Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Sie erwähnte hierauf Herrn Lovelaces üble
Lebens-Art; und sagte, "Jhre Angehörigen ver-
"abscheueten einen Mann mit Recht, der ein so
"freyes und zügelloses Leben führete, als man
"ihm Schuld giebt, ohne daß er suchte sich zu
"entschuldigen. Mann hätte so gar aus seinem
"Munde die Erklärung gehört, daß er so viel
"Frauenzimmer betrüben wolle, als er nur kön-
"ne, um sich wegen der übeln Aufführung und
"wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu
"rächen, das seine erste Liebe gehabt hätte, als er
"zu Verstellung und Untreue noch zu
"jung gewesen sey.
" (Der letzte Ausdruck
siehet ihm in der That gleich.)

Jch antwortete: ich hätte von jedermann ge-
hört, daß ihm das Frauenzimmer in der That
sehr übel begegnet sey, und daß er damahls aus
Verdruß eine Reise habe antreten müssen, und

um
"menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-
"ter zuschreiben: und die stärcksten und wichtigsten
"Gründe, die von dem einen Theil vorgebracht
"werden, wird der andere Theil mit unter ihre
"Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei-
"len wird sich überzeugen lassen wollen, der Streit
"und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El-
"tern werden endlich ungeduldig und das Kind de-
"sperat werden. Von allem diesen wird eben das
"die Folge seyn, wovor die gütige Mutter so be-
"sorgt ist, was sie zu verhüten suchet, und was auch
"hätte können verhütet werden, wenn man die
"Leidenschafften der Tochter auf eine sanfte Weise
"gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerstan-
"standen hätte."
Die Geſchichte

Sie erwaͤhnte hierauf Herrn Lovelaces uͤble
Lebens-Art; und ſagte, „Jhre Angehoͤrigen ver-
„abſcheueten einen Mann mit Recht, der ein ſo
„freyes und zuͤgelloſes Leben fuͤhrete, als man
„ihm Schuld giebt, ohne daß er ſuchte ſich zu
„entſchuldigen. Mann haͤtte ſo gar aus ſeinem
„Munde die Erklaͤrung gehoͤrt, daß er ſo viel
„Frauenzimmer betruͤben wolle, als er nur koͤn-
„ne, um ſich wegen der uͤbeln Auffuͤhrung und
„wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu
„raͤchen, das ſeine erſte Liebe gehabt haͤtte, als er
zu Verſtellung und Untreue noch zu
„jung geweſen ſey.
„ (Der letzte Ausdruck
ſiehet ihm in der That gleich.)

Jch antwortete: ich haͤtte von jedermann ge-
hoͤrt, daß ihm das Frauenzimmer in der That
ſehr uͤbel begegnet ſey, und daß er damahls aus
Verdruß eine Reiſe habe antreten muͤſſen, und

