und daß ich nie etwas andres schreibe, als was mir mein Hertz eingiebt: und Sie müssen von Jhren Vorzügen vor andern nothwendig so viel einsehen, daß Sie an der Aufrichtigkeit dieser meiner Erklärung nicht zweiffeln können. Denn wie ist es möglich, daß eine Person, die an an- dern das Lobenswürdige so wohl zu erkennen und zu schätzen weiß, eben dasselbe Lobenswürdige an sich nicht solte sehen können? Sie könnte es ge- wiß an andern nicht so sehr bewundern, wenn sie es nicht selbst besässe. Warum soll man Jh- nen nicht das Lob beylegen, damit Sie andere erheben würden, die nur halb so viel Vollkom- menheiten, als Sie, an sich haben möchten? Sonderlich, da Sie von Hochmuth und eitelm Ehrgeitz gantz entfernt sind, und weder sich Jh- rer Vorzüge wegen zu hoch achten, noch andere verachten, die Jhnen ungleich sind? Was schrei- be ich, zu hoch achten? Wie ist dieses mög- lich?
Vergeben Sie mir, allerliebste Freundin, daß ich mein Hertz habe reden lassen. Meine Be- wunderung eines so vortre flichen Frauenzimmers wird durch jeden Brief, den ich von Jhren Hän- den bekomme, vermehrt, und kan nicht immer stilleschweigend bleiben: ob ich mich gleich aus Furcht, Sie zu beleidigen, hüte, daß meine Fe- der und meine Lippen nicht gegen Sie selbst da- von überfliessen mögen.
Jch
Die Geſchichte
und daß ich nie etwas andres ſchreibe, als was mir mein Hertz eingiebt: und Sie muͤſſen von Jhren Vorzuͤgen vor andern nothwendig ſo viel einſehen, daß Sie an der Aufrichtigkeit dieſer meiner Erklaͤrung nicht zweiffeln koͤnnen. Denn wie iſt es moͤglich, daß eine Perſon, die an an- dern das Lobenswuͤrdige ſo wohl zu erkennen und zu ſchaͤtzen weiß, eben daſſelbe Lobenswuͤrdige an ſich nicht ſolte ſehen koͤnnen? Sie koͤnnte es ge- wiß an andern nicht ſo ſehr bewundern, wenn ſie es nicht ſelbſt beſaͤſſe. Warum ſoll man Jh- nen nicht das Lob beylegen, damit Sie andere erheben wuͤrden, die nur halb ſo viel Vollkom- menheiten, als Sie, an ſich haben moͤchten? Sonderlich, da Sie von Hochmuth und eitelm Ehrgeitz gantz entfernt ſind, und weder ſich Jh- rer Vorzuͤge wegen zu hoch achten, noch andere verachten, die Jhnen ungleich ſind? Was ſchrei- be ich, zu hoch achten? Wie iſt dieſes moͤg- lich?
Vergeben Sie mir, allerliebſte Freundin, daß ich mein Hertz habe reden laſſen. Meine Be- wunderung eines ſo vortre flichen Frauenzimmers wird durch jeden Brief, den ich von Jhren Haͤn- den bekomme, vermehrt, und kan nicht immer ſtilleſchweigend bleiben: ob ich mich gleich aus Furcht, Sie zu beleidigen, huͤte, daß meine Fe- der und meine Lippen nicht gegen Sie ſelbſt da- von uͤberflieſſen moͤgen.
Jch
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Die Geſchichte
und daß ich nie etwas andres ſchreibe, als was
mir mein Hertz eingiebt: und Sie muͤſſen von
Jhren Vorzuͤgen vor andern nothwendig ſo viel
einſehen, daß Sie an der Aufrichtigkeit dieſer
meiner Erklaͤrung nicht zweiffeln koͤnnen. Denn
wie iſt es moͤglich, daß eine Perſon, die an an-
dern das Lobenswuͤrdige ſo wohl zu erkennen und
zu ſchaͤtzen weiß, eben daſſelbe Lobenswuͤrdige an
ſich nicht ſolte ſehen koͤnnen? Sie koͤnnte es ge-
wiß an andern nicht ſo ſehr bewundern, wenn
ſie es nicht ſelbſt beſaͤſſe. Warum ſoll man Jh-
nen nicht das Lob beylegen, damit Sie andere
erheben wuͤrden, die nur halb ſo viel Vollkom-
menheiten, als Sie, an ſich haben moͤchten?
Sonderlich, da Sie von Hochmuth und eitelm
Ehrgeitz gantz entfernt ſind, und weder ſich Jh-
rer Vorzuͤge wegen zu hoch achten, noch andere
verachten, die Jhnen ungleich ſind? Was ſchrei-
be ich, zu hoch achten? Wie iſt dieſes moͤg-
lich?
Vergeben Sie mir, allerliebſte Freundin, daß
ich mein Hertz habe reden laſſen. Meine Be-
wunderung eines ſo vortre flichen Frauenzimmers
wird durch jeden Brief, den ich von Jhren Haͤn-
den bekomme, vermehrt, und kan nicht immer
ſtilleſchweigend bleiben: ob ich mich gleich aus
Furcht, Sie zu beleidigen, huͤte, daß meine Fe-
der und meine Lippen nicht gegen Sie ſelbſt da-
von uͤberflieſſen moͤgen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/106>, abgerufen am 16.02.2025.
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