Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
gen annehmen. Jch hasse ihn jetzt mehr, als vor-
hin. Ein schönes Gut ist schon zum Nachtheil,
der obgleich noch entfernten Anverwandten erhal-
ten, die künftig einen Anspruch darauf machen
könten, nemlich das Gut, das mein Bruder von
seiner Pathe geerbet hat. Hierauf bauen sie eine
Hoffnung (vermuthlich in die Luft), daß sie noch
mehreres erhalten wollen, und daß wenigstens
mein Gut dereinst wieder an die Familie fallen
werde. Mich dünckt die gantze Welt ist nur eine
grosse Familie: Wenigstens war sie dieses bey ih-
rem Anfang. Wie soll ich denn diese eingennützi-
ge Absichten kleiner Geister anders beschreiben, als
daß man einer Verwandtschaft vergißt, und sich
einer andern erinnert?

Als ich schlechterdings mich weigerte, ihn zu
nehmen, die Bedingungen möchten auch so vor-
theilhaft seyn, als sie immer wollten, so muste
ich ein Verbot anhören, das mir recht an das
Hertz tritt. Wie kan ich es ihnen schreiben?
Und ich muß es doch thun! Jch soll einen gantzen
Monath, oder bis ich von neuen Erlaubniß er-
halten habe, mit niemanden ausser dem Hause
Briefe wechseln. Mein Bruder kündigte mir die-
ses mit einem rechten Amts-Gesichte an, nachdem
Frau Hervey meine Antwort überbracht hatte.
Sie hat zwar dieses auf die gelindeste Weise ge-
than, ja so gar, ohne Vollmacht von mir zu ha-
ben, einige entfernte Hoffnung gegeben, daß ich
mich künftig bequemen dürfte.

Jch fragte: darf ich denn auch nicht an
Fräulein Howe schreiben?

Nein

der Clariſſa.
gen annehmen. Jch haſſe ihn jetzt mehr, als vor-
hin. Ein ſchoͤnes Gut iſt ſchon zum Nachtheil,
der obgleich noch entfernten Anverwandten erhal-
ten, die kuͤnftig einen Anſpruch darauf machen
koͤnten, nemlich das Gut, das mein Bruder von
ſeiner Pathe geerbet hat. Hierauf bauen ſie eine
Hoffnung (vermuthlich in die Luft), daß ſie noch
mehreres erhalten wollen, und daß wenigſtens
mein Gut dereinſt wieder an die Familie fallen
werde. Mich duͤnckt die gantze Welt iſt nur eine
groſſe Familie: Wenigſtens war ſie dieſes bey ih-
rem Anfang. Wie ſoll ich denn dieſe eingennuͤtzi-
ge Abſichten kleiner Geiſter anders beſchreiben, als
daß man einer Verwandtſchaft vergißt, und ſich
einer andern erinnert?

Als ich ſchlechterdings mich weigerte, ihn zu
nehmen, die Bedingungen moͤchten auch ſo vor-
theilhaft ſeyn, als ſie immer wollten, ſo muſte
ich ein Verbot anhoͤren, das mir recht an das
Hertz tritt. Wie kan ich es ihnen ſchreiben?
Und ich muß es doch thun! Jch ſoll einen gantzen
Monath, oder bis ich von neuen Erlaubniß er-
halten habe, mit niemanden auſſer dem Hauſe
Briefe wechſeln. Mein Bruder kuͤndigte mir die-
ſes mit einem rechten Amts-Geſichte an, nachdem
Frau Hervey meine Antwort uͤberbracht hatte.
Sie hat zwar dieſes auf die gelindeſte Weiſe ge-
than, ja ſo gar, ohne Vollmacht von mir zu ha-
ben, einige entfernte Hoffnung gegeben, daß ich
mich kuͤnftig bequemen duͤrfte.

Jch fragte: darf ich denn auch nicht an
Fraͤulein Howe ſchreiben?