um
„menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-
„ter zuſchreiben: und die ſtaͤrckſten und wichtigſten
„Gruͤnde, die von dem einen Theil vorgebracht
„werden, wird der andere Theil mit unter ihre
„Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei-
„len wird ſich uͤberzeugen laſſen wollen, der Streit
„und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El-
„tern werden endlich ungeduldig und das Kind de-
„ſperat werden. Von allem dieſen wird eben das
„die Folge ſeyn, wovor die guͤtige Mutter ſo be-
„ſorgt iſt, was ſie zu verhuͤten ſuchet, und was auch
„haͤtte koͤnnen verhuͤtet werden, wenn man die
„Leidenſchafften der Tochter auf eine ſanfte Weiſe
„gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerſtan-
„ſtanden haͤtte.„
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0130" n="124"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Sie erwa&#x0364;hnte hierauf Herrn <hi rendition="#fr">Lovelaces</hi> u&#x0364;ble<lb/>
Lebens-Art; und &#x017F;agte, &#x201E;Jhre Angeho&#x0364;rigen ver-<lb/>
&#x201E;ab&#x017F;cheueten einen Mann mit Recht, der ein &#x017F;o<lb/>
&#x201E;freyes und zu&#x0364;gello&#x017F;es Leben fu&#x0364;hrete, als man<lb/>
&#x201E;ihm Schuld giebt, ohne daß er &#x017F;uchte &#x017F;ich zu<lb/>
&#x201E;ent&#x017F;chuldigen. Mann ha&#x0364;tte &#x017F;o gar aus &#x017F;einem<lb/>
&#x201E;Munde die Erkla&#x0364;rung geho&#x0364;rt, daß er &#x017F;o viel<lb/>
&#x201E;Frauenzimmer betru&#x0364;ben wolle, als er nur ko&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;ne, um &#x017F;ich wegen der u&#x0364;beln Auffu&#x0364;hrung und<lb/>
&#x201E;wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu<lb/>
&#x201E;ra&#x0364;chen, das &#x017F;eine er&#x017F;te Liebe gehabt ha&#x0364;tte, als er<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">zu Ver&#x017F;tellung und Untreue noch zu<lb/>
&#x201E;jung gewe&#x017F;en &#x017F;ey.</hi>&#x201E; (Der letzte Ausdruck<lb/>
&#x017F;iehet ihm in der That gleich.)</p><lb/>
          <p>Jch antwortete: ich ha&#x0364;tte von jedermann ge-<lb/>
ho&#x0364;rt, daß ihm das Frauenzimmer in der That<lb/>
&#x017F;ehr u&#x0364;bel begegnet &#x017F;ey, und daß er damahls aus<lb/>
Verdruß eine Rei&#x017F;e habe antreten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">um</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_1_3" prev="#seg2pn_1_2" place="foot" n="*">&#x201E;menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch-<lb/>
&#x201E;ter zu&#x017F;chreiben: und die &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;ten und wichtig&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;Gru&#x0364;nde, die von dem einen Theil vorgebracht<lb/>
&#x201E;werden, wird der andere Theil mit unter ihre<lb/>
&#x201E;Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei-<lb/>
&#x201E;len wird &#x017F;ich u&#x0364;berzeugen la&#x017F;&#x017F;en wollen, der Streit<lb/>
&#x201E;und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El-<lb/>
&#x201E;tern werden endlich ungeduldig und das Kind de-<lb/>
&#x201E;&#x017F;perat werden. Von allem die&#x017F;en wird eben das<lb/>
&#x201E;die Folge &#x017F;eyn, wovor die gu&#x0364;tige Mutter &#x017F;o be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;orgt i&#x017F;t, was &#x017F;ie zu verhu&#x0364;ten &#x017F;uchet, und was auch<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;tte ko&#x0364;nnen verhu&#x0364;tet werden, wenn man die<lb/>
&#x201E;Leiden&#x017F;chafften der Tochter auf eine &#x017F;anfte Wei&#x017F;e<lb/>
&#x201E;gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt wider&#x017F;tan-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tanden ha&#x0364;tte.&#x201E;</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0130] Die Geſchichte Sie erwaͤhnte hierauf Herrn Lovelaces uͤble Lebens-Art; und ſagte, „Jhre Angehoͤrigen ver- „abſcheueten einen Mann mit Recht, der ein ſo „freyes und zuͤgelloſes Leben fuͤhrete, als man „ihm Schuld giebt, ohne daß er ſuchte ſich zu „entſchuldigen. Mann haͤtte ſo gar aus ſeinem „Munde die Erklaͤrung gehoͤrt, daß er ſo viel „Frauenzimmer betruͤben wolle, als er nur koͤn- „ne, um ſich wegen der uͤbeln Auffuͤhrung und „wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu „raͤchen, das ſeine erſte Liebe gehabt haͤtte, als er „zu Verſtellung und Untreue noch zu „jung geweſen ſey.„ (Der letzte Ausdruck ſiehet ihm in der That gleich.) Jch antwortete: ich haͤtte von jedermann ge- hoͤrt, daß ihm das Frauenzimmer in der That ſehr uͤbel begegnet ſey, und daß er damahls aus Verdruß eine Reiſe habe antreten muͤſſen, und um * * „menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch- „ter zuſchreiben: und die ſtaͤrckſten und wichtigſten „Gruͤnde, die von dem einen Theil vorgebracht „werden, wird der andere Theil mit unter ihre „Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei- „len wird ſich uͤberzeugen laſſen wollen, der Streit „und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El- „tern werden endlich ungeduldig und das Kind de- „ſperat werden. Von allem dieſen wird eben das „die Folge ſeyn, wovor die guͤtige Mutter ſo be- „ſorgt iſt, was ſie zu verhuͤten ſuchet, und was auch „haͤtte koͤnnen verhuͤtet werden, wenn man die „Leidenſchafften der Tochter auf eine ſanfte Weiſe „gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerſtan- „ſtanden haͤtte.„

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/130
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/130>, abgerufen am 17.05.2024.