Alle Gemüther, welche verächtlich und hart sind, wo sie sich es unterstehen dürfen, werden kriechend und schmiegen sich, wo sie flch nichts un- terstehen dürfen. Erinnern Sie sich doch einer Anmerckung, die Sie selbst, ich weiß nicht mehr bey welcher Gelegenheit machten: Daß kleine Geister sich immer nach dem richten/ mit dem sie zuthun haben: daß sie gegen eigen- sinnige und harte Köpfe schmeicheln/ sanft- müthige aber unter die Füsse treten. Die Gelegenheit einer andern Anmerckung, welche Sie gegen Fräulein Biddulph machten, werden Sie nie vergessen können: Wenn man in Worten und Handlungen eine gewisse Hoheit an- nimmt/ und sich nur hütet sie nicht durch Hochmuth zu verstellen/ so wird man von jederman Ehrfurcht zu erwarten haben.
Jch erinnere mich noch einer Anmerckung, wel- che Sie, wie Siesagten, der Fräulein Norton zu dancken hatten, und diese ihrem Vater, der von einem Geistlichen, dessen Predigten vortreflich, und sein Leben sehr mittelmäßig war, zu sagen pflegte: Wissen und thun ist eine sehr ver- schiedene Gabe: Selten hat sie Eine Person beyde beysammen. Bey Jhnen mein Kind, ist sonst wissen und thun nur eine eintzige Sache. Allein in ihrem jetzigen Umständen muß ich Sie bitten die Anwendung dieser Anmerckung auf sich selbst zu machen. Es wird Muth und Hertzhaf- tigkeit erfodert, und die Frage ist: ob dem Willen eines Verstorbenen nachgelebet werden solle? Die-
sen
der Clariſſa.
Alle Gemuͤther, welche veraͤchtlich und hart ſind, wo ſie ſich es unterſtehen duͤrfen, werden kriechend und ſchmiegen ſich, wo ſie flch nichts un- terſtehen duͤrfen. Erinnern Sie ſich doch einer Anmerckung, die Sie ſelbſt, ich weiß nicht mehr bey welcher Gelegenheit machten: Daß kleine Geiſter ſich immer nach dem richten/ mit dem ſie zuthun haben: daß ſie gegen eigen- ſinnige und harte Koͤpfe ſchmeicheln/ ſanft- muͤthige aber unter die Fuͤſſe treten. Die Gelegenheit einer andern Anmerckung, welche Sie gegen Fraͤulein Biddulph machten, werden Sie nie vergeſſen koͤnnen: Wenn man in Worten und Handlungen eine gewiſſe Hoheit an- nimmt/ und ſich nur huͤtet ſie nicht durch Hochmuth zu verſtellen/ ſo wird man von jederman Ehrfurcht zu erwarten haben.
Jch erinnere mich noch einer Anmerckung, wel- che Sie, wie Sieſagten, der Fraͤulein Norton zu dancken hatten, und dieſe ihrem Vater, der von einem Geiſtlichen, deſſen Predigten vortreflich, und ſein Leben ſehr mittelmaͤßig war, zu ſagen pflegte: Wiſſen und thun iſt eine ſehr ver- ſchiedene Gabe: Selten hat ſie Eine Perſon beyde beyſammen. Bey Jhnen mein Kind, iſt ſonſt wiſſen und thun nur eine eintzige Sache. Allein in ihrem jetzigen Umſtaͤnden muß ich Sie bitten die Anwendung dieſer Anmerckung auf ſich ſelbſt zu machen. Es wird Muth und Hertzhaf- tigkeit erfodert, und die Frage iſt: ob dem Willen eines Verſtorbenen nachgelebet werden ſolle? Die-
ſen
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der Clariſſa.
Alle Gemuͤther, welche veraͤchtlich und hart
ſind, wo ſie ſich es unterſtehen duͤrfen, werden
kriechend und ſchmiegen ſich, wo ſie flch nichts un-
terſtehen duͤrfen. Erinnern Sie ſich doch einer
Anmerckung, die Sie ſelbſt, ich weiß nicht mehr
bey welcher Gelegenheit machten: Daß kleine
Geiſter ſich immer nach dem richten/ mit
dem ſie zuthun haben: daß ſie gegen eigen-
ſinnige und harte Koͤpfe ſchmeicheln/ ſanft-
muͤthige aber unter die Fuͤſſe treten. Die
Gelegenheit einer andern Anmerckung, welche Sie
gegen Fraͤulein Biddulph machten, werden Sie
nie vergeſſen koͤnnen: Wenn man in Worten
und Handlungen eine gewiſſe Hoheit an-
nimmt/ und ſich nur huͤtet ſie nicht durch
Hochmuth zu verſtellen/ ſo wird man von
jederman Ehrfurcht zu erwarten haben.
Jch erinnere mich noch einer Anmerckung, wel-
che Sie, wie Sieſagten, der Fraͤulein Norton
zu dancken hatten, und dieſe ihrem Vater, der
von einem Geiſtlichen, deſſen Predigten vortreflich,
und ſein Leben ſehr mittelmaͤßig war, zu ſagen
pflegte: Wiſſen und thun iſt eine ſehr ver-
ſchiedene Gabe: Selten hat ſie Eine Perſon
beyde beyſammen. Bey Jhnen mein Kind, iſt
ſonſt wiſſen und thun nur eine eintzige Sache.
Allein in ihrem jetzigen Umſtaͤnden muß ich Sie
bitten die Anwendung dieſer Anmerckung auf ſich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/21>, abgerufen am 23.11.2024.
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