitte so auslegen, als wolte ich mich in die Freyheit setzen, zu der mir der letzte Wille meines Gros-Vaters ein Recht giebt. Wie jetzt die Sachen stehen, würde man diesen Wunsch für eine Folge einer Neigung gegen denjenigen ansehen, auf den unser Haus so sehr erbittert ist. Aber wahrhaftig, wenn ich nur so vergnügt und glücklich hier seyn könte, als ich sonst zu seyn pfleg- te, so wolte ich Herrn Lovelace und allen seines Geschlechts gern entsagen, und mich nie reuen las- sen, daß ich mein Gut der Gewalt meines Vaters übergeben habe.
Eben jetzt erfreuet mich meine Mutter mit der Nachricht, daß mir meine Bitte zugestanden sey. Jedermann, nur nicht mein Bruder, hält es ge- nehm, daß ich Sie besuchen soll. Er hat aber zur Antwort bekommen: er müsse nicht dencken, daß er in allen Dingen regieren wolle. Jch werde in den grossen Saal geruffen werden, wo mir in Gegenwart meiner Vaters-Brüder und meiner Base Hervey diese Erlaubniß förmlich soll er- theilt werden. Sie wissen, daß man in unserm Hause viel Umstände macht.
Man wird nicht leicht in einer gantzen Familie so viel Eintracht finden, als in der unsrigen. Mei- nes Vaters-Brüder sehen uns an, als wären wir ihre eigene Kinder, und erklären sich, daß sie blos aus Liebe zu uns ungeheyrathet bleiben. Daher
wird
Die Geſchichte
Jch darf nicht Anſuchung thun, nach meinem eigenen Gute zu reiſen. Denn ich fuͤrchte, man wuͤrde mir dieſe Bitte ſo auslegen, als wolte ich mich in die Freyheit ſetzen, zu der mir der letzte Wille meines Gros-Vaters ein Recht giebt. Wie jetzt die Sachen ſtehen, wuͤrde man dieſen Wunſch fuͤr eine Folge einer Neigung gegen denjenigen anſehen, auf den unſer Haus ſo ſehr erbittert iſt. Aber wahrhaftig, wenn ich nur ſo vergnuͤgt und gluͤcklich hier ſeyn koͤnte, als ich ſonſt zu ſeyn pfleg- te, ſo wolte ich Herrn Lovelace und allen ſeines Geſchlechts gern entſagen, und mich nie reuen laſ- ſen, daß ich mein Gut der Gewalt meines Vaters uͤbergeben habe.
Eben jetzt erfreuet mich meine Mutter mit der Nachricht, daß mir meine Bitte zugeſtanden ſey. Jedermann, nur nicht mein Bruder, haͤlt es ge- nehm, daß ich Sie beſuchen ſoll. Er hat aber zur Antwort bekommen: er muͤſſe nicht dencken, daß er in allen Dingen regieren wolle. Jch werde in den groſſen Saal geruffen werden, wo mir in Gegenwart meiner Vaters-Bruͤder und meiner Baſe Hervey dieſe Erlaubniß foͤrmlich ſoll er- theilt werden. Sie wiſſen, daß man in unſerm Hauſe viel Umſtaͤnde macht.
Man wird nicht leicht in einer gantzen Familie ſo viel Eintracht finden, als in der unſrigen. Mei- nes Vaters-Bruͤder ſehen uns an, als waͤren wir ihre eigene Kinder, und erklaͤren ſich, daß ſie blos aus Liebe zu uns ungeheyrathet bleiben. Daher
wird
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Die Geſchichte
Jch darf nicht Anſuchung thun, nach meinem
eigenen Gute zu reiſen. Denn ich fuͤrchte, man
wuͤrde mir dieſe Bitte ſo auslegen, als wolte ich
mich in die Freyheit ſetzen, zu der mir der letzte
Wille meines Gros-Vaters ein Recht giebt. Wie
jetzt die Sachen ſtehen, wuͤrde man dieſen Wunſch
fuͤr eine Folge einer Neigung gegen denjenigen
anſehen, auf den unſer Haus ſo ſehr erbittert iſt.
Aber wahrhaftig, wenn ich nur ſo vergnuͤgt und
gluͤcklich hier ſeyn koͤnte, als ich ſonſt zu ſeyn pfleg-
te, ſo wolte ich Herrn Lovelace und allen ſeines
Geſchlechts gern entſagen, und mich nie reuen laſ-
ſen, daß ich mein Gut der Gewalt meines Vaters
uͤbergeben habe.
Eben jetzt erfreuet mich meine Mutter mit der
Nachricht, daß mir meine Bitte zugeſtanden ſey.
Jedermann, nur nicht mein Bruder, haͤlt es ge-
nehm, daß ich Sie beſuchen ſoll. Er hat aber
zur Antwort bekommen: er muͤſſe nicht dencken,
daß er in allen Dingen regieren wolle. Jch werde
in den groſſen Saal geruffen werden, wo mir in
Gegenwart meiner Vaters-Bruͤder und meiner
Baſe Hervey dieſe Erlaubniß foͤrmlich ſoll er-
theilt werden. Sie wiſſen, daß man in unſerm
Hauſe viel Umſtaͤnde macht.
Man wird nicht leicht in einer gantzen Familie
ſo viel Eintracht finden, als in der unſrigen. Mei-
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ihre eigene Kinder, und erklaͤren ſich, daß ſie blos
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/76>, abgerufen am 23.11.2024.
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