um sie zu vergessen in allerhand Ausschweiffungen gerathen sey, die er jetzt freymüthig erkenne und verabscheue. Allein er hätte schlechterdings ge- leugnet, daß ihm eine solche Drohung gegen un- ser gantzes Geschlecht jemahls entfahren sey, als ich sie ihm in Jhrer Gegenwart vorgehalten hätte. Er habe noch die Worte gebraucht: ei- ne solche Bosheit sey ihm gantz ohnmö- glich/ daß er die Untreue einer eintzigen Person auf eine so ungerechte und nie- derträchtige Art an allen rächen wollte.
Sie werden sich vermuthlich der unschuldi- gen Anmerckung erinnern, die Sie hiebey mach- ten: nehmlich: Sie hielten seine ernstliche Versicherung/ daß er dieses nicht gesagt hätte/ für glaubwürdig. Denn eben der- jenige, der eine ihm schuld gegebene muth- willige und überlegte Lüge/ für die aller- ärgste Beschuldigung angesehen hätte, und deswegen so rachgierig gewesen wäre; würde sich jetzt keiner überlegten Lüge schuldig machen wollen.
Jch stellete meiner Mutter die ausserordent- lichen Umstände vor, darin Sie sich befänden: ich bat sie, zu bedencken, daß ehemahls Herr Lovelaces üble Lebens-Art von Jhren Anver- wandten nicht als ein Einwurf gegen ihn ange- sehen wäre, da er um Jhre Fräulein Schwester angehalten hätte: daß man so gar damahls von seiner Familie, und sonderlich von seiner Ge- schicklichkeit und Wissenschaft viel Wercks ge-
macht,
der Clariſſa.
um ſie zu vergeſſen in allerhand Ausſchweiffungen gerathen ſey, die er jetzt freymuͤthig erkenne und verabſcheue. Allein er haͤtte ſchlechterdings ge- leugnet, daß ihm eine ſolche Drohung gegen un- ſer gantzes Geſchlecht jemahls entfahren ſey, als ich ſie ihm in Jhrer Gegenwart vorgehalten haͤtte. Er habe noch die Worte gebraucht: ei- ne ſolche Bosheit ſey ihm gantz ohnmoͤ- glich/ daß er die Untreue einer eintzigen Perſon auf eine ſo ungerechte und nie- dertraͤchtige Art an allen raͤchen wollte.
Sie werden ſich vermuthlich der unſchuldi- gen Anmerckung erinnern, die Sie hiebey mach- ten: nehmlich: Sie hielten ſeine ernſtliche Verſicherung/ daß er dieſes nicht geſagt haͤtte/ fuͤr glaubwuͤrdig. Denn eben der- jenige, der eine ihm ſchuld gegebene muth- willige und uͤberlegte Luͤge/ fuͤr die aller- aͤrgſte Beſchuldigung angeſehen haͤtte, und deswegen ſo rachgierig geweſen waͤre; wuͤrde ſich jetzt keiner uͤberlegten Luͤge ſchuldig machen wollen.
Jch ſtellete meiner Mutter die auſſerordent- lichen Umſtaͤnde vor, darin Sie ſich befaͤnden: ich bat ſie, zu bedencken, daß ehemahls Herr Lovelaces uͤble Lebens-Art von Jhren Anver- wandten nicht als ein Einwurf gegen ihn ange- ſehen waͤre, da er um Jhre Fraͤulein Schweſter angehalten haͤtte: daß man ſo gar damahls von ſeiner Familie, und ſonderlich von ſeiner Ge- ſchicklichkeit und Wiſſenſchaft viel Wercks ge-
macht,
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der Clariſſa.
um ſie zu vergeſſen in allerhand Ausſchweiffungen
gerathen ſey, die er jetzt freymuͤthig erkenne und
verabſcheue. Allein er haͤtte ſchlechterdings ge-
leugnet, daß ihm eine ſolche Drohung gegen un-
ſer gantzes Geſchlecht jemahls entfahren ſey, als
ich ſie ihm in Jhrer Gegenwart vorgehalten
haͤtte. Er habe noch die Worte gebraucht: ei-
ne ſolche Bosheit ſey ihm gantz ohnmoͤ-
glich/ daß er die Untreue einer eintzigen
Perſon auf eine ſo ungerechte und nie-
dertraͤchtige Art an allen raͤchen wollte.
Sie werden ſich vermuthlich der unſchuldi-
gen Anmerckung erinnern, die Sie hiebey mach-
ten: nehmlich: Sie hielten ſeine ernſtliche
Verſicherung/ daß er dieſes nicht geſagt
haͤtte/ fuͤr glaubwuͤrdig. Denn eben der-
jenige, der eine ihm ſchuld gegebene muth-
willige und uͤberlegte Luͤge/ fuͤr die aller-
aͤrgſte Beſchuldigung angeſehen haͤtte, und
deswegen ſo rachgierig geweſen waͤre;
wuͤrde ſich jetzt keiner uͤberlegten Luͤge
ſchuldig machen wollen.
Jch ſtellete meiner Mutter die auſſerordent-
lichen Umſtaͤnde vor, darin Sie ſich befaͤnden:
ich bat ſie, zu bedencken, daß ehemahls Herr
Lovelaces uͤble Lebens-Art von Jhren Anver-
wandten nicht als ein Einwurf gegen ihn ange-
ſehen waͤre, da er um Jhre Fraͤulein Schweſter
angehalten haͤtte: daß man ſo gar damahls von
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ſchicklichkeit und Wiſſenſchaft viel Wercks ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/131>, abgerufen am 16.02.2025.
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