Jch werde suchen mich deshalb zu entschuldigen, daß ich allen meinen Anverwandten so furchter- lich geworden bin, als er behauptet; und ich wünschte, daß ich es nicht blos entschuldigen son- dern auch ändern könnte.
Sonntag Abends, oder vielmehr Montags früh.
"Jch muß Jhnen antworten, so ungern ich "es auch thue. Jedermann liebet Sie, und "das wissen Sie. Ein jeder Platz ist uns an- "genehm, auf den Sie nur Jhren Fuß gesetzt ha- "ben. Allein wie können wir uns entschliessen, "Sie zu sprechen? Denn Jhren Augen und Jh- "ren Worten kan niemand widerstehen: und "die Grösse unserer Liebe macht es, daß wir uns "nicht trauen dürfen, Sie zu sprechen. Wie "können wir dieses wagen, so lange Sie enschlos- "sen sind, das nicht zu thun, was wir begehren, "daß Sie es thun sollen? Jch hab noch niemand "so sehr als Sie von Kindesbeinen an bis jetzt ge- "liebet: und, wie ich oft gesagt habe, ich ken ne "auch kein so liebenswürdiges Frauenzimmer, "als Sie sind. Was ist Jhnen aber jetzt wie- "derfahren? Was hat Sie so sehr verändert. "Ach! GOtt erbarme es, mein Kind! wie be- "stehen Sie in der Probe so schlecht!
"Jch habe die eingeschlossenen Brieffe gelesen. "Wenn ich eine bequeme Zeit finde, so will ich "sie meinem Bruder und meiner Schwester zei-
"gen:
der Clariſſa.
Jch werde ſuchen mich deshalb zu entſchuldigen, daß ich allen meinen Anverwandten ſo furchter- lich geworden bin, als er behauptet; und ich wuͤnſchte, daß ich es nicht blos entſchuldigen ſon- dern auch aͤndern koͤnnte.
Sonntag Abends, oder vielmehr Montags fruͤh.
„Jch muß Jhnen antworten, ſo ungern ich „es auch thue. Jedermann liebet Sie, und „das wiſſen Sie. Ein jeder Platz iſt uns an- „genehm, auf den Sie nur Jhren Fuß geſetzt ha- „ben. Allein wie koͤnnen wir uns entſchlieſſen, „Sie zu ſprechen? Denn Jhren Augen und Jh- „ren Worten kan niemand widerſtehen: und „die Groͤſſe unſerer Liebe macht es, daß wir uns „nicht trauen duͤrfen, Sie zu ſprechen. Wie „koͤnnen wir dieſes wagen, ſo lange Sie enſchloſ- „ſen ſind, das nicht zu thun, was wir begehren, „daß Sie es thun ſollen? Jch hab noch niemand „ſo ſehr als Sie von Kindesbeinen an bis jetzt ge- „liebet: und, wie ich oft geſagt habe, ich ken ne „auch kein ſo liebenswuͤrdiges Frauenzimmer, „als Sie ſind. Was iſt Jhnen aber jetzt wie- „derfahren? Was hat Sie ſo ſehr veraͤndert. „Ach! GOtt erbarme es, mein Kind! wie be- „ſtehen Sie in der Probe ſo ſchlecht!
„Jch habe die eingeſchloſſenen Brieffe geleſen. „Wenn ich eine bequeme Zeit finde, ſo will ich „ſie meinem Bruder und meiner Schweſter zei-
„gen:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0149"n="143"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/>
Jch werde ſuchen mich deshalb zu entſchuldigen,<lb/>
daß ich allen meinen Anverwandten ſo furchter-<lb/>
lich geworden bin, als er behauptet; und ich<lb/>
wuͤnſchte, daß ich es nicht blos entſchuldigen ſon-<lb/>
dern auch aͤndern koͤnnte.</p><lb/><floatingText><body><dateline><hirendition="#et">Sonntag Abends, oder vielmehr<lb/>
Montags fruͤh.</hi></dateline><lb/><p>„Jch muß Jhnen antworten, ſo ungern ich<lb/>„es auch thue. Jedermann liebet Sie, und<lb/>„das wiſſen Sie. Ein jeder Platz iſt uns an-<lb/>„genehm, auf den Sie nur Jhren Fuß geſetzt ha-<lb/>„ben. Allein wie koͤnnen wir uns entſchlieſſen,<lb/>„Sie zu ſprechen? Denn Jhren Augen und Jh-<lb/>„ren Worten kan niemand widerſtehen: und<lb/>„die Groͤſſe unſerer Liebe macht es, daß wir uns<lb/>„nicht trauen duͤrfen, Sie zu ſprechen. Wie<lb/>„koͤnnen wir dieſes wagen, ſo lange Sie enſchloſ-<lb/>„ſen ſind, das nicht zu thun, was wir begehren,<lb/>„daß Sie es thun ſollen? Jch hab noch niemand<lb/>„ſo ſehr als Sie von Kindesbeinen an bis jetzt ge-<lb/>„liebet: und, wie ich oft geſagt habe, ich ken ne<lb/>„auch kein ſo liebenswuͤrdiges Frauenzimmer,<lb/>„als Sie ſind. Was iſt Jhnen aber jetzt wie-<lb/>„derfahren? Was hat Sie ſo ſehr veraͤndert.<lb/>„Ach! GOtt erbarme es, mein Kind! wie be-<lb/>„ſtehen Sie in der Probe ſo ſchlecht!</p><lb/><p>„Jch habe die eingeſchloſſenen Brieffe geleſen.<lb/>„Wenn ich eine bequeme Zeit finde, ſo will ich<lb/>„ſie meinem Bruder und meiner Schweſter zei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„gen:</fw><lb/></p></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[143/0149]
der Clariſſa.
Jch werde ſuchen mich deshalb zu entſchuldigen,
daß ich allen meinen Anverwandten ſo furchter-
lich geworden bin, als er behauptet; und ich
wuͤnſchte, daß ich es nicht blos entſchuldigen ſon-
dern auch aͤndern koͤnnte.
Sonntag Abends, oder vielmehr
Montags fruͤh.
„Jch muß Jhnen antworten, ſo ungern ich
„es auch thue. Jedermann liebet Sie, und
„das wiſſen Sie. Ein jeder Platz iſt uns an-
„genehm, auf den Sie nur Jhren Fuß geſetzt ha-
„ben. Allein wie koͤnnen wir uns entſchlieſſen,
„Sie zu ſprechen? Denn Jhren Augen und Jh-
„ren Worten kan niemand widerſtehen: und
„die Groͤſſe unſerer Liebe macht es, daß wir uns
„nicht trauen duͤrfen, Sie zu ſprechen. Wie
„koͤnnen wir dieſes wagen, ſo lange Sie enſchloſ-
„ſen ſind, das nicht zu thun, was wir begehren,
„daß Sie es thun ſollen? Jch hab noch niemand
„ſo ſehr als Sie von Kindesbeinen an bis jetzt ge-
„liebet: und, wie ich oft geſagt habe, ich ken ne
„auch kein ſo liebenswuͤrdiges Frauenzimmer,
„als Sie ſind. Was iſt Jhnen aber jetzt wie-
„derfahren? Was hat Sie ſo ſehr veraͤndert.
„Ach! GOtt erbarme es, mein Kind! wie be-
„ſtehen Sie in der Probe ſo ſchlecht!
„Jch habe die eingeſchloſſenen Brieffe geleſen.
„Wenn ich eine bequeme Zeit finde, ſo will ich
„ſie meinem Bruder und meiner Schweſter zei-
„gen:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/149>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.