"gen: allein jetzt werden sie nichts von Jhrer Hand "annehmen.
"Jch habe Jhren Brief an mich nicht lesen "können, ohne gleichsam entwafnet und aller mei- "ner Standhaftigkeit beraubet zu werden. Wie "ist es möglich, daß Sie selbst so unbeweglich "sind, und doch andere so sehr bewegen können? "Wie haben Sie so einen Brief an Herrn Sol- "mes schreiben können? Phi! schämen Sie "sich! Wie sehr haben Sie sich geändert?
"Können Sie Jhrem Bruder und Jhrer "Schwester so begegnen, als Sie bisher gethan "haben, daß diesen endlich alle Lust vergehet, mit "Jhnen zu reden oder an Sie zu schreiben? "Wissen Sie den Spruch nicht mehr: eine ge- "linde Antwort stillet den Zorn[?] Wenn "Sie sich auf die Schärffe Jhres Witzes ver- "lassen wollen, so muß ich gestehen, daß Sie an- "dere verwundern können: allein bedencken Sie, "daß man mit der Keule wider den Degen gut "Fechten hat. Woher wissen Sie, daß die, de- "nen Sie empfindliche Stiche geben, Jhnen "nicht hinwiederum einen empfindlichen Streich "versetzen werden? Waren dieses die Mittel, "dadurch Sie uns allen ehemahls das Hertz so "geraubet hatten, daß wir Sie beynahe anbete- "ten? War es nicht vielmehr Jhr sanfter Sinn "und Jhr wohlgezogenes Wesen, die Jhnen auch "eines jeden Fremden Ehrfurcht erwurben, so "daß Jhnen jeder begegnete, als wenn Sie eine "Lady wären, und Sie My Lady anredete,
ob
Die Geſchichte
„gen: allein jetzt werden ſie nichts von Jhrer Hand „annehmen.
„Jch habe Jhren Brief an mich nicht leſen „koͤnnen, ohne gleichſam entwafnet und aller mei- „ner Standhaftigkeit beraubet zu werden. Wie „iſt es moͤglich, daß Sie ſelbſt ſo unbeweglich „ſind, und doch andere ſo ſehr bewegen koͤnnen? „Wie haben Sie ſo einen Brief an Herrn Sol- „mes ſchreiben koͤnnen? Phi! ſchaͤmen Sie „ſich! Wie ſehr haben Sie ſich geaͤndert?
„Koͤnnen Sie Jhrem Bruder und Jhrer „Schweſter ſo begegnen, als Sie bisher gethan „haben, daß dieſen endlich alle Luſt vergehet, mit „Jhnen zu reden oder an Sie zu ſchreiben? „Wiſſen Sie den Spruch nicht mehr: eine ge- „linde Antwort ſtillet den Zorn[?] Wenn „Sie ſich auf die Schaͤrffe Jhres Witzes ver- „laſſen wollen, ſo muß ich geſtehen, daß Sie an- „dere verwundern koͤnnen: allein bedencken Sie, „daß man mit der Keule wider den Degen gut „Fechten hat. Woher wiſſen Sie, daß die, de- „nen Sie empfindliche Stiche geben, Jhnen „nicht hinwiederum einen empfindlichen Streich „verſetzen werden? Waren dieſes die Mittel, „dadurch Sie uns allen ehemahls das Hertz ſo „geraubet hatten, daß wir Sie beynahe anbete- „ten? War es nicht vielmehr Jhr ſanfter Sinn „und Jhr wohlgezogenes Weſen, die Jhnen auch „eines jeden Fremden Ehrfurcht erwurben, ſo „daß Jhnen jeder begegnete, als wenn Sie eine „Lady waͤren, und Sie My Lady anredete,
ob
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Die Geſchichte
„gen: allein jetzt werden ſie nichts von Jhrer Hand
„annehmen.
„Jch habe Jhren Brief an mich nicht leſen
„koͤnnen, ohne gleichſam entwafnet und aller mei-
„ner Standhaftigkeit beraubet zu werden. Wie
„iſt es moͤglich, daß Sie ſelbſt ſo unbeweglich
„ſind, und doch andere ſo ſehr bewegen koͤnnen?
„Wie haben Sie ſo einen Brief an Herrn Sol-
„mes ſchreiben koͤnnen? Phi! ſchaͤmen Sie
„ſich! Wie ſehr haben Sie ſich geaͤndert?
„Koͤnnen Sie Jhrem Bruder und Jhrer
„Schweſter ſo begegnen, als Sie bisher gethan
„haben, daß dieſen endlich alle Luſt vergehet, mit
„Jhnen zu reden oder an Sie zu ſchreiben?
„Wiſſen Sie den Spruch nicht mehr: eine ge-
„linde Antwort ſtillet den Zorn? Wenn
„Sie ſich auf die Schaͤrffe Jhres Witzes ver-
„laſſen wollen, ſo muß ich geſtehen, daß Sie an-
„dere verwundern koͤnnen: allein bedencken Sie,
„daß man mit der Keule wider den Degen gut
„Fechten hat. Woher wiſſen Sie, daß die, de-
„nen Sie empfindliche Stiche geben, Jhnen
„nicht hinwiederum einen empfindlichen Streich
„verſetzen werden? Waren dieſes die Mittel,
„dadurch Sie uns allen ehemahls das Hertz ſo
„geraubet hatten, daß wir Sie beynahe anbete-
„ten? War es nicht vielmehr Jhr ſanfter Sinn
„und Jhr wohlgezogenes Weſen, die Jhnen auch
„eines jeden Fremden Ehrfurcht erwurben, ſo
„daß Jhnen jeder begegnete, als wenn Sie eine
„Lady waͤren, und Sie My Lady anredete,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/150>, abgerufen am 21.11.2024.
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