An eine Mannsperson schreiben/ wenn man für eine andere bestimmet ist! Was für ein anstößiger Ausdruck in meinen Ohren!
Nachdem ich diesen Aufschub erhalten habe, so gereuet mich die mit Herrn Lovelace verab- redete Zusammenkunfft. Sie können leicht den- cken, daß ich keinen Augenblick bey mir ange- standen habe, ob ich bey so veränderten Umstän- den mein Versprechen widerruffen sollte? "Jch "schrieb ihm deswegen: ich befände es nicht vor "gut, meinen Vorsatz wegen einer mündlichen "Unterredung mit ihm zu erfüllen. Der Vor- "theil von einer solchen Zusammenkunfft könnte "so groß nicht seyn, als die Gefahr entdeckt zu "werden, und der Schade der hieraus entstehen "könnte. Wenn ich des Morgens und Abends "etwas frische Lufft schöpfen wollte, so träffe ich "sonderlich einen gewissen Bedienten sehr oft an. "Er könne nicht wissen, ob nicht eben der, der "sich entschliessen könnte, ihm die Geheimnisse "unsers Hauses zu verrathen, eben so wachsam "wäre, um denen zu Gefallen zu seyn, denen er "dieses schuldig sey; und ob er nicht bey Ge- "legenheit ihn und mich verrathen möchte. Jch "wäre nicht gewohnt mich so aufzuführen, daß "ich der Gnade der Bedienten leben müßte: "und ich befürchtete, daß er bisweilen Absichten "hätte, zu deren Erhaltung er es für nöthig hiel- "te gewisse Wege zu betreten, die ich nie billigen "könnte, und die auch durch die beste Absicht "nicht könnten gerechtfertiget werden. Die Sa-
"chen
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der Clariſſa.
An eine Mannsperſon ſchreiben/ wenn man fuͤr eine andere beſtimmet iſt! Was fuͤr ein anſtoͤßiger Ausdruck in meinen Ohren!
Nachdem ich dieſen Aufſchub erhalten habe, ſo gereuet mich die mit Herrn Lovelace verab- redete Zuſammenkunfft. Sie koͤnnen leicht den- cken, daß ich keinen Augenblick bey mir ange- ſtanden habe, ob ich bey ſo veraͤnderten Umſtaͤn- den mein Verſprechen widerruffen ſollte? „Jch „ſchrieb ihm deswegen: ich befaͤnde es nicht vor „gut, meinen Vorſatz wegen einer muͤndlichen „Unterredung mit ihm zu erfuͤllen. Der Vor- „theil von einer ſolchen Zuſammenkunfft koͤnnte „ſo groß nicht ſeyn, als die Gefahr entdeckt zu „werden, und der Schade der hieraus entſtehen „koͤnnte. Wenn ich des Morgens und Abends „etwas friſche Lufft ſchoͤpfen wollte, ſo traͤffe ich „ſonderlich einen gewiſſen Bedienten ſehr oft an. „Er koͤnne nicht wiſſen, ob nicht eben der, der „ſich entſchlieſſen koͤnnte, ihm die Geheimniſſe „unſers Hauſes zu verrathen, eben ſo wachſam „waͤre, um denen zu Gefallen zu ſeyn, denen er „dieſes ſchuldig ſey; und ob er nicht bey Ge- „legenheit ihn und mich verrathen moͤchte. Jch „waͤre nicht gewohnt mich ſo aufzufuͤhren, daß „ich der Gnade der Bedienten leben muͤßte: „und ich befuͤrchtete, daß er bisweilen Abſichten „haͤtte, zu deren Erhaltung er es fuͤr noͤthig hiel- „te gewiſſe Wege zu betreten, die ich nie billigen „koͤnnte, und die auch durch die beſte Abſicht „nicht koͤnnten gerechtfertiget werden. Die Sa-
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der Clariſſa.
An eine Mannsperſon ſchreiben/ wenn
man fuͤr eine andere beſtimmet iſt! Was
fuͤr ein anſtoͤßiger Ausdruck in meinen Ohren!
Nachdem ich dieſen Aufſchub erhalten habe,
ſo gereuet mich die mit Herrn Lovelace verab-
redete Zuſammenkunfft. Sie koͤnnen leicht den-
cken, daß ich keinen Augenblick bey mir ange-
ſtanden habe, ob ich bey ſo veraͤnderten Umſtaͤn-
den mein Verſprechen widerruffen ſollte? „Jch
„ſchrieb ihm deswegen: ich befaͤnde es nicht vor
„gut, meinen Vorſatz wegen einer muͤndlichen
„Unterredung mit ihm zu erfuͤllen. Der Vor-
„theil von einer ſolchen Zuſammenkunfft koͤnnte
„ſo groß nicht ſeyn, als die Gefahr entdeckt zu
„werden, und der Schade der hieraus entſtehen
„koͤnnte. Wenn ich des Morgens und Abends
„etwas friſche Lufft ſchoͤpfen wollte, ſo traͤffe ich
„ſonderlich einen gewiſſen Bedienten ſehr oft an.
„Er koͤnne nicht wiſſen, ob nicht eben der, der
„ſich entſchlieſſen koͤnnte, ihm die Geheimniſſe
„unſers Hauſes zu verrathen, eben ſo wachſam
„waͤre, um denen zu Gefallen zu ſeyn, denen er
„dieſes ſchuldig ſey; und ob er nicht bey Ge-
„legenheit ihn und mich verrathen moͤchte. Jch
„waͤre nicht gewohnt mich ſo aufzufuͤhren, daß
„ich der Gnade der Bedienten leben muͤßte:
„und ich befuͤrchtete, daß er bisweilen Abſichten
„haͤtte, zu deren Erhaltung er es fuͤr noͤthig hiel-
„te gewiſſe Wege zu betreten, die ich nie billigen
„koͤnnte, und die auch durch die beſte Abſicht
„nicht koͤnnten gerechtfertiget werden. Die Sa-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/201>, abgerufen am 16.02.2025.
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