Nein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0095" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
gen annehmen. Jch ha&#x017F;&#x017F;e ihn jetzt mehr, als vor-<lb/>
hin. Ein &#x017F;cho&#x0364;nes Gut i&#x017F;t &#x017F;chon zum Nachtheil,<lb/>
der obgleich noch entfernten Anverwandten erhal-<lb/>
ten, die ku&#x0364;nftig einen An&#x017F;pruch darauf machen<lb/>
ko&#x0364;nten, nemlich das Gut, das mein Bruder von<lb/>
&#x017F;einer Pathe geerbet hat. Hierauf bauen &#x017F;ie eine<lb/>
Hoffnung (vermuthlich in die Luft), daß &#x017F;ie noch<lb/>
mehreres erhalten wollen, und daß wenig&#x017F;tens<lb/>
mein Gut derein&#x017F;t wieder an die Familie fallen<lb/>
werde. Mich du&#x0364;nckt die gantze Welt i&#x017F;t nur eine<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Familie: Wenig&#x017F;tens war &#x017F;ie die&#x017F;es bey ih-<lb/>
rem Anfang. Wie &#x017F;oll ich denn die&#x017F;e eingennu&#x0364;tzi-<lb/>
ge Ab&#x017F;ichten kleiner Gei&#x017F;ter anders be&#x017F;chreiben, als<lb/>
daß man einer Verwandt&#x017F;chaft vergißt, und &#x017F;ich<lb/>
einer andern erinnert?</p><lb/>
        <p>Als ich &#x017F;chlechterdings mich weigerte, ihn zu<lb/>
nehmen, die Bedingungen mo&#x0364;chten auch &#x017F;o vor-<lb/>
theilhaft &#x017F;eyn, als &#x017F;ie immer wollten, &#x017F;o mu&#x017F;te<lb/>
ich ein Verbot anho&#x0364;ren, das mir recht an das<lb/>
Hertz tritt. Wie kan ich es ihnen &#x017F;chreiben?<lb/>
Und ich muß es doch thun! Jch &#x017F;oll einen gantzen<lb/>
Monath, oder bis ich von neuen Erlaubniß er-<lb/>
halten habe, mit niemanden au&#x017F;&#x017F;er dem Hau&#x017F;e<lb/>
Briefe wech&#x017F;eln. Mein Bruder ku&#x0364;ndigte mir die-<lb/>
&#x017F;es mit einem rechten Amts-Ge&#x017F;ichte an, nachdem<lb/>
Frau <hi rendition="#fr">Hervey</hi> meine Antwort u&#x0364;berbracht hatte.<lb/>
Sie hat zwar die&#x017F;es auf die gelinde&#x017F;te Wei&#x017F;e ge-<lb/>
than, ja &#x017F;o gar, ohne Vollmacht von mir zu ha-<lb/>
ben, einige entfernte Hoffnung gegeben, daß ich<lb/>
mich ku&#x0364;nftig bequemen du&#x0364;rfte.</p><lb/>
        <p>Jch fragte: <hi rendition="#fr">darf ich denn auch nicht an<lb/>
Fra&#x0364;ulein Howe &#x017F;chreiben?</hi></p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Nein</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0095] der Clariſſa. gen annehmen. Jch haſſe ihn jetzt mehr, als vor- hin. Ein ſchoͤnes Gut iſt ſchon zum Nachtheil, der obgleich noch entfernten Anverwandten erhal- ten, die kuͤnftig einen Anſpruch darauf machen koͤnten, nemlich das Gut, das mein Bruder von ſeiner Pathe geerbet hat. Hierauf bauen ſie eine Hoffnung (vermuthlich in die Luft), daß ſie noch mehreres erhalten wollen, und daß wenigſtens mein Gut dereinſt wieder an die Familie fallen werde. Mich duͤnckt die gantze Welt iſt nur eine groſſe Familie: Wenigſtens war ſie dieſes bey ih- rem Anfang. Wie ſoll ich denn dieſe eingennuͤtzi- ge Abſichten kleiner Geiſter anders beſchreiben, als daß man einer Verwandtſchaft vergißt, und ſich einer andern erinnert? Als ich ſchlechterdings mich weigerte, ihn zu nehmen, die Bedingungen moͤchten auch ſo vor- theilhaft ſeyn, als ſie immer wollten, ſo muſte ich ein Verbot anhoͤren, das mir recht an das Hertz tritt. Wie kan ich es ihnen ſchreiben? Und ich muß es doch thun! Jch ſoll einen gantzen Monath, oder bis ich von neuen Erlaubniß er- halten habe, mit niemanden auſſer dem Hauſe Briefe wechſeln. Mein Bruder kuͤndigte mir die- ſes mit einem rechten Amts-Geſichte an, nachdem Frau Hervey meine Antwort uͤberbracht hatte. Sie hat zwar dieſes auf die gelindeſte Weiſe ge- than, ja ſo gar, ohne Vollmacht von mir zu ha- ben, einige entfernte Hoffnung gegeben, daß ich mich kuͤnftig bequemen duͤrfte. Jch fragte: darf ich denn auch nicht an Fraͤulein Howe ſchreiben? Nein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/95
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/95>, abgerufen am 27.11.2024.