Bruders-Tochter kindlich erinnern. Allein die gantz ungewöhnliche und unerwartete Art, mich zu bewillkommen, hätte mich so bestürtzt gemacht, daß ich mir Erlaubniß ausbitten müßte, wegzuge- hen, und mich wieder zu erholen.
Da keiner etwas einwendete, machte ich ohne weiter etwas zu sagen meinen Reverentz und gieng weg. Mir kam es vor, als verliesse ich meinen Bruder und meine Schwester recht vergnügt, und als würden sie sich einander Glück wünschen, daß durch ihre gütige Bemühung endlich der An- fang gemacht sey, mir hart zu begegnen. Jn meiner Cammer ließ ich gegen meine treue Han- nichen meine Betrübniß darüber aus, daß der neue Antrag, den man mir thun wollte, schon zum voraus ein so ernsthafftes Ansehen gewon- nen hätte.
Ehe ich noch wieder zu mir selbst gekommen war, ward ich zum Thee gerufen. Jch ließ mich zwar durch mein Cammer-Mädchen entschuldi- gen: auf wiederholten Befehl aber ging ich mit so frölichem Gesicht, als mir möglich war, hinun- ter. Hier mußte ich mich von neuen verant- worten: Denn mein Bruder (so reich ist man an Beschuldigungen, wenn man einmahl entschlos- sen ist, alles übel auszulegen) mein Bruder, sage ich, gab mir deutlich und unhöflich genug zu verstehen, ich hätte blos aus Verdruß nicht zum Thee kommen wollen, weil man einer Per- son vorhin nicht in Ehren gedacht hätte, in die ich verliebt wäre.
Jch
Die Geſchichte
Bruders-Tochter kindlich erinnern. Allein die gantz ungewoͤhnliche und unerwartete Art, mich zu bewillkommen, haͤtte mich ſo beſtuͤrtzt gemacht, daß ich mir Erlaubniß ausbitten muͤßte, wegzuge- hen, und mich wieder zu erholen.
Da keiner etwas einwendete, machte ich ohne weiter etwas zu ſagen meinen Reverentz und gieng weg. Mir kam es vor, als verlieſſe ich meinen Bruder und meine Schweſter recht vergnuͤgt, und als wuͤrden ſie ſich einander Gluͤck wuͤnſchen, daß durch ihre guͤtige Bemuͤhung endlich der An- fang gemacht ſey, mir hart zu begegnen. Jn meiner Cammer ließ ich gegen meine treue Han- nichen meine Betruͤbniß daruͤber aus, daß der neue Antrag, den man mir thun wollte, ſchon zum voraus ein ſo ernſthafftes Anſehen gewon- nen haͤtte.
Ehe ich noch wieder zu mir ſelbſt gekommen war, ward ich zum Thee gerufen. Jch ließ mich zwar durch mein Cammer-Maͤdchen entſchuldi- gen: auf wiederholten Befehl aber ging ich mit ſo froͤlichem Geſicht, als mir moͤglich war, hinun- ter. Hier mußte ich mich von neuen verant- worten: Denn mein Bruder (ſo reich iſt man an Beſchuldigungen, wenn man einmahl entſchloſ- ſen iſt, alles uͤbel auszulegen) mein Bruder, ſage ich, gab mir deutlich und unhoͤflich genug zu verſtehen, ich haͤtte blos aus Verdruß nicht zum Thee kommen wollen, weil man einer Per- ſon vorhin nicht in Ehren gedacht haͤtte, in die ich verliebt waͤre.
Jch
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Die Geſchichte
Bruders-Tochter kindlich erinnern. Allein die
gantz ungewoͤhnliche und unerwartete Art, mich
zu bewillkommen, haͤtte mich ſo beſtuͤrtzt gemacht,
daß ich mir Erlaubniß ausbitten muͤßte, wegzuge-
hen, und mich wieder zu erholen.
Da keiner etwas einwendete, machte ich ohne
weiter etwas zu ſagen meinen Reverentz und gieng
weg. Mir kam es vor, als verlieſſe ich meinen
Bruder und meine Schweſter recht vergnuͤgt, und
als wuͤrden ſie ſich einander Gluͤck wuͤnſchen,
daß durch ihre guͤtige Bemuͤhung endlich der An-
fang gemacht ſey, mir hart zu begegnen. Jn
meiner Cammer ließ ich gegen meine treue Han-
nichen meine Betruͤbniß daruͤber aus, daß der
neue Antrag, den man mir thun wollte, ſchon
zum voraus ein ſo ernſthafftes Anſehen gewon-
nen haͤtte.
Ehe ich noch wieder zu mir ſelbſt gekommen
war, ward ich zum Thee gerufen. Jch ließ mich
zwar durch mein Cammer-Maͤdchen entſchuldi-
gen: auf wiederholten Befehl aber ging ich mit ſo
froͤlichem Geſicht, als mir moͤglich war, hinun-
ter. Hier mußte ich mich von neuen verant-
worten: Denn mein Bruder (ſo reich iſt man an
Beſchuldigungen, wenn man einmahl entſchloſ-
ſen iſt, alles uͤbel auszulegen) mein Bruder,
ſage ich, gab mir deutlich und unhoͤflich genug
zu verſtehen, ich haͤtte blos aus Verdruß nicht
zum Thee kommen wollen, weil man einer Per-
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ich verliebt waͤre.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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