[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.Die Geschichte macht, und ihm so viel Verstand zugeschriebenhätte, daß ihn eine tugendhafte und verständige Gemahlin leicht auf bessere Wege würde brin- gen können. Allein hier muß ich Sie um Ver- gebung bitten: ich unterstand mich so gar zu sagen, wenn gleich Jhre Anverwandten nach dem gemeinen Lauf der Welt gantz gute Leute wä- ren, so wäre doch ausser Jhnen niemand aus der gantzen Familie in Verdacht, daß er zu viel aus der Religion machte. Destoweniger hät- ten sie Recht, andern einen solchen Mangel so sträflich vorzurücken. Endlich, sagte ich, was für einen eckelhaften Menschen haben sie ausge- sucht, einen der allerangenehmsten Leute so in England gefunden werden kan, auszustechen? Einen Herrn, der sehr in die Augen fallende Vorzüge des Verstandes und andere gute Ei- genschaften besitzt, wenn gleich seine Tugend kein grosses Lob verdient? Es läßt recht, als wenn sie ohne weitern Grund zu haben nur blos Lust hätten einen Macht-Spruch zu thun, und ihre Gewalt und Oberherrschaft zu zeigen. Meine Mutter bestand noch darauf, daß es Jch
Die Geſchichte macht, und ihm ſo viel Verſtand zugeſchriebenhaͤtte, daß ihn eine tugendhafte und verſtaͤndige Gemahlin leicht auf beſſere Wege wuͤrde brin- gen koͤnnen. Allein hier muß ich Sie um Ver- gebung bitten: ich unterſtand mich ſo gar zu ſagen, wenn gleich Jhre Anverwandten nach dem gemeinen Lauf der Welt gantz gute Leute waͤ- ren, ſo waͤre doch auſſer Jhnen niemand aus der gantzen Familie in Verdacht, daß er zu viel aus der Religion machte. Deſtoweniger haͤt- ten ſie Recht, andern einen ſolchen Mangel ſo ſtraͤflich vorzuruͤcken. Endlich, ſagte ich, was fuͤr einen eckelhaften Menſchen haben ſie ausge- ſucht, einen der allerangenehmſten Leute ſo in England gefunden werden kan, auszuſtechen? Einen Herrn, der ſehr in die Augen fallende Vorzuͤge des Verſtandes und andere gute Ei- genſchaften beſitzt, wenn gleich ſeine Tugend kein groſſes Lob verdient? Es laͤßt recht, als wenn ſie ohne weitern Grund zu haben nur blos Luſt haͤtten einen Macht-Spruch zu thun, und ihre Gewalt und Oberherrſchaft zu zeigen. Meine Mutter beſtand noch darauf, daß es Jch
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0132" n="126"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/> macht, und ihm ſo viel Verſtand zugeſchrieben<lb/> haͤtte, daß ihn eine tugendhafte und verſtaͤndige<lb/> Gemahlin leicht auf beſſere Wege wuͤrde brin-<lb/> gen koͤnnen. Allein hier muß ich Sie um Ver-<lb/> gebung bitten: ich unterſtand mich ſo gar zu<lb/> ſagen, wenn gleich Jhre Anverwandten nach dem<lb/> gemeinen Lauf der Welt gantz gute Leute waͤ-<lb/> ren, ſo waͤre doch auſſer Jhnen niemand aus<lb/> der gantzen Familie in Verdacht, daß er zu viel<lb/> aus der Religion machte. Deſtoweniger haͤt-<lb/> ten ſie Recht, andern einen ſolchen Mangel ſo<lb/> ſtraͤflich vorzuruͤcken. Endlich, ſagte ich, was<lb/> fuͤr einen eckelhaften Menſchen haben ſie ausge-<lb/> ſucht, einen der allerangenehmſten Leute ſo in<lb/> England gefunden werden kan, auszuſtechen?<lb/> Einen Herrn, der ſehr in die Augen fallende<lb/> Vorzuͤge des Verſtandes und andere gute Ei-<lb/> genſchaften beſitzt, wenn gleich ſeine Tugend kein<lb/> groſſes Lob verdient? Es laͤßt recht, als wenn<lb/> ſie ohne weitern Grund zu haben nur blos Luſt<lb/> haͤtten einen Macht-Spruch zu thun, und ihre<lb/> Gewalt und Oberherrſchaft zu zeigen.</p><lb/> <p>Meine Mutter beſtand noch darauf, daß es<lb/> ein deſto loͤblicheres Werck des Gehorſams waͤ-<lb/> re, je mehr Sie ſich ſelbſt verleugneten. Ein<lb/> recht artiger und lebhafter junger Herr werde<lb/> ſelten ein guter Gemahl ſeyn; denn ſolche Herrn<lb/> ſpielten meiſtentheils mit ſich ſelbſt <hi rendition="#fr">die allerlieb-<lb/> ſte Perſon,</hi> und meinten, es muͤſſe ein jedes<lb/> Frauenzimmer eben ſo verliebt in ſie ſeyn, als<lb/> ſie in ſich ſelbſt verliebt waͤren.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0132]
Die Geſchichte
macht, und ihm ſo viel Verſtand zugeſchrieben
haͤtte, daß ihn eine tugendhafte und verſtaͤndige
Gemahlin leicht auf beſſere Wege wuͤrde brin-
gen koͤnnen. Allein hier muß ich Sie um Ver-
gebung bitten: ich unterſtand mich ſo gar zu
ſagen, wenn gleich Jhre Anverwandten nach dem
gemeinen Lauf der Welt gantz gute Leute waͤ-
ren, ſo waͤre doch auſſer Jhnen niemand aus
der gantzen Familie in Verdacht, daß er zu viel
aus der Religion machte. Deſtoweniger haͤt-
ten ſie Recht, andern einen ſolchen Mangel ſo
ſtraͤflich vorzuruͤcken. Endlich, ſagte ich, was
fuͤr einen eckelhaften Menſchen haben ſie ausge-
ſucht, einen der allerangenehmſten Leute ſo in
England gefunden werden kan, auszuſtechen?
Einen Herrn, der ſehr in die Augen fallende
Vorzuͤge des Verſtandes und andere gute Ei-
genſchaften beſitzt, wenn gleich ſeine Tugend kein
groſſes Lob verdient? Es laͤßt recht, als wenn
ſie ohne weitern Grund zu haben nur blos Luſt
haͤtten einen Macht-Spruch zu thun, und ihre
Gewalt und Oberherrſchaft zu zeigen.
Meine Mutter beſtand noch darauf, daß es
ein deſto loͤblicheres Werck des Gehorſams waͤ-
re, je mehr Sie ſich ſelbſt verleugneten. Ein
recht artiger und lebhafter junger Herr werde
ſelten ein guter Gemahl ſeyn; denn ſolche Herrn
ſpielten meiſtentheils mit ſich ſelbſt die allerlieb-
ſte Perſon, und meinten, es muͤſſe ein jedes
Frauenzimmer eben ſo verliebt in ſie ſeyn, als
ſie in ſich ſelbſt verliebt waͤren.
Jch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |