[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.Die Geschichte Sie erwähnte hierauf Herrn Lovelaces üble Jch antwortete: ich hätte von jedermann ge- um "menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-
"ter zuschreiben: und die stärcksten und wichtigsten "Gründe, die von dem einen Theil vorgebracht "werden, wird der andere Theil mit unter ihre "Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei- "len wird sich überzeugen lassen wollen, der Streit "und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El- "tern werden endlich ungeduldig und das Kind de- "sperat werden. Von allem diesen wird eben das "die Folge seyn, wovor die gütige Mutter so be- "sorgt ist, was sie zu verhüten suchet, und was auch "hätte können verhütet werden, wenn man die "Leidenschafften der Tochter auf eine sanfte Weise "gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerstan- "standen hätte." Die Geſchichte Sie erwaͤhnte hierauf Herrn Lovelaces uͤble Jch antwortete: ich haͤtte von jedermann ge- um „menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-
„ter zuſchreiben: und die ſtaͤrckſten und wichtigſten „Gruͤnde, die von dem einen Theil vorgebracht „werden, wird der andere Theil mit unter ihre „Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei- „len wird ſich uͤberzeugen laſſen wollen, der Streit „und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El- „tern werden endlich ungeduldig und das Kind de- „ſperat werden. Von allem dieſen wird eben das „die Folge ſeyn, wovor die guͤtige Mutter ſo be- „ſorgt iſt, was ſie zu verhuͤten ſuchet, und was auch „haͤtte koͤnnen verhuͤtet werden, wenn man die „Leidenſchafften der Tochter auf eine ſanfte Weiſe „gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerſtan- „ſtanden haͤtte.„ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0130" n="124"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Geſchichte</hi> </hi> </fw><lb/> <p>Sie erwaͤhnte hierauf Herrn <hi rendition="#fr">Lovelaces</hi> uͤble<lb/> Lebens-Art; und ſagte, „Jhre Angehoͤrigen ver-<lb/> „abſcheueten einen Mann mit Recht, der ein ſo<lb/> „freyes und zuͤgelloſes Leben fuͤhrete, als man<lb/> „ihm Schuld giebt, ohne daß er ſuchte ſich zu<lb/> „entſchuldigen. Mann haͤtte ſo gar aus ſeinem<lb/> „Munde die Erklaͤrung gehoͤrt, daß er ſo viel<lb/> „Frauenzimmer betruͤben wolle, als er nur koͤn-<lb/> „ne, um ſich wegen der uͤbeln Auffuͤhrung und<lb/> „wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu<lb/> „raͤchen, das ſeine erſte Liebe gehabt haͤtte, als er<lb/> „<hi rendition="#fr">zu Verſtellung und Untreue noch zu<lb/> „jung geweſen ſey.</hi>„ (Der letzte Ausdruck<lb/> ſiehet ihm in der That gleich.)</p><lb/> <p>Jch antwortete: ich haͤtte von jedermann ge-<lb/> hoͤrt, daß ihm das Frauenzimmer in der That<lb/> ſehr uͤbel begegnet ſey, und daß er damahls aus<lb/> Verdruß eine Reiſe habe antreten muͤſſen, und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">um</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_1_3" prev="#seg2pn_1_2" place="foot" n="*">„menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-<lb/> „ter zuſchreiben: und die ſtaͤrckſten und wichtigſten<lb/> „Gruͤnde, die von dem einen Theil vorgebracht<lb/> „werden, wird der andere Theil mit unter ihre<lb/> „Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei-<lb/> „len wird ſich uͤberzeugen laſſen wollen, der Streit<lb/> „und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El-<lb/> „tern werden endlich ungeduldig und das Kind de-<lb/> „ſperat werden. Von allem dieſen wird eben das<lb/> „die Folge ſeyn, wovor die guͤtige Mutter ſo be-<lb/> „ſorgt iſt, was ſie zu verhuͤten ſuchet, und was auch<lb/> „haͤtte koͤnnen verhuͤtet werden, wenn man die<lb/> „Leidenſchafften der Tochter auf eine ſanfte Weiſe<lb/> „gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerſtan-<lb/> „ſtanden haͤtte.„</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0130]
Die Geſchichte
Sie erwaͤhnte hierauf Herrn Lovelaces uͤble
Lebens-Art; und ſagte, „Jhre Angehoͤrigen ver-
„abſcheueten einen Mann mit Recht, der ein ſo
„freyes und zuͤgelloſes Leben fuͤhrete, als man
„ihm Schuld giebt, ohne daß er ſuchte ſich zu
„entſchuldigen. Mann haͤtte ſo gar aus ſeinem
„Munde die Erklaͤrung gehoͤrt, daß er ſo viel
„Frauenzimmer betruͤben wolle, als er nur koͤn-
„ne, um ſich wegen der uͤbeln Auffuͤhrung und
„wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu
„raͤchen, das ſeine erſte Liebe gehabt haͤtte, als er
„zu Verſtellung und Untreue noch zu
„jung geweſen ſey.„ (Der letzte Ausdruck
ſiehet ihm in der That gleich.)
Jch antwortete: ich haͤtte von jedermann ge-
hoͤrt, daß ihm das Frauenzimmer in der That
ſehr uͤbel begegnet ſey, und daß er damahls aus
Verdruß eine Reiſe habe antreten muͤſſen, und
um
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* „menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-
„ter zuſchreiben: und die ſtaͤrckſten und wichtigſten
„Gruͤnde, die von dem einen Theil vorgebracht
„werden, wird der andere Theil mit unter ihre
„Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei-
„len wird ſich uͤberzeugen laſſen wollen, der Streit
„und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El-
„tern werden endlich ungeduldig und das Kind de-
„ſperat werden. Von allem dieſen wird eben das
„die Folge ſeyn, wovor die guͤtige Mutter ſo be-
„ſorgt iſt, was ſie zu verhuͤten ſuchet, und was auch
„haͤtte koͤnnen verhuͤtet werden, wenn man die
„Leidenſchafften der Tochter auf eine ſanfte Weiſe
„gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerſtan-
„ſtanden haͤtte.„
